Novalis
Dichtername des Georg Philipp Friedrich Leopold von Hardenberg (1772 - 1801)
Deutscher Dichter und Philosoph, der in Jena, Leipzig (Freundschaft mit Friedrich Schlegel) und Wittenberg studierte. 1795 verlobte er sich mit Sophie von Kühn, die 1797 im Alter von fünfzehn Jahren - wie später er selbst - an Tuberkulose starb. 1797—99 studierte er Bergwissenschaft in Freiberg, verlobte sich 1798 mit Julie von Charpentier und wurde 1799 Bergwerkassessorin Weißenfels. Novalis war der bedeutendste Dichter der Frühromantik, der zugleich mathematisch und philosophisch begabt war. Die tiefgreifende Erschütterung über den frühen Tod seiner jungen Verlobten – sowie seine eigene Krankheit - beeinflusste sein Denken und Dichten ausschlaggebend: In seinen sechs »Hymnen an die Nacht« (1797—1800; eine Fassung meist in Versen, eine andere in rhythmischer Prosa) feierte er den Tod und die Nacht als Pforte zur mystischen Vereinigung mit der Geliebten und mit Christus. Sein »magischer Idealismus«, in dem er die Trennung von Natur, Geist und Seele durch eine pantheistische »Poetisierung« der Welt aufzuheben suchte, ist in Aphorismen und Notizenenthalten, die er in Tagebüchern und Studienheften aufschrieb. Zu seinen Lebzeiten ist davon allerdings nur eine kleine Auslese als»Blütenstaub« in Friedrich Schlegels »Athenäum« (1798)veröffentlicht worden. Die poetische Verdichtung und Zusammenfassung seiner spekulativ-kreativen Gedanken ist fragmentarisch in dem unvollendeten Werk »Heinrich von Ofterdingen» (1802) enthalten, in dem das Symbol der Blauen Blume eine wichtige Rolle spielt. Innig und schlicht sind seine »Geistlichen Lieder«. In dem Aufsatz »Die Christenheit oder Europa« (1799) erhoffte er sich von einem universalen konfessionslosen Christentum die Erneuerung der Welt durch Geist und Glauben. Siehe auch Wikipedia und Kirchenlexikon |
Soweit nicht ausdrücklich anders angegeben, beziehen sich nachstehende Textnachweise auf folgende Werkausgaben:
I = Novalis Band I Das dichterische Werk, Tagebücher und Briefe. Herausgegeben von Richard Samuel. Wissenschaftliche Buchgesellschaft Darmstadt
II = Novalis Band II Das philosophisch-theoretische Werk. Herausgegeben von Hans-Joachim Mähl. Wissenschaftliche Buchgesellschaft Darmstad
Inhaltsverzeichnis
Wir suchen überall das Unbedingte, und finden immer nur Dinge.
II S.226 (Vermischte Bemerkungen)
Gedanken über Gott
Gottes Wirksamkeit
Gott selbst ist auf keine andere Weise bei uns wirksam - als durch den Glauben. II S.241 (Blütenstaub)
Gottsuche
Wer Gott einmal suchen will, der findet ihn überall. II S.789 (Fragmente und Studien I)
Beweise von Gott
Die Beweise von Gott gelten vielleicht in Masse etwas — als Methode — Gott ist hier etwas, wie »unendlich« in der Mathematik — oder 0°. (Nullgrade) (Philosophie der 0.)
(Gott ist bald 1 • unendlich - bald 1/unendlich - bald 0.) II S.689 (Das allgemeine Brouillon)
Gott ist ein gemischter Begriff
Gott ist ein gemischter Begriff — Er ist aus der Vereinigung aller Gemütsvermögen etc. mittelst einer moralischen Offenbarung eines moralischen Zentrierwunders entstanden.
(Gott ist, wie Philosophie Jedem Alles und jedes — das personifizierte x — Fichtes Nicht-Ich.)
Fichtes Nicht-Ich ist die Einheit aller Reize — das Schlechthin Reizende und eben darum eine Assimilierte - Ewig Unbekannte. Nur Lebenreizt und nur Leben kann nicht genossen werden.) II S.690 (Das allgemeine Brouillon)
Gott ist Ich
Gott ist Ich. /Unendlichkeit — Allheit in der Teilbarkeit/ Er wechselt mit der unendlichen Persönlichkeit identisch und absolut. Analytisches Ich ist Person.
Gott im Geist und in der Wahrheit anbeten — theoretisches unendliches Streben zu Gott — praktisches Streben zu Gott — Jenes alleinFortdauer überhaupt — in Beziehung auf dieses persönliche Fortdauer — dieses allein Einheit in der Zeit — Ideal, Moralität, höchstes Gut.
II S.46 (Fichte-Studien)
Alles beruht auf 3 Verhältnissen —
Synthese. Verhältnis zur Ursach. Notwendig.
These. Verhältnis zu sich selbst. Möglich.
Antithese Verhältnis zur Wirkung. Wirklich.
Gott — Natur — ich.
Synthese. Gott ist Ich schlechthin.
Antithese. Natur. Synthetisches Ich in den Formen der Anschauung.
These. Ich, analytisches Ich, in Rücksicht des synthetischen Ich, oder des Objekts an die Formen der Anschauung gebunden.
Gott. Notwendig.
Natur. Wirklich
Ich. Möglich.
Insofern wir also wirklich sind, sind wir Natur. Alles Wirkliche in uns gehört der Natur.
Das empirische ich ist also In Gott mittelst des Subjekts durch das Objekt.
II S.49 (Fichte-Studien)
Gott ist für das praktische Ich im theoretischen – für das theoretische - im praktischen.
II S.59 (Fichte-Studien)
Dreiheit
/Gott ist gleichsam ein absolut analytisches Glied — oder er enthält das Wesentliche der These, Antithese und Synthese, ihren Geist unzertrennlich. Er ist alles Dreies, ohne Eins zu sein und doch macht in der Darstellung die These den Anfang und die Antithese beschließt. Vater, Geist und Sohn.
/Sohn ist reine Persönlichkeit. Jesus.
/Geist ist Synthese — schaffende Kraft, Urheber der Natur! /Damit können wir nun nichts mehr machen!
Dreieiniger Gott
Spinozischer Gott
Persönlicher Gott.
1. Dreieiniger Gott absolut.
Dreieinige Natur, relativ.
Dreieinige Person. relativ.
2. Natur. Synthese.
göttliche Natur.
Persönliche Natur.
3. Person. Synthese.
Natürliche Person.
göttliche Person.
/Synthese ist stets Idee. These ist Gefühl — Antithese, Reflexion. Idee kann nie Etwas — ein Wirkliches sein — es ist ein Notwendiges. Antithese ist das Mögliche. Gefühl das Wirkliche.! II S.66 (Fichte-Studien)
Gott ist These und Synthese zugleich. Die Natur ist Antithese. Der Mensch und die Natur machen die letztere aus. Sie muß Gott völlig gleich sein i. e. durch Entgegensetzung. Sie muß ihm völlig korrespondieren nur auf eine umgekehrte Art.
Sie ist ein Bild des Malers von sich selbst.
Synthese ist einfach: Zusammensetzung und Zusammensetzendes zugleich — absolute Sphäre.
In der Lehre des Allgemeinen: das Gemeinsame Merkmal des zweifachen Besondern — Unterordnen des Niedern unter das Höhere.
In der Lehre des Besondern: das besondre Merkmal im Besondern — Unterordnen des Besondern unterm andern Besondern: z.B. die blauen Füchse — des Gleichen unter das Gleiche. II S.70 (Fichte-Studien)
These ist in der Monadik — Gott schlechthin allein.
Antithese ______________ Gott als Schöpfer.
Synthese ______________ Immanentschaffende Gottheit.
These ist in der Lehre des Allgemeinen — das Einfache
Allgemeine. (Urgattung oder Gott)
Antithese _______________________ das Allgemeine einmal bezogen.
_________ In der Lehre des Besondern Ein Besondres
_________ _______________________ Mehrere Besondere.
II S.71 (Fichte-Studien)
Gott sind wir — als Individuum denken wir. Wenn Transzendenz zur Immanenz wird, so ists die Idee der Gottheit — i.e. wenn die Vorstellung zur Anschauung wird — so sind wir im Gebiete des göttlichen Ich — die Einbildungskraft, als Anschauung, ist Gott. Das Gefühl ist die Natur — der Verstand ist die Person — personifizierte Psychologie.
II S.75 (Fichte-Studien)
/Gott ist die unendliche Tätigkeit. Natur der unendliche Gegenstand, Ich — der unendliche Zustand. Alles dreies sind Abstrakta. Alles dreies ist Eins. Sie sind nicht getrennt, als in sich selber, in der Reflexion, die aus allen Dreien besteht.!
II S.123 (Fichte-Studien)
Der moralische Gott
Kosmologie. Gott und Natur muß man hiernach trennen. Gott hat gar nichts mit der Natur zu schaffen. — Er ist das Ziel der Natur — dasjenige, mit dem sie einst harmonieren soll. Die Natur soll moralisch werden, und so erscheint allerdings der Kantische Moralgott und die Moralität in einem ganz andern Lichte. Der moralische Gott ist etwas weit Höheres als der magische Gott. II S.482 (Das allgemeine Brouillon)
Gott , Freiheit und Unsterblichkeit werden einst die Basen der geistigen Physik ebenso werden – wie Sonne, Licht und Wärme die Basen der irdischen Physik. S.546 (Das allgemeine Brouillon)
Moralische Hilfe Gottes ist der echte Lebensquell. II S.675 (Das allgemeine Brouillon)
Die Moral ist recht verstanden das eigentliche Lebenselement des Menschen. Sie ist innig eins mit der Gottesfurcht. Unser reiner sittlicher Wille ist Gottes Willen. Indem wir seinen Willen erfüllen erheitern und erweitern wir unser eignes Dasein und es ist, als hätten wir nur unsrer Selbst willen, aus innerer Natur so gehandelt. II S.838 (Fragmente und Studien III)
Nur im Pantheismus ist Gott in jedem Einzelnen
Die Lehre vom Mittler leidet Anwendung auf die Politik. Auch ist der Monarch — oder die Regierungsbeamten — Staatsrepräsentanten — Staatsmittler. Was dort gilt, gilt hier. Hier ist der physiologische Satz umgekehrt — Je geistvoller und lebendiger Glieder sind — desto lebendiger, persönlicher ist der Staat. Aus jedem echten Staatsbürger leuchtet der Genius des Staats hervor — so wie in einer religiösen Gemeinschaft ein persönlicher gleichsam in tausend Gestalten sich offenbart. Der Staat und Gott, so wie jedes geistige Wesen erscheint nicht einzeln, sondern in tausend, mannigfaltigen Gestalten — nur pantheistisch erscheint Gott ganz — und nur im Pantheismus ist Gott ganzüberall, in jedem Einzelnen. So ist für das große Ich, das gewöhnliche Ich und das gewöhnliche Du nur Supplemente. Jedes Du ist ein Supplement zum großen Ich. Wir sind gar nicht Ich - wir können und sollen aber Ich werden. Wir sind Keime zum Ich werden. Wir sollen alles in ein Du — in ein zweites Ich verwandeln — nur dadurch erheben wir uns selbst zum Großen Ich — das Eins und Alles zugleich ist. II S.549 (Das allgemeine Brouillon)
Über das irdische Individuum – das himmlische Individuum und ihre Verhältnisse./ (Gott ist die Weltseele der Idealwelt)
II S.687 (Das allgemeine Brouillon)
Sollte Gott das Element der Synthesis sein – gleichsam das Oxygene dieser Operation. (Experimentieren in Gott – Theosophistereien) Spinozsmus – Emanationssystem. II S.685 (Das allgemeine Brouillon)
Theosophie. Gott ist die Liebe. Die Liebe ist das höchste Reale - der Urgrund.
Theorie der Liebe ist die höchste Wissenschaft - die Natur-Wissenschaft - oder Wissenschaft-Natur.
II S.486 (Das allgemeine Brouillon)
Gott ist die Sphäre der Tugend.
Freiheit und Unsterblichkeit gehört wie Raum und Zeit zusammen - Wie Welt und Ewigkeit gleichsam Raum und Zeit ausfüllen, so füllt Allmacht und Allgegenwart jene beide Sphären. Gott ist die Sphäre der Tugend. (Zur Allmacht gehört Allwissenheit.)
II S.606 (Das allgemeine Brouillon)
In der Tugend verschwindet die lokale und temporelle Personalität. Der Tugendhafte ist als solcher kein historisches Individuum — Es ist Gott selbst. II S.831 (Fragmente und Studien III)
Das höchste Prinzip
Das höchste Prinzip ist der höchste Grad. Dem höchsten realen Grad entspricht der höchste ideale Grad. Sollte Gott das Ideal des Grades und die Definition von Gott — der Keim aller Definitionen sein. Sollte die Definition Gottes und die Definition des Infinitesimalgrades unendlich sein, so müssen wir bei der Definition eines Mittelgrades i. e. eines endlichen Grades anfangen — oder mit der allgemeinen Definition des Grades überhaupt.
Die Kenntnis des Graderhöhungs und des Gradklassifikationsmittels — und ihres Gebrauch setzt uns in den Stand zugleich in die Weite und in die Tiefe zu gehn — zugleich zu makrologisieren und zu mikrologisieren — und dies so weit fortzusetzen, als wir wollen — zum gegenseitigen Vorteil beider Operationen. (Experimentieren lernt man durch Versuche.) II S.599 (Das allgemeine Brouillon)
Sollte das höchste Prinzip das höchste Paradoxon in seiner Aufgabe enthalten? Ein Satz sein, der schlechterdings keinen Frieden ließe — der immer anzöge, und abstieße — immer von neuem unverständlich würde, so oft man ihn auch schon verstanden den hätte? Der unsre Tätigkeit unaufhörlich rege machte — ohne sie je zu ermüden, ohne je gewohnt zu werden? Nach mystischen Sagen ist Gott für die Geister etwas Ähnliches. II S.314 (Vorarbeiten 1799)
Gottes Finger
Ein wahrhaft gottesfürchtiges Gemüt sieht überall Gottes Finger und ist in steter Aufmerksamkeit auf seine Winke und Fügungen. II S.808 (Fragmente und Studien II)
Hat man Gott im Herzen, so grübelt man nicht. Man hat nur Eine große, erhebende Empfindung in seiner Seele. Aus dem göttlichen Gesichtspunkte gibts keine Wolken — da ist nur Ein Glanz, Eine Herrlichkeit. Der Mann ist anders als das Kind. Mannsein kommt von Gott. Die Alten waren immer fröhlich. Was nicht gleich helfen will, hilft nach gerade. Nur nicht den Mut und den Glauben verlieren. Stelle dir vor, du seist Fremder und müssest dich trösten — Würdest du da nicht oft sagen — Herr, sein sie kein Kind. Die Bänglichkeit geht vorüber - Ein Mann und Christ muß auch Bangigkeit geduldig ertragen. Heißt das Christentum, so kleinmütig zu sein. Habt ihr denn nicht einen Funken Stolz, und Scham in eurem Herzen. Schämt euch, großer Mensch, vor euch selbst. Hat euch darum der liebe Gott so harte Prüfungen zugeschickt, daß ihr gleich verzagen müßt. Es wird besser, und statt kindlich dankbar zu sein, bangt ihr, wie ein Weib. I S.488 (Tagebücher)
Ist Gott ein Spieler?
Spielt Gott und die Natur nicht auch? Theorie des Spielens. Heilige Spiele. Reine Spiellehre — gemeine — und höhere. Angewandte Spiellehre.
II S.555 (Das allgemeine Brouillon)
Es ist sehr wahrscheinlich, daß in der Natur auch eine wunderbare Zahlenmystik statt finde. Auch in der Geschichte — Ist nicht alles voll Bedeutung, Symmetrie, Anspielung und seltsamen Zusammenhang? Kann sich Gott nicht auch in der Mathematik offenbaren, wie in jeder andern Wissenschaft?
Die Qualitäten oder Eigentümlichkeiten können z.B. durch gewisse Zeiten, Verhältnisse, Volumina, Umrisse, und Intensitäten, bestimmt und mit ihnen wesentlich assoziiert sein.
Sollte nicht die Lehre von den Verhältnissen, Logik auf Mathematik angewandt sein?
II S.826 (Fragmente und Studien 1799/1800)
Über die mögliche Mythologie (Freyes Fabeltum) des Christentums, und seine Verwandlungen auf Erden. Gott, als Arzt, als Geistlicher, als Frau, Freund etc. Alles Gute in der Welt ist unmittelbare Wirksamkeit Gottes. In jedem Menschen kann mir Gott erscheinen. Am Christentum hat man Ewigkeiten zu studieren Es wird einem immer höher, und mannigfacher und herrlicher. II S.827 (Fragmente und Studien 1799/1800)
Mitleid mit der Gottheit
Warum kann in der Religion keine Virtuosität stattfinden? Weil sie auf Liebe beruht. Schleiermacher hat eine Art von Liebe, von Religion verkündigt — Eine Kunstreligion — beinah eine Religion wie die des Künstlers, der die Schönheit und das Ideal verehrt. Die Liebe ist frei — Sie wählt das Ärmste und Hilfsbedürftigste am Liebsten.
Gott nimmt sich daher der Armen und Sünder am Liebsten an. Gibt es lieblose Naturen so gibt es auch Irreligiöse.
Religiöse Aufgabe — Mitleid mit der Gottheit zu haben — Unendliche Wehmut der Religion. Sollen wir Gott lieben, so muß er hilfsbedürftigsein. Wiefern ist im Christianismus diese Aufgabe gelöst.
Liebe zu leblosen Gegenständen. Menschwerdung der Menschen. Vorliebe Christi zur Moral.
II S.758/9 (Fragmente und Studien I)
Sinn des Lebens
Wir sind auf einer Mission. Zur Bildung der Erde sind wir berufen. Wenn uns ein Geist erschiene, so würden wir uns sogleich unsrer eignen Geistigkeit bemächtigen — wir würden inspiriert sein, durch uns und den Geist zugleich — Ohne Inspiration keine Geistererscheinung. Inspiration ist Erscheinung und Gegenerscheinung, Zueignung und Mitteilung zugleich.
Der Mensch lebt, wirkt nur in der Idee fort — durch die Erinnerung an sein Dasein. Vor der Hand gibts kein anderes Mittel der Geisterwirkungen auf dieser Welt. Daher ist es Pflicht an die Verstorbenen zu denken. Es ist der einzige Weg in Gemeinschaft mit ihnen zu bleiben. Gott selbst ist auf keine andre Weise bei uns wirksam — als durch den Glauben. II S.240 (Blütenstaub)
Der Zweck unsers Lebens ist Tugendübung — Tugend ist mehr, wie Genießen. Die Natur, oder das absolute Leben, ist das Immanent Genießende — der Geist ist das transzendent produzierende — Sezernierende. Die Welt ist die Sphäre der unvollkommenen Vereinigungen des Geistes und der Natur. Ihre Vollkommene Indifferenzierung bildet das Sittliche Wesen par Excellence — Gott. Das Wesen Gottes besteht in der unaufhörlichen Moralisierung. Wie der reine Himmel die Welt belebt — wie der reine Geist die Welt begeistert — bevölkert —versittlicht Gott die Welt — vereinigt Leben oder Himmel und Geist. 1. Jedes soll Himmel — 2. jedes soll Geist — 3. und jedes Tugend werden. 3 ist die Synthesis von 1. und 2. II S.446 (Physikalisches Studienheft)
Bildungslehre der Natur. Die Natur soll moralisch werden. Wir sind ihre Erzieher — ihre moralischen Tangenten — ihre moralischen Reize.
Läßt sich die Moralität, wie der Verstand etc., objektivieren und organisieren — Sichtbare Moral.
Menschenverhältnislehre. Weil wir jetzt noch ein fremder Reiz für die Natur sind, so ist unser Kontakt mit der Natur auch nur zeitlich. Sie sezerniert uns allmählich wieder — Vielleicht ist es eine Wechselsekretion.
Dito. Wir sind zugleich in und außer der Natur.
Zukunftslehre. (Kosmogogik.) Die Natur wird moralisch sein — wenn sie aus echter Liebe zur Kunst — sich der Kunst hingibt — tut, was die Kunst will — die Kunst, wenn sie aus echter Liebe zur Natur — für die Natur lebt, und nach der Natur arbeitet. Beide müssen es zugleich aus eigner Wahl — um ihrer Selbst willen — und aus fremder Wahl um des Andern willen tun. Sie müssen in sich selbst mit dem Andern und mit sich selbst im Andern zusammentreffen.
Physik und Zukunftslehre. Eine Generation ist der Keim der unendlichen Generation — die das Weltdrama beschließt.
Die echte Generation ist unsre Menschwerdung.
Die gewöhnlichen Generationen sind nur Bedingungs-Prozesse der echten Generation.
II S.485f. (Das allgemeine Brouillon)
Die jetzige Bestimmung und Verteilung eines jeden Individuums in diesem Weltsystem ist wohl nur scheinbar oder relativ, zufällig — historisch — unmoralisch?
Jedes hat nach seinem mitgebrachten Anteil, nach seiner inferierten Relation von Welt (Synthesis von Quantität und Qualität) seinen Platz im Weltsystem erhalten.
Zukunftslehre. Dieser rechtliche Zustand soll ein moralischer werden — und dann fallen alle Schranken, alle Bestimmungen von selbst weg — und jeder ist und hat alles unbeschadet der Andern.
II S.487. (Das allgemeine Brouillon)
Psychologie. Das Sittliche Wesen — das Moralprinzip — ist wohl die Substanz der Seele? Der universale, enzyklopädisierte Willen ist das Moralprinzip. (Universal — unendlich gebildet, der höchsten Ordnung — oder der absoluten Ordnung.) (vielleicht der omniversale Wille - der panharmonische Willen).
II S.527 (Das allgemeine Brouillon)
Wie der Körper mit der Welt in Verbindung steht, so die Seele mit dem Geist. Beide Bahnen laufen vom Menschen aus und endigen in Gott.Beide Weltumsegler brauchen sich in korrespondierenden Punkten ihrer Bahn. Beide müssen auf Mittel denken — trotz der Entfernung beisammen zu bleiben und zugleich, und gemeinschaftlich beide Reisen zu machen. II S.621 (Das allgemeine Brouillon)
Menschenlehre
Mensch werden ist eine Kunst. II S.348 (Vorarbeiten 1798)
Was ist der Mensch?
Der Mensch besteht in der Wahrheit. Gibt er die Wahrheit preis, so gibt er sich selbst preis. Wer die Wahrheit verrät, verrät sich selbst. Es ist hier nicht die Rede vom Lügen, sondern vom Handeln gegen Überzeugung. II S.243 (Blütenstaub)
Was ist der Mensch? Ein vollkommner Trope des Geistes Alle echte Mitteilung ist also <sinnbildlich> sinnbildsam — und sind also nicht Liebkosungen echte Mitteilungen?
Alle Menschen sind Variationen Eines vollständigen Individuums, d.h. einer Ehe. Ein Variationen Akkord ist eine Familie — wozu jede innig verbundene Gesellschaft zu rechnen ist. Wenn eine so einfache Variation, wie Natalie und die schöne Seele, schon ein so tiefes Wohlgefühl erregt, wie unendlich muß das Wohlgefühl dessen sein der das Ganze in seiner mächtigen Symphonie vernimmt? II S.354 (Vorarbeiten 1798)
Der Mensch – Metapher II S.351 (Vorarbeiten 1798)
Individuelle Urform — Charakter meines ursprünglichen Willens. Charakter, aus Instinkt — Charakter, aus Grundsätzen. Je abhängiger vom Zufall und von Umständen — desto weniger bestimmten, ausgebildeten — angewandten Willen. Je mehr dies, je unabhängiger dort.
Kunst allmächtig zu werden — Kunst unsern Willen total realisieren. Wir müssen den Körper, wie die Seele in unsre Gewalt bekommen. Der Körper ist das Werkzeug zur Bildung und Modifikation der Welt — Wir müssen also unsern Körper zum allfähigen Organ auszubilden suchen. Modifikation unsers Werkzeugs ist Modifikation der Welt. II S.376 (Vorarbeiten 1798)
Menschenlehre. Der gewöhnliche oder kleinere Charakter kann unendlich ins Kleine gebildet sein. Der Größere Charakter ebenfalls. Die Funktionen des unendlich Großen Karacters und des unendlich kleinen Charakters, werden den Funktionen des absoluten Mittelcharakters gleich sein. (Atmosphärischer Charakter.)
Menschenlehre. (Sollte der Mensch die Einheit für die Natur (das Weltall) sein i. e. das Differential der unendlich Größen, und das Integral der unendlich kleinen Natur - das allgemeine homogenisierende Prinzip — das Maß aller Dinge — ihr gegenseitiges Realisierungsprinzip — das Organ ihres Kontakts?).
II S.526 (Das allgemeine Brouillon)
Menschenlehre. Der Mensch soll ein vollkommnes und Totales Selbstwerkzeug sein. II S.531 (Das allgemeine Brouillon)
Die Menschenwelt ist das gemeinschaftliche Organ der Götter. Poesie vereinigt sie, wie uns.
Jede Menschengestalt belebt einen individuellen Keim im Betrachtenden. Dadurch wird diese Anschauung unendlich, sie mit dem Gefühl einer unerschöpflichen Kraft verbunden, und darum so absolut belebend. Indem wir uns selbst betrachten, leben wir uns selbst.
Ohne diese sichtbare und fühlbare Unsterblichkeit würden wir nicht wahrhaft denken können.
Diese wahrnehmbare Unzulänglichkeit des irdischen Körpergebildes zum Ausdruck und Organ des inwohnenden Geistes, ist der unbestimmte, treibende Gedanke, der die Basis aller echten Gedanken wird, der Anlaß zur Evolution der Intelligenz, dasjenige was uns zur Annahme einer intelligiblen Welt und einer unendlichen Reihe von Ausdrücken und Organen jedes Geistes, deren Exponent oder Wurzel seine Individualität ist, nötigt. II S.283f. (Blütenstaub)
Was bildet den Menschen, als seine Lebensgeschichte? Und so bildet den großartigen Menschen nichts, als die Weltgeschichte.
Manche Menschen leben besser mit der vergangenen Zeit und der Zukünftigen, als mir der Gegenwärtigen. II S.783 (Fragmente und Studien 1799/1800)
Gleichheit und Menschenrechte
Die absolute Gleichheit ist das höchste Kunststück — das Ideal — aber nicht natürlich — Von Natur sind die Menschen nur relativ gleich — welches die alte Ungleichheit ist — der Stärkere hat auch ein stärkeres Recht. Ebenfalls sind die Menschen von Natur nicht frei, sondern vielmehr mehr oder weniger
gebunden.
Wenig Menschen sind Menschen — daher die Menschenrechte äußerst unschicklich, als wirklich vorhanden, aufgestellt werden.
Seid Menschen, so werden euch die Menschenrechte von selbst zufallen.
II S.656 (Das allgemeine Brouillon)
Menschheit
So ist es mit der Menschheit /— Sie ist im Ganzen und Einzelnen — dieselbe./ Die Ideen erheben zu sich — Sie lassen sich nicht herab: / Prinzip der Vervollkommnung in der Menschheit — Die Menschheit wäre nicht Menschheit — wenn nicht ein tausendjähriges Reich kommen müßte. Das Prinzip ist jeder Kleinigkeit des Alltagslebens — in allem sichtbar. Das Wahre erhält sich immer — Das Gute dringt durch — Der Mensch kommt wieder empor — Die Kunst bildet sich — Die Wissenschaft entsteht — und nur das Zufällige, das Individuale verschwindet — Es ist der Kampf des Vergänglichen mit dem Bleibenden — endlich lernt Herkules die immer wachsende Hydra doch töten — Endlich muß der Sieg a l‘ordre du jour werden — Resultat der erechnetsten, genauesten Kunst — Die Kunst muß über die rohe Masse triumphieren — Übung macht den Meister./ Weisheits-Kunst und Weisheits-Wissenschaft./ II S.203 (Fichte-Studien)
Jetzt regt sich nur hie und da Geist: wann wird der Geist sich im Ganzen regen? wann wird die Menschheit in Masse sich selbst zu besinnen anfangen?
II S.243 (Blütenstaub)
Wie die Philosophie durch System und Staat, die Kräfte des Individuums mit den Kräften der Menschheit und des Weltalls verstärkt, das Ganze zum Organ des Individuums, und das Individuum zum Organ des Ganzen macht — So die Poesie in Ansehung des Lebens. Das Individuum lebt im Ganzen und das Ganze im Individuum. Durch Poesie entsteht die höchste Sympathie und Koaktivität, die innigsteGemeinschaft des Endlichen und Unendlichen.
II S.322 (Vorarbeiten 1798)
Die Menschheit ist <gleichsam> der höhere Sinn unsers Planeten, der Nerv, der dieses Glied mit der Obern Welt verknüpft, das Auge, was er gen Himmel hebt.
II S.354 (Vorarbeiten 1798)
Über die Menschheit. Ihre reine, vollständige Ausbildung muß erst zur Kunst des Individui werden — und von da erst in die großen Völkermassen und dann in die Gattung übergehn. Inwiefern ist sie ein Individuum? II S.209 (Fichte-Studien)
Zur Wissenschaft ist der Mensch nicht allein bestimmt — der Mensch muß Mensch sein — zur Menschheit ist er bestimmt — Universaltendenz ist dem eigentlichen Gelehrten unentbehrlich.
Aber nie muß der Mensch, wie ein Fantast, etwas Unbestimmtes — ein Kind der Fantasie — ein Ideal suchen — Er gehe nur von bestimmter Aufgabe zu bestimmter Aufgabe fort. Eine unbekannte Geliebte hat freilich einen magischen Reiz. Das Streben nach dem Unbekannten — Unbestimmten ist äußerst gefährlich und nachteilig. Offenbarungen lassen sich nicht mit Gewalt erzwingen. II S.793 (Fragmente und Studien 1799/1800)
Ziel – der Mensch soll selbst Gott werden
Enzyklopädistik. Jede Wissenschaft hat ihren Gott der zugleich ihr Ziel ist. So lebt eigentlich die Mechanik vom Perpetuo mobili — und sucht zu gleicher Zeit, als ihr höchstes Problem, ein Perpetuum mobile zu konstruieren. So die Chemie mit dem Menstruo universali — und dem geistigen Stoffe, oder dem Stein der Weisen. Die Philosophie sucht ein erstes und einziges Prinzip. Der Mathematiker die Quadratur des Zirkels und eine Prinzipalgleichung. Der Mensch — Gott. Der Mediziner ein Lebenselixier — eine Verjüngungsessenz und vollkommenes Gefühl und Handhabung des Körpers. Der Politiker einen vollkommnen Staat — Ewigen Frieden — Freier Staat. II S.530 (Das allgemeine Brouillon)
Zukunftslehre der Menschheit. (Theologie.) Alles was von Gott prädiziert wird enthält die Menschliche Zukunftslehre. Jede Maschine, die jetzt vom Großen Perpetuo mobili lebt, soll selbst Perpetuum mobile — jeder Mensch, der jetzt von Gott und durch Gott lebt, soll selbst Gott werden. II S.531 (Das allgemeine Brouillon)
Wenn unsre Intelligenz und unsre Welt harmonieren — so sind wir Gott gleich. II S.486 (Das allgemeine Brouillon)
Poetik des Übels
Theodizee. Wenn nun Gut und Übel seine eigentümlichen Vorzüge hätte, so wäre doch ihre Verknüpfung sehr wünschenswert.
I S.512 (Das allgemeine Brouillon)
Es gibt nichts absolut Böses und kein absolutes Übel
Böse und Gut sind absolut poetische Begriffe. Böse ist eine notwendige Illusion — um das Gute zu verstärken und zu entwickeln — wie der Irrtum zum Behuf der Wahrheit — So auch Schmerz — Häßlichkeit - Disharmonie. Diese Illusionen sind nur aus der Magie der Einbildungskraft zu erklären. Ein Traum erzieht uns, wie in jenem merkwürdigen Märchen. Szientifische Behandlung der Märchen — Sie sind im höchsten Grad lehrreich und ideenvoll. S.657 (Das allgemeine Brouillon)
Bedeutender Zug in vielen Märchen, daß wenn Ein Unmögliches möglich wird — zugleich ein andres Unmögliches unerwartet möglich wird — daß wenn der Mensch sich selbst überwindet, er auch die Natur zugleich überwindet — und ein Wunder vorgeht, das ihm das Entgegengesezte Angenehme gewährt, in Augenblicke als ihm das entgegengesetzte Unangenehme angenehm ward. DieZauberbedingungen z.B. die des Bären in einen Prinzen, in dem Augenblicke, als der Bär geliebt wurde etc. Auch bei den Märchen der beiden Genien. Vielleicht geschähe eine ähnliche Verwandlung, wenn der Mensch das Übel in der Welt liebgewänne — in dem Augenblicke als ein Mensch die Krankheit oder den Schmerz zu lieben anfinge, läge die reizendste Wollust in seinen Armen — die höchst positive Lust durchdränge ihn. Könnte Krankheit nicht ein Mittel höherer Synthesis sein — je fürchterlicher der Schmerz desto höher die darinn verborgene Lust. (Harmonie.) Jede Krankheit ist vielleicht notwendiger Anfang der innigem Verbindung zweier Wesen — der notwendige Anfang der Liebe. Enthusiasmus für Krankheiten und Schmerzen. Tod — eine nähere Verbindung liebender Wesen.
Fängt nicht überall das Beste mit Krankheit an? Halbe Krankheit ist Übel — ganze Krankheit ist Lust — und zwar höhere.
Über die anziehende Krankheit des Übels.
Oder ließe sich das Übel in der Welt vertilgen, wie das Böse? Soll etwa die Poesie die Unlust — wie die Moral das Böse vertilgen?
Übergang des guten Herzens zur Tugend — geht der nicht durch das Böse? — nein, aber durch die Philosophie.
Es gibt nichts absolut Böses und kein absolutes Übel. — Es ist möglich, daß der Mensch sich allmählich absolut böse macht — und so allmählich auch ein absolutes Übel schafft — aber beides sind künstliche Produkte — die der Mensch nach Gesetzen der Moral und Poesie schlechthin annihilieren [zunichte machen] soll — nicht glauben — nicht annehmen.
Nur durch Meinung (welche ein aus Glauben entsprungnes, schaffendes Wissen ist) entsteht und besteht Übel und Böses.
Da Subjekt und Objekt eins sein sollen (nicht sind), vereinigt werden sollen—so wird das scheinbar objektiv Böse, das Übel, und das scheinbar subjektive Übel, das Böse usw. auch vereinigt werden und dadurch ipso facto beides für die tugendhaften Dichter vernichtet, weil sie eins mit dem andern notwendig annihilieren.
Auf einer gewissen Stufe des Bewußtseins existiert jetzt schon kein Übel usw. - und dieses Bewusstsein soll das permanente werden.
So soll auch der Philosoph den Standpunkt des gemeinen Bewußtseins als den Grund alles logischen Übels der Unwahrheit allmählich annihilieren — welches eben dadurch geschieht, daß er den höhern Standpunkt zum herrschenden und endlich einzigen zu machen sucht.
Durch Annihilation des Bösen usw. wird das Gute realisiert — introduziert, verbreitet.
Alles Übel und Böse ist isoliert und isolierend (es ist das Prinzip der Trennung) durch Verbindung wird die Trennung aufgehoben und nicht aufgehoben — aber das Böse und Übel als scheinbare Trennung und Verbindung wird in der Tat durch wahrhafte Trennung und Vereinigung, die nur wechselseitig bestehn, aufgehoben.
Ich vernichte das Böse und Übel usw. durch Philosophieren — Erhöhung — Richtung des Bösen und Übels auf sich selbst, welches beim Guten und der Lust usw. gerade umgekehrt der Fall ist.
(Böse Behandlung des Bösen — Kriminaljustiz.)
(Anwendung des Grundsatzes Minus mit Minus usw.)
II S.628/9 (Das allgemeine Brouillon)
Es gibt gar kein eigentliches Unglück in der Welt — Glück und Unglück stehn in beständiger Wage. Jedes Unglück ist gleichsam das Hindernis eines Stroms, der nach überwundner Hinderung nur desto mächtiger durchbricht. Nirgends auffallender, als beim Mißwachs in der Ökonomie. II S.814 (Fragmente und Studien III)
Man kann immer zugeben, daß der Mensch einen vorwaltenden Hang zum Bösen hat — desto besser ist er von Natur — denn nur das Ungleichartige zieht sich an.
Böse Menschen müssen das Böse aus Haß gegen die Bösen tun. Sie halten alles für böse — und dann ist ihr zerstörender Hang sehr natürlich — denn sowie das Gute das Erhaltende, so ist das Böse das Zerstörende. Dies reibt sich am Ende selbst auf, und widerspricht sich sogar im Begriff, dahingegen jenes sich selbst bestätigt und in sich selbst besteht und fortdauert. Die Bösen müssen wider ihren, und mit ihrem Willen zugleich böse handeln. Sie fühlen, daß jeder Schlag sie selbst trifft, und doch können sie das Schlagen nicht lassen. Bosheit ist nichts, als eine Gemütskrankheit, die in der Vernunft ihren Sitz hat — und daher so hartnäckig und nur durch ein Wunder zu heilen ist. II S.398 (Vorarbeiten 1798)
Teleologie. Alles, was wegzuwünschen ist, ist nur falsche Meinung — Irrtum. Krankheit und Übel sind solches nur in der und durch die Einbildung — sie sind nicht zu statuieren. II S.475 (Das allgemeine Brouillon)
Unwahrheit ist die Quelle alles Bösen und Üblen
Unwahrheit hat von einem höhern Gesichtspunkte noch eine viel schlimmere Seite, als die Gewöhnliche. Sie ist der Grund einer falschen Welt— Grund einer unauflöslichen Kette von Verirrungen und Verwicklungen. Unwahrheit ist die Quelle alles Bösen und Üblen. / Absolut Setzendes Falschen, ewiger Irrtum./ Eine Unwahrheit gebiert Unzählige. Eine absolut gesetzte Unwahrheit ist so unendlich schwer, auszurotten.
II S.384 (Vorarbeiten 1798)
Gott und Teufel?
Alle Ängstlichkeit kommt vom Teufel. Der Mut und die Freudigkeit ist von Gott. I S.487 (Tagebücher)
Teufel und Gott sind die Extreme, aus denen der Mensch entsteht. Teufel ist die vernichtende, Gott die schaffende Kraft. II S.198 (Fichte-Studien)
Sollte der Teufel, als Vater der Lüge, selbst nur ein notwendiges Gespenst sein? Trug und Illusion steht allein der Wahrheit, Tugend und Religion entgegen. II S.841 (Fragmente und Studien III)
Für Gott gibt’s gar keinen Teufel – aber für uns ist er ein leider sehr wirksames Hirngespenst. Reich der Dämonie. II S.842 (Fragmente und Studien III)
Nichtigkeit des Todes
Der Tod macht nur dem Egoismus ein Ende
Die Fähigkeit des Sein Erkennens können wir im Einzelnen finden — wo ein Erkennen ist — ist auch ein Sein. Aus den Veränderungen dieses Einzelnen können wir nicht auf Aufhören des Seins und Erkennens schließen. Als Gattung hören wir nicht auf, aber als Einzelnes. Das Erkennen ist ein allgemeiner Zustand, der nicht an einen einzelnen Fall gebunden ist. Wenn wir von uns sprechen, so reden wir von der Gattung und dem Einzelnen. Unser Ich ist Gattung und Einzelnes — allgemein und besonders. Die zufällige, oder einzelne Form unsers Ich hört nur für die einzelne Form auf — der Tod macht nur dem Egoismus ein Ende. Die einzelne Form bleibt nur für das Ganze, insofern sie eine Allgemeine geworden war. Wir sprechen vom Ich — als Einem, und es sind doch Zwei, die durchaus verschieden sind — aber absoluteKorrelata. Das Zufällige muß schwinden, das Gute muß bleiben. Das Zufällige war zufällig, das wesentliche bleibt wesentlich.
Was du wirklich liebst, das bleibt Dir.
Man weiß nicht, was man wünscht, wenn man das Zufällige fixieren möchte — über Liebe.
/Das Zufällige will man zufällig./
Das Allgemeine jedes Augenblicks bleibt, denn es ist im Ganzen. In jedem Augenblicke, in jeder Erscheinung wirkt das Ganze — die Menschheit, das Ewige ist allgegenwärtig — denn sie kennt weder Zeit noch Raum — wir sind, wir leben, wir denken in Gott, denn dies ist die personifizierte Gattung.
Es ist nicht in unserm Sinn ein Allgemeines, ein Besonderes. Kannst du sagen es ist hie, oder dort?
Es ist alles, es ist überall; In ihm leben, weben und werden wir sein.
Alles Echte dauert ewig — alle Wahrheit — alles Persönliche. II S.158f. (Fichte-Studien)
Die Natur ist Feindin ewiger Besitzungen. Sie zerstört nach festen Gesetzen alle Zeichen des Eigentums, vertilgt alle Merkmale der Formation. Allen Geschlechtern gehört die Erde — jeder hat Anspruch auf alles. Die Frühern dürfen diesem Primogeniturzufalle [Erstgeburtsrecht] keinen Vorzug verdanken. Das Eigentumsrecht erlischt zu bestimmten Zeiten. Die Amelioration [Verbesserung] und Deterioration [Verschlechterung, Unbrauchbarmachung] steht unter unabänderlichen Bedingungen. Wenn aber der Körper ein Eigentum ist, wodurch ich nur die Rechte eines aktiven Erdenbürgers erwerbe, so kann ich durch den Verlust dieses Eigentums nicht mich selbst einbüßen — Ich verliere nichts, als die Stelle in dieser Fürstenschule — und trete in eine höhere Korporation, wohin mir meine geliebten Mitschüler nachfolgen. II S.230 (Vermischte Bemerkungen)
Mittel zum Leben
Leben ist der Anfang des Todes. Das Leben ist um des Todes willen. Der Tod ist Endigung und Anfang zugleich — Scheidung und nähere Selbstverbindung zugleich. Durch den Tod wird die Reduktion [Zurückführung] vollendet. II S.230 (Vermischte Bemerkungen)
Fluch des Gemeingeists ist Tod. II S.266 (Vermischte Bemerkungen)
Alles muß Lebensmittel werden. Kunst aus allem Leben zu ziehn. Alles zu beleben ist der Zweck des Lebens. Lust ist Leben. Unlust ist Mittel zur Lust — wie Tod Mittel zum Leben. II S.350 (Vorarbeiten 1798)
Schlaf Analogon des Todes. Kurzer - aber öfterer Schlaf. Seine Restaurierende Wirkung. Es ist ein Zeichen, daß man ordentlich geschlafen hat — wenn man gleich munter ist. Je weniger Schlaf man braucht — desto vollkommner ist man. Eine augenblickliche Unterbrechung stärkt fast mehr, als eine Lange. Halbes Bewußtsein im Schlafe. Die sonderbaren Traumbilder. Das Leben ein Traum. /Die Zeit verschmilzt Gegenstände in einander./ Jede Aussicht auf eine Zukunft voll kräftigen, mannigfachen Lebens ist eine Morgenaussicht.
Poetische Kurve der Sonne. Das Leben endigt, wie der Tag und ein vollkommnes Schauspiel — wehmütig — aber mit erhabener Hoffnung. Der Abend ist sentimental, wie der Morgen naiv ist. Der Morgen muß streng, und geschäftig — der Abend üppig sein. Auch die Arbeit muß gegen Mittag zu wachsen und gegen das Essen zu sich etwas wieder vermindern. Früh keine Gesellschaft. Man ist Morgens jung und Abends alt. Jeder Abend muß unser Testament finden — und unsre Sachen in Ordnung. Eine <Geliebte> Verbindung, die auch für den Tod geschlossen ist — ist eine Hochzeit — die uns eine Genossin für die Nacht gibt. Im Tode ist die Liebe, am süßesten; für den Liebenden ist der Tod eine Brautnacht — ein Geheimnis süßer Mysterien. II S.411 (Vorarbeiten 1798)
Bindung ist simultane Freiheit. Im Neutral oder Indifferenzpunkte sind beide Opposita gänzlich frei — eine wirkt zugleich mit der Andern und dies macht beide insensibel. Seele und Materie sind insensibel in ihrer gänzlichen wechselseitigen Durchdringung —
a = b.
Gebunden im gewöhnlichen Sinn sind beide in gegenseitigen verkehrten Verhältnissen. Das Maximum und Minimum ist schlechthin Gebunden. Wie im Indifferenzpunkte beide sich nur absolut scheinbar für einen Dritten gegenseitig aufheben — insensibel sind — so sind im absoluten Differenzpunkte beide in der Tat gegenseitig aufgehoben und scheinbar jede absolut Sensibel. (absoluter Reiz) (Absolut nährend — und absolut zehrend.)
Hier wird nun der absolute Tod eine absolute Größe — die sich nie auf endlichen Wegen erreichen läßt — der absolute Tod enthält die Möglichkeit des absoluten Lebens — Der Tod ist polarisch — das Leben durchaus synthetisch. Aus der Wechselsättigung eines Plus und Minus-Todes entspringt das Leben. Tod ist das Einfache das Element. Die absolut polarischen Elemente im Wechselsättigungszustande konstituieren das absolute Leben. Unvollkommne Elemente, + und — Elemente konstituieren - auch nur ein unvollkommnes Leben -. weil sie sich nicht vollkommen saturieren [sättigen] — durchdringen können und also keine vollkommne Harmonie stattfinden kann.
Das vollkommne Leben ist der Himmel. Die Welt ist der Inbegriff des unvollkommnen Lebens. Das Insensible propter Harmoniam ist die Substanz — Das vollkommne Leben ist also die Substanz die Welt ist der Inbegriff seiner Akzidenzen. Was wir hier Tod nennen ist eine Folge des absoluten Lebens, des Himmels — daher die unaufhörliche Zerstörung alles Unvollkommnen Lebens — diese fortwährende Verdauung, dieses unaufhörliche Bilden neuer Freßpunkte — neuer Mägen — dieses beständige Fressen und machen — Absolutes Leben — absolutes Genießen. Jedes Soll zum Himmel werden. II S.445f. (Physikalisches Studienheft)
Wir nennen den Körper tot — der bloßer Leiter der Sollizitation [Reiz] ist — den die Sollizitation nicht weckt. Der absolute Nichtleiter der Sollizitation ist wieder tot zu nennen. So sehn wir, daß sensible Leben an sich ein Halbzustand ist — worin wir die Körper unvollkommne Leiter der Sollizitation nennen.
Wir entdecken hier zugleich den Unterschied zwischen Leben und Tod — daß es ein absolut positives und negatives Leben die beide nicht sensibel sind — gibt — daß Leben und Tod relative Begriffe sind.
Leben mit menschlicher, tierischer und Pflanzen-Organisation ist Etwas Höheres — sowie gewöhnlicher Tod —Trennungsprozess von Leben und Organisation. II S.455 (Physikalische Fragmente)
Der Tod ist das romantisierende Prinzip unsres Lebens. Der Tod ist – das Leben +. Durch den Tod wird das Leben verstärkt. II S.756 (Fragmente und Studien I)
Der jüngste Tag
Der Jüngste Tag ist die Synthesis des jetzigen Lebens und des Todes (des Lebens nach dem Tode). II S.351 (Vorarbeiten 1798)
Als irdische Wesen streben wir nach geistiger Ausbildung - nach Geist überhaupt.
Als außerirdische, geistige Wesen, nach irdischer Ausbildung — nach Körper überhaupt.
Nur durch Sittlichkeit gelangen wir beide zu unsern Zwecken. Ein Dämon, der erscheinen kann — wirklich erscheinen — muß ein guter Geist sein. So wie der Mensch (der wirklich Wunder kann) — der wirklich mit den Geistern Umgang pflegen kann. Ein Mensch der Geist wird — ist zugleich ein Geist, der Körper wird. Diese höhere Art von Tod, wenn ich mich so ausdrücken darf, hat mit dem gemeinen Tode nichts zu schaffen — es wird etwas sein, was wir Verklärung nennen können.
Der jüngste Tag wird kein einzelner Tag, sondern nichts, als diejenige Periode sein — die man auch das tausendjährige Reich nennt.
Jeder Mensch kann seinen jüngsten Tag durch Sittlichkeit herbeirufen. Unter uns währt das tausendjährige Reich beständig. Die Besten unter uns, die schon bei ihren Lebzeiten zu der Geisterwelt gelangten — sterben nur scheinbar — sie lassen sich nur scheinbar sterben — so erscheinen auch die guten Geister, die bis zur Gemeinschaft mit der Körperwelt ihrerseits gelangten — nicht, um uns nicht zu stören. Wer hier nicht zur Vollendung gelangt, gelangt vielleicht drüben — oder muß eine abermalige irdische Laufbahn beginnen.
Sollte es nicht auch drüben einen Tod geben — dessen Resultat irdische Geburt wäre.
So wäre das Menschengeschlecht kleiner — an Zahl geringer, als wir dächten. Doch läßt es sich auch noch anders denken.
Gespenster – indirekte, falsche, täuschende Verklärung – Resultat der Verfinsterung. Nur dem Weisen, dem schon hienieden Verklärten – erscheinen körperliche Geister. II S.447f. (Physikalisches Studienheft)
Tod ist Verwandlung
Der Tod ist eine Selbstbesiegung — die, wie alle Selbstüberwindung, eine neue, leichtere Existenz verschafft./ II S.230 (Vermischte Bemerkungen)
Über den gegenwärtigen Moment — oder den immerwährenden Erstarrungsprozeß der irdischen Zeit — Sie hat eine sonderbare Lebensflamme. Die Zeit macht auch alles, wie sie auch alles zerstört — bindet — trennt.
Natur der Erinnerung — Seelenflamme — besondres Leben der Seele — innre Lebensweise — der Erstarrungsprozeß.
Dies rührt von der Berührung einer 2ten Welt — eines 2ten Lebens her — wo alles entgegengesetzt ist.
Wir springen, wie ein elektrischer Funken, in die Andre Welt hinüber etc. Zunahme der Kapazität. Tod ist Verwandlung — Verdrängung des Individualprinzips — das nun eine neue haltbarere, fähigere Verbindung eingeht. II S.492 (Das allgemeine Brouillon)
Wenn unser körperliches Leben — ein Verbrennen ist, so ist wohl auch unser Geistiges Leben eine Kombustion [Verbrennen] (oder ist dies gerade umgekehrt?) Der Tod also vielleicht eine Veränderung der Kapazität. II S.755 (Fragmente und Studien I)
Das Zentrum der Krankheiten
Merkmal der Krankheit — der Selbstzerstörungsinstinkt — So alles Unvollkommne — so selbst das Leben — oder besser der organische Stoff.
Aufhebung des Unterschieds zwischen Leben und Tod. Annihilation des Todes. II S.417 (Vorarbeiten 1798)
(Wahres Leben — Falsches Leben — täuschende Symptome — Krankheiten sind lebendig scheinende Todte (Gift und Tod ist Eins) — Tod/te mit Merkmalen des Lebens — Leben mit Merkmalen des Todes — Scheintod — Scheinkrankheit — Schein Gift. Krankheiten sind partielle Überwältigungen — Individualveränderungen. Tod ist Generalüberwältigung. Der Tod ist das Zentrum der Krankheiten.) II S.497 (Das allgemeine Brouillon)
Manche Stoffe sind gar nicht animiert, diese heißen tot im strengern Sinn. Relativ tot kann ein Körper heißen, dessen Seele durch keine gehörige Berührung reg ist — Relativer Tod ist Schlummer. Es gibt oft einen scheinbaren Schlummer, sowie einen scheinbaren Tod. Ohne die Chemie würden wir eine große Menge Körper tot nennen, die es im Grunde nicht sind. Die Seele ist ebenfalls gradfähig. Die einfachste Seele ist auch die schwächste — und daher nur durch die gewaltsamsten Reizmittel oder einen langanhaltenden Reiz zu erregen. II S.577 (Das allgemeine Brouillon)
Physiologie. Tod ist nichts, als Unterbrechung des Wechsels zwischen innrem und äußerm Reiz — zwischen Seele und Welt. Das Mittelglied — das Produkt gleichsam dieser beiden unendlichen veränderlichen Größen ist der Körper, das Erregbare — oder besser das Medium der Erregung. Der Körper ist das Produkt und zugleich das Modifikans der Erregung — eine Funktion von Seele und Welt — diese Funktion hat ein Maximum und Minimum, ist dies erreicht, so hört der Wechsel auf. Der Tod ist natürlich zweifach. Das Verhältnis zwischen x und y ist vor und rückwärts veränderlich — die Funktion im Ganzen ist aber auch veränderlich. Das Maß der Konstitution ist der Erweiterung und der Verengerung fähig. Der Tod läßt sich also in unbestimmte Fernen hinaussetzen. Die Lebensordnungslehre im strengern Sinn enthält eigentlich die Kunst der Konstisutions-Bildung und Verbesserung. II S.549 (Das allgemeine Brouillon)
Freier Tod des Geistes – Freier Tod des Menschen
Wenn ein Geist stirbt – wird er Mensch. Wenn der Mensch stirbt wird er Geist
Freier Tod des Geistes – Freier Tod des Menschen.
Was korrespondiert der menschlichen Existenz drüben? – die Dämonen oder Genienexistenz – denen der Körper das ist, was uns die Seele ist.
II S.456 (Physikalische Fragmente)
Unser Geist ist eine Assoziationssubstanz — Aus Harmonie - Simultaneität des Mannigfachen geht er hervor und erhält sich durch sie. (Er ist eine Gicht — ein spielendes Wesen.)
Der Geist ist das Soziale, Konkatenierende Prinzip — Nur ein Geist — eine Assoziation hat ihm das Dasein gegeben.
Der Tod versetzt ihn in der großen Assoziation irgendwo anders hin — Assoziationsgesetze — er wird irgendwo anders erweckt —
II S.698 (Das allgemeine Brouillon)
Poesie der mystischen Magie
Höhere Kräfte
In allen wahrhaften Schwärmern und Mystikern haben ohne Zweifel höhere Kräfte gewirkt – freilich sind seltsame Mischungen und Gestalten daraus entstanden. Je roher und bunter der Stoff, je geschmackloser, je unausgebildeter und zufälliger der Mensch war, desto sonderbarer seine Geburten. Es dürfte größestenteils verschwendete Mühe sein — diese groteske wunderliche) Masse zu säubern, zu läutern und zu erklären — wenigstens ist jetzt die Zeit noch nicht da, wo sich dergleichen Arbeiten mit leichter Mühe verrichten ließen. Dies bleibt den künftigen Historikern der Magie vorbehalten. Als sehr wichtige Urkunden der allmälichen Entwickelung der magischen Kraft sind sie sorgfältiger Aufbewahrung und Sammlung wert.
Magie ist = Kunst, die Sinnenwelt willkürlich zu gebrauchen. II S.334/5 (Vorarbeiten 1798)
Personalität des Universums
Jedes Willkürliche, Zufällige, Individuelle kann unser Weltorgan werden. Ein Gesicht, ein Stern, eine Gegend, ein alter Baum usw. kann Epoche in unserm Innern machen — Dies ist der große Realismus des Fetischdienstes. II S.839 (Fragmente und Studien 1799/1800)
Physikalische Philosophie. Wenn die Einheit x das Positive ist, so ist die Vielheit y das Negative. Das Produkt ist dieNeutralisationssphäre von x und y — oder die Allheit.
Einem bestimmten x entspricht ein bestimmtes y — oder eine bestimmte Vielheit. (z.B. von Bedingungen —)
Bestimmte x und y kann es aber vor bestimmten Allheiten z nicht geben. Z ist also das Erste — Primitive — eine allbestimmbare Allheit. Z wird dann durch Berührung eines andern Z in y und zersetzt — das allbestimmbare Z natürlich in allbestimmbare y und x.
Alles Bestimmte ist nur insofern bestimmt, und individuell - als es schon in einem System oder z begriffen ist. Jedes wäre isoliert ein Universum — ein allbestimmbares Z. II S.486f. (Das allgemeine Brouillon)
Kosmologie. Der Stein ist nur in diesem Weltsystem Stein und von Pflanze und Tier verschieden.
Sollten die Pflanzen etwa die Produkte der weiblichen Natur und des männlichen Geistes — und die Tiere die Produkte der männlichen Natur und des weiblichen Geistes sein? Die Pflanzen etwa die Mädchen — die Tiere die Jungen der Natur?
Oder sind die Steine Produkte der Wurzelgeneration — Pflanzen — der Generation² — Tiere — der Generation³ — und Menschen — der Generation hoch n oder unendlich? II S.487 (Das allgemeine Brouillon)
Naturlehre. Sind alle Exkremente befruchtende Potenzen. vid. den Mist. Unterschied zwischen Tier und Pflanzendünger. Menschenkeime gedeihen auch schneller und üppiger, wenn sie durch höhern Mist befruchtet werden.
Wie wir den Pflanzenboden düngen, so düngen uns die Pflanzen den Luftboden. Die Pflanzen sind Erdenkinder— Wir Kinder des Äthers (Erde für Starr — Äther, für Flüssig) Die Lunge ist eigentlich unser Wurzelkern — Wir leben, wenn wir Atmen und fangen unser Leben mit Atmen an.
Wir fressen die Pflanze, und sie gedeihen in unserm Moder. Was uns das Fressen ist, das ist den Pflanzen die Befruchtung. Empfangen ist das weibliche Genießen — Verzehren das Männliche. (Ein Säufer ist einer liederlichen Frau zu vergleichen) Das Befruchten ist die Folge des Essens — es ist die umgekehrte Operation — dem Befruchten steht das Gebären, wie dem Essen, das Empfangen entgegen. /Der Mann ist auch Weib, so wie das Weib Mann — entsteht etwa hieraus die verschiedne Schamhaftigkeit?!
Religionsgeschichte. Vorstellung der Gottheit, als eines Verzehrenden und befruchtenden Wesens. [Jeanne Marie Bouvier de la Motte] Guyon.Nonnen. Bei Mönchen hat Onanie und Päderastie daraus entstehn müssen. II S.494f. (Das allgemeine Brouillon)
Krankheiten der Pflanzen sind Animalisationen. Krankheiten der Tiere Rationalisationen. Krankheiten der Steine — Vegetationen.
Sollte nicht jeder Pflanze ein Stein, und ein Tier entsprechen.
Realität der Sympathie. Parallelismus der Naturreiche.
Pflanzen sind gestorbene Steine.
Tiere — gestorbene Pflanzen, etc.
Theorie der Metempsychose.
Gebrauch mineralischer Substanzen — der Erden, der Metalle. Unterschied zwischen Krankheiten und Verletzungen — Eins kann aus dem Andern entstehen, und muß vielleicht auseinander entstehn.
Die Himmelskörper machen ein viertes Reich aus, unter den Steinen.
Chemismus geht durch Zwischenglieder vielleicht durch Akustik in Mechanik über.
Jede Krankheit kann man Seelenkrankheit nennen.
Die Bäume scheinen unter allen Pflanzen die Edelsten, weil ihre unzähligen Individuen so sehr mittelbar nur noch an der Erde hängen und gleichsam schon Pflanzen auf Pflanzen sind.
Die Sinne sind an den Tieren, was Blätter und Blüten an den Pflanzen sind. Die Blüten sind Allegorieen des Bewußtseins, oder des Kopfs. Eine höhere Fortpflanzung ist der Zweck dieser höheren Blüte — eine höhere Erhaltung — Bei den Menschen ist es das Organ der Unsterblichkeit — einer progressiven Fortpflanzung — der Personalität. Merkwürdige Folgerungen für beide Reiche.
Das Ursprünglich Starre ist durchaus abstrakt, oder wenn man will, imponderabel — So auch das Ur-Flüssige. II S.824 (Fragmente und Studien 1799/1800)
Wenn Gott Mensch werden konnte, kann, er auch Stein, Pflanze, Tier und Element werden, und vielleicht gibt es auf diese Art eine fortwährende Erlösung in der Natur.
Die Individualität in der Natur ist ganz unendlich. Wie sehr belebt diese Ansicht unsre Hoffnungen von der Personalität des Universums. Bemerkungen über das, was die Alten Sympathie nannten? II S.826 (Fragmente und Studien 1799/1800)
Die Mathematik bezieht sich auch nur auf Recht — rechtliche Natur und Kunst — nicht magische Natur und Kunst. Magisch werden beide nur durch Moralisierung. Liebe ist der Grund der Möglichkeit der Magie. Die Liebe wirkt magisch. Alles Sein soll in ein Haben verwandelt werden. Sein ist einseitig — Haben synthetisch, liberal.
II S.487 (Das allgemeine Brouillon)
Auch das Flüssige ist beseelt — freilich anders, als das Feste. Es ist vielleicht mit der Seele, wie mit der Wärme. Gas entspricht dem Seelenmedium — dem Nervenäther. Heftiger Reiz — (mechanischer — oder Feuerreiz) bewirkt Verdampfung und Verflüchtigung. Entstehung des Seelenmedii — gleichsam Entstehung der Seele selbst.
Bei der Zeugung braucht die Seele den Körper und vice versa vielleicht — Mystizismus dieser Operation. II S.700 (Das allgemeine Brouillon)
Symbole sind Mystifikationen. II S.349 (Vorarbeiten 1798)
Geisterreich
Ehemals war alles Geistererscheinung. Jetzt sehn wir nichts als tote Wiederholung, die wir nicht verstehn. Die Bedeutung der Hieroglyphe fehlt. Wir leben noch von der Frucht besserer Zeiten. II S.334 (Vorarbeiten 1798)
Der erste Mensch ist der erste Geisterseher. Ihm erscheint alles, als Geist. Was sind Kinder anders, als erste Menschen? Der frische Blick des Kindes ist überschwenglicher, als die Ahndung des entschiedensten Sehers.
Die Sieste des Geisterreichs ist die Blumenwelt. In Indien schlummern die Menschen noch immer und ihr heiliger Traum ein Garten, den Zucker und Milchseen umschließen.
Es liegt nur an der Schwäche unsrer Organe, und der Selbstberührung, daß wir uns nicht in einer Feenwelt erblicken. Alle Märchen sind nur Träume von jener heimatlichen Welt, die überall und nirgends ist. Die höhern Mächte in uns, die einst, als Genien, unsern Willen vollbringen werden, sind jetzt Musen, die uns auf dieser mühseligen Laufbahn mit süßen Errinnerungen erquicken. II S.353 (Fragmente oder Denkaufgaben)
Geisterlehre. Die Geisterwelt ist uns in der Tat schon aufgeschlossen — Sie ist immer offenbar. — Würden wir plötzlich so elastisch, als es nötig wäre, so sähen wir uns mitten unter ihr. Heilmethode des jetzigen mangelhaften Zustandes. Ehemals durch Fasten und moralische Reinigungen. Jetzt vielleicht durch die stärkende Methode. II S.536 (Das allgemeine Brouillon)
Jedes Wort ist ein Wort der Beschwörung. Welcher Geist ruft — ein solcher erscheint. II S.313 (Logologische Fragmente)
Alles ist Zauberei
Alle Bezauberung geschieht durch partielle Identifikation mit dem Bezauberten – den ich so zwingen kann, eine Sache so zu sehn, zu glauben, zu fühlen, wie ich will. II S.223 (Fragmentblatt)
Alle geistige Berührung gleicht der Berührung eines Zauberstabs. Alles kann zum Zauberwerkzeug werden. Wem aber die Wirkungen einer solchen Berührung so fabelhaft, wem die Wirkungen eines Zauberspruchs so wunderbar vorkommen, der erinnre sich doch nur an die erste Berührung der Hand seiner Geliebten, an ihren ersten, bedeutenden Blick, wo der Zauberstab der abgebrochne Lichtstrahl ist, an den ersten Kuß, an das erste Wort der Liebe — und frage sich, ob der Bann und Zauber dieser Momente nicht auch fabelhaft und wundersam, unauflöslich und ewig ist. II S.354 (Vorarbeiten 1798)
Ein Lichtstrahl bricht sich noch in etwas ganz Anderes, als in Farben. Wenigstens ist der Lichtstrahl einer Beseelung fähig, wo sich dann die Seele in Seelenfarben bricht. Wem fällt nicht der Blick der Geliebten ein?
Der Baum kann nur zur blühenden Flamme, der Mensch zur sprechenden — das Tier zur wandelnden Flamme werden. II S.424 (Vorarbeiten 1798)
Schemhamphorasch. Name des Namens. Die reale Definition ist ein Zauberwort. Jede Idee hat eine Skale von Namen – der oberste ist absolut und unnennbar. Die Namen werden nach der Mitte zu gemeiner und gehen endlich in antithetische Namen über – von denen der Höchste wieder namenlos ist. II S.382 (Vorarbeiten 1798)
Alle Bezauberung ist ein künstlich erregter Wahnsinn. Alle Leidenschaft ist eine Bezauberung – Ein reizendes Mädchen eine reellere Zauberin als man glaubt.
II S.390 (Teplitzer Fragmente)
Der größeste Zauberer würde der sein, der sich zugleich so bezaubern könnte, daß ihm seine Zaubereien wie fremde, selbstmächtige Erscheinungen vorkämen. Könnte das nicht mit uns der Fall sein? II S.401 (Teplitzer Fragmente)
Alles ist Zauberei oder nichts. Vernunftmäßigkeit der Zauberei. II S.450 (Physikalische Fragmente)
Wahnsinn und Bezauberung haben viel Ähnlichkeit. Ein Zauberer ist ein Künstler des Wahnsinns. II S.801 (Fragmente und Studien II)
Magie der Grammatik
Magie (mystische Sprachlehre). Sympathie des Zeichens mit dem Bezeichneten. (Eine der Grundideen der Kabbalistik.)
Die Magie ist von Philosophie usw. ganz verschieden und bildet eine Welt — eine Wissenschaft — eine Kunst für sich.
Magische Astronomie, Grammatik, Philosophie, Religion, Chemie usw.
Wechselrepräsentationslehre des Universums. Emanationslehre (personifizierte Emanationen).
In der Magie dienen die Geister. Beschauliches Leben. Plato nennt die Magie des Zoroaster einen Dienst der Götter.
Theurgie. Der Weise. Mittler zwischen Gott und Menschen, mit denen sich der Weise vereinigen müsse. Klassifikationssystem der Dämonen. Amulette. Talismane. Beschwörungen. Kalenderreligion der Ägypter. II S.499 (Das allgemeine Brouillon)
Überall liegt eine grammatische Mystik, wie mir scheint zum Grunde — die sehr leicht das erste Erstaunen über Sprache und Schrift erregen konnte. (Die wilden Völker halten die Schrift noch jezt für Zauberei.)
Hang zum Wunderbaren und Geheimnisvollen ist nichts als das Streben — nach unsinnlichen — geistigen Reiz. Geheimnisse sind Nahrungsmittel — inzitierende Potenzen. Erklärungen sind verdaute Geheimnisse. II S.500 (Das allgemeine Brouillon)
Die magische Macht der Gedanken
Auf dieselbe Art, wie wir unser Denkorgan in beliebige Bewegung setzen — seine Bewegung beliebig modifizieren — dieselbe und ihre Produkte beobachten — und mannigfaltig ausdrücken — auf dieselbe Art, wie wir die Bewegungen des Denkorgans zur Sprache bringen — wie wir sie in Gebärden äußern — in Handlungen ausprägen, wie wir uns überhaupt willkürlich bewegen und aufhalten — unsre Bewegungen vereinigen und vereinzeln — aus eben dieselbe Art müssen wir auch die innern Organe unsers Körpers bewegen, hemmen, vereinigen und vereinzeln lernen. Unser ganzer Körper ist schlechterdings fähig, vom Geist in beliebige Bewegung gesetzt zu werden. Die Wirkungen der Fucht, des Schreckens — der Traurigkeit, des Zorns — des Neides — der Scham, der Freude, der Phantasie usw. sind Indikationen genug —, Überdem aber hat man genugsam Beispiele von Menschen — die eine willkürliche Herrschaft über einzelne, gewöhnlich der Willkür entzogene Teile ihres Körpers erlangt haben. Dann wird jeder sein eigner Arzt sein — und sich ein vollständiges, sichres und genaues Gefühl seines Körpers erwerben können – dann wird der Mensch erst wahrhaftig unabhängig von der Natur, vielleicht imstande sogar sein, verlorne Glieder zu restaurieren sich bloß durch seinen Willen zu töten, und dadurch erst wahre Aufschlüsse über Körper — Seele — Welt — Leben — Tod und Geisterwelt zu erlangen. Es wird vielleicht nur von ihm davon abhängen einen Stoff zu beseelen — Er wird seine Sinne zwingen ihm die Gestalt zu produzieren, die er verlangt — und im eigentlichsten Sinn in seiner Welt leben können. Dann wird er vermögend sein sich von seinem Körper zu trennen — wenn er es für gut findet — er wird sehn, hören — und fühlen was, wie und in welcher Verbindung er will.
Fichte hat den tätigen Gebrauch des Denkorgans gelehrt — und entdeckt. Hat Fichte etwa die Gesetze des tätigen Gebrauchs der Organe überhaupt entdeckt? Intellektuale Anschauung ist nichts anders. II S.372/3 (Vorarbeiten 1798)
Gibt es noch außersinnliche Erkenntnis? Ist noch ein anderer Weg offen, aus sich selbst herauszugehn und zu andern Wesen zu gelangen, oder von ihnen affiziert zu werden? II S.220 (Kant-Studien)
Alles Unwillkürliche soll in ein Willkürliches verwandelt werden. II S.378 (Vorarbeiten 1798)
Der tätige Gebrauch der Organe ist nichts als magisches wundertätiges Denken, oder willkürlicher Gebrauch der Körperwelt — denn Wille ist nichts als magisches, kräftiges Denkvermögen. II S.708 (Das allgemeine Brouillon)
Das Denken ist, wie die Blüte, gewiß nichts, als die feinste Evolution der plastischen Kräfte - und nur die allgemeine Naturkraft in der natürlichen Dignität. [Rang, Wert, Bedeutung] Die Denkorgane sind die Weltzeugungs — die Naturgeschlechtsteile. II S.719 (Das allgemeine Brouillon)
Auch unsre Gedanken sind wirksame Faktoren des Universums.
Manche haben mehr eine räumliche Personalität — andre mehr eine Zeitliche. Sollte dies der Unterschied unter Helden und Künstlern sein?
II S.826 (Fragmente und Studien 1799/1800)
Über sogenannte gefährliche Gedanken – nähern sich etwa manche Gedanken der magischen Grenze? – werden manche ipso facto wahr?
II S.768 (Fragmente und Studien 1799/1800)
Daß überall das Höchste, das Allgemeinste, das Dunkelste mit im Spiel ist, und daher jede Untersuchung bald auf dunkle Gedanken stoßen muß ist sicher.
II S.792 (Fragmente und Studien 1799/1800)
Alles Mystische ist personell – und mithin eine Elementarvariation des Weltalls. II S.345 (Vorarbeiten 1798)
Mystizismus und wirkliche Welt.
Was ist Mystizismus - was muß mystisch (geheimnisvoll) behandelt werden? Religion, Liebe, Staat -
Alles Auserwählte bezieht sich auf Mystizismus. Wenn alle Menschen ein paar Liebende wären, so fiele der Unterschied zwischen Mystizismus und Nicht-Mystizismus weg.
Schönheit und Sittlichkeit sind fast wie Licht und Wärme der Geisterwelt — Man wird durch ihre genauere Kenntnis — Verwandtschaften — ihre Analogie, wie durch jene die Wissenschaftskunde der Sternwelt, so, durch diese die Geisterweltskunde begründen und ausführen können.
Tötet der Mytizismus die Vernunft?
II S.660 (Das allgemeine Brouillon)
Mystischer Glaube und Anhänglichkeit an das was einmal da ist, das Alte, Bekannte — und mystische Hoffnung und Freude auf alles, was da kommen soll — das Neue, Unbekannte — dies sind sehr wichtige Charakterzüge der bisherigen Menschheit. II S.327 (Vorarbeiten 1798)
Vermischtes. Reizbarkeit und Sensibilität stehn in ähnlichen Verhältnissen als Seele und Körper — oder Geist und Mensch oder Welt. Die Welt ist der Makroanthropos. Es ist ein Weltgeist, wie es eine Weltseele gibt. Die Seele soll Geist —. der Körper Welt werden. Die Welt ist noch nicht fertig — so wenig wie der Weltgeist — Aus einem Gott soll ein Allgott werden. Aus einer Welt — ein Weltall. Gemeine Physik — höhere Physik. Der Mensch ist gemeine Prosa — er soll höhere Prosa — allumfassende Prosa werden. Bildung des Geistes ist Mitbildung des Weltgeistes — und also Religion. Der Geist wird aber durch die Seele gebildet — denn die Seele ist nichts als gebundener, gehemmter, konsonierter Geist. Universalschranke, die alle Schranken übersteigen hilft, die alle Schranken in unsre Gewalt gibt, wie Oxygen und Menstruum universale usw. Die Antiphlogistiker machen das Oxygen zum Stein der Weisen. Bildung der Seele ist also Mitbildung der Weltseele — und also indirekt religiöse Pflicht. (Kinderreligion, Kindermoral usw.) II S.551/2 (Das allgemeine Brouillon)
In Geheimnis-Stand erheben. Das Unbekannte ist der Reiz des Erkenntnisvermögens. Das Bekannte reizt nicht mehr. Absolut Unbekanntes gleich absoluter Reiz. Praktisches Ich. Das Erkenntnisvermögen ist sich selbst der höchste Reiz — das absolut Unbekannte. Unbekannte Obern in den Wissenschaften. Mystifikation.
II S.379 (Vorarbeiten 1798)
Kosmologie. Das Äußre ist ein in Geheimniszustand erhobnes Innre — (Vielleicht auch umgekehrt.) Das Organ ist das Integral und Differential dieser entgegengesetzten unendlichen Geheimnisse — zugleich aber das homogeneisierende Prinzip — das wechselseitig realisierende Prinzip — das Maß beider — oder ihre Funktion überhaupt. Man kann es auch das potenzierende Prinzip nennen — insofern Geheimnis der Dignitätszustand ist — relative Dignität — relatives Geheimnis. Das Organ ist das Trennende — Verbergende — Verhüllende — Isolierende.Die Mittelbarkeit verstärkt die Unmittelbarkeit auf der andern Seite. Je vollkommner auf einer Seite isoliert, desto vollkommner auf der andern verbunden — desto harmonischer. (Indem sich die Organe berühren, harmonieren die Seelen. — (Ohne Trennung keine Verbindung. Berührung ist Trennung und Verbindung zugleich.)
Zwei werden durch den Dritten getrennt und verbunden. II S.527 (Das allgemeine Brouillon)
Kosmologie. Die innre Welt ist gleichsam mehr mein als die äußre. Sie ist so innig, so heimlich — Man möchte ganz in ihr leben — Sie ist so vaterländisch. Schade, daß sie so traumhaft, so ungewiß ist. Muß denn gerade das Beste, das Wahrste so scheinbar — und das Scheinbare so wahr aussehn? / Was außer mir ist, ist gerade in mir, ist mein — und umgekehrt. II S.614 (Das allgemeine Brouillon)
Der Sinn für Poesie hat viel mit dem Sinn für Mystizismus gemein. Er ist der Sinn für das Eigentümliche, Personelle, Unbekannte, Geheimnisvolle, zu Offenbarende, das NotwendigZufällige. Er stellt das Undarstellbare dar. Er sieht das Unsichtbare, fühlt das Unfühlbare etc. Kritik der Poesie ist Unding. Schwer schon ist zu entscheiden, doch einzig mögliche Entscheidung, ob etwas Poesie sei, oder nicht. Der Dichter ist wahrhaft sinnberaubt — dafür kommt alles in ihm vor. Er stellt im eigentlichsten Sinn Subjekt/ Objekt vor — Gemüt und Welt. Daher die Unendlichkeit eines guten Gedichts, die Ewigkeit. Der Sinn für Poesie hat nahe Verwandtschaft mit dem Sinn der Weissagung und dem religiösen, dem Sehersinn überhaupt. Der Dichter ordnet, vereinigt, wählt, erfindet — und es ist ihm selbst unbegreiflich, warum gerade so und nicht anders. II S.840 (Fragmente und Studien 1799/1800)
Der Naturstaat ist Res privata (Mystisch) und Res publica zugleich. /Mystizismus der Natur. Isis — Jungfrau — Schleier — Geheimnisvolle Behandlung der Naturwissenschaft./ Wissenstrieb — Neugierde Geheimnis — Unbekanntes.
Der Wissenstrieb ist aus Geheimnis und Wissen wunderbar gemischt — oder zusammengesetzt.
Mystische Wissenschaften — Menschen Dinge — Zeichen —Töne — Gedanken — Empfindungen Zeiten — Figuren — Bewegungen etc.
(Mystisch — heilig — abgesondert — isoliert.)
Charakter der Offenbarungen direkte — indirekte, oder mystische Offenbarungen.
Wunderbare Kräfte körperlicher Erscheinungen der Schönen Züge — der Gestalt, — der Stimme — der Hautfarbe — der Muskelfülle, und Spannkraft — der Augen — der Gefühlsformen — der Hautbeschaffenheit — des Winkels — des verschloßnen Raums — der Dunkelheit etc. — der Verhüllung. Durch die gewählte Kleidung wird der Körper noch mystischer.
Beobachtungen der Wollust in der ganzen Natur.
(Reiz ist ganz analog dem Begriff Geheimnis — das Geheimnis soll entheimlicht — der Reiz entreizt werden.)
(Gefühl der Weltseele etc, in der Wollust. Gefühl des Genius im Patriotismus, der Religion, der Liebe.)
II S.664 (Das allgemeine Brouillon)
Wahnsinn nach Regeln
Wir haben zwei Systeme von Sinnen, die, so verschieden sie auch erscheinen, doch auf das innigste miteinander verwebt sind. — Ein System heißt der Körper, eins die Seele. Jenes steht in der Abhängigkeit von äußern Reizen, deren Inbegriff wir die Natur oder die äußre Welt nennen. Dieses steht ursprünglich in der Abhängigkeit eines Inbegriffs innerer Reize, den wir den Geist nennen oder die Geisterwelt. Gewöhnlich steht dieses letztere System in einem Assoziationsnexus mit dem andern System — und wird von diesem affiziert. Dennoch sind häufige Spuren eines umgekehrten Verhältnisses anzutreffen, und man bemerkt bald, daß beide Systeme eigentlich in einem vollkommnen Wechselverhältnisse stehn sollten, in welches jedes von seiner Welt affiziert, einen Einklang, keinen Einton bildete. Kurz, beide Welten, sowie beide Systeme sollen eine freie Harmonie, keine Disharmonie oder Monotonie bilden. Der Übergang von Monotonie zur Harmonie wird freilich durch Disharmonie gehn — und nur am Ende wird eine Harmonie entstehn. In der Periode der Magie dient der Körper der Seele oder der Geisterwelt. (Wahnsinn — Schwärmerei.)
Gemeinschaftlicher Wahnsinn hört auf, Wahnsinn zu sein und wird Magie, Wahnsinn nach Regeln und mit vollem Bewußtsein.
Alle Künste und Wissenschaften beruhn auf partiellen Harmonien.
(Poeten, Wahnsinnige, Heilige, Propheten.)
Vermögen, Fertigkeit, nach Belieben Empfindungen hervorzubringen. (Glaube ist eine solche Willkür, Empfindungen hervorzubringen) (verbunden mit dem Bewußt-Sein der absoluten Realität des Empfundnen).
Wenn wir blind, taub und fühllos wären, unsre Seele hingegen vollkommen offen, unser Geist die jetzige äußere Welt, so würde die innere Welt mit uns in dem Verhältnisse stehn wie jetzt die äußre Welt, und wer weiß, ob wir einen Unterschied gewahr würden — wenn wir beide Zustände vergleichen könnten. Wir würden so manches fühlen, wofür uns nur der Sinn fehlte, z. B. Licht, Schall usw. Wir würden nur Veränderungen hervorbringen können — die Gedanken ähnlich wären, und wir würden ein Bestreben fühlen, uns jene Sinne zu verschaffen, die wir jetzt äußre Sinne nennen. Wer weiß, ob wir nicht nachgerade durch mannigfache Bestrebungen Augen, Ohren usw. hervorbringen könnten, weil dann unser Körper so in unsrer Gewalt stände, so einen Teil unsrer innern Welt ausmachte, als Jetzt unsre Seele. Unser Körper dürfte ebenfalls nicht so absolut sinnlos sein, so wenig wie unsre Seele jetzt. Wer weiß, ob er nicht insofern nur sinnlos schiene, weil er einen Teil unsrer Selbst ausmachte und die innere Selbstscheidung, wodurch der Körper erst sehend, hörend und fühlend für unser Bewußtsein würde — unbeschadet des Fortgangs und der Einwirkung unsrer übrigen Welt — jene Operation, wodurch wir uns auf mannigfaltige Art selbst vernähmen, sehr schwierig wäre. Hier würde auch ein absolutes, praktisches und empirisches Ich entstehn.
Dies noch weiter fortgesetzt. Wir würden in jenem Zustande schon darum sinnlos scheinen, weil die Seele die überwiegende, alle Aufmerksamkeit in Erregbarkeit an sich ziehende Potenz wäre — so wie wir schon jetzt oft nicht sehn, hören, fühlen, wenn unsre Seele lebhaft beschäftigt ist und unsre Aufmerksamkeit allein an sich gezogen hat und so vice versa.
Willkür und Zufall sind die Elemente der Harmonie. Willkürliche und zufällige Welt. In beiden Zuständen dasselbe Verhältnis.
Wunderwelt und Naturwelt.
Geisterreich und wirkliche Welt.
Freier Wechsel dieser beiden Zustände. Willkür und Zufall Eins. Wunder und gesetzmäßige Wirkung. Natur und Geist gleich Gott.
Individuen in beiden Zuständen Eins. II S.335-337 (Vorarbeiten 1798)
Die ganze Repräsentation beruht auf einem Gegenwärtigmachen des Nichtgegenwärtigen und so fort — (Wunderkraft der Fiktion.) Mein »Glauben und Liebe« beruht auf repräsentativem Glauben. So die Annahme — der ewige Friede ist schon da — Gott ist unter uns — hier ist Amerika oder nirgends — das goldne Zeitalter ist hier — wir sind Zauberer — wir sind moralisch und so fort. II S.661 (Das allgemeine Brouillon)
Pathologische Philosophie. Ein absoluter Trieb nach Vollendung und Vollständigkeit ist Krankheit, sobald er sich zerstörend und abgeneigt gegen das Unvollendete, Unvollständige zeigt.
Wenn man etwas Bestimmtes tun und erreichen will, so muß man sich auch provisorische bestimmte Grenzen setzen. Wer aber dies nicht will, der ist vollkommen wie der, der nicht eher schwimmen will, bis er‘s kann.
Er ist ein magischer Idealist, wie es magische Realisten gibt. Jener sucht eine Wunderbewegung — ein Wundersubjekt — dieser ein Wunderobjekt — eine Wundergestalt. Beides sind logische Krankheiten — Wahnarten — in denen sich allerdings das Ideal auf eine doppelte Weise offenbart, oder spiegelt — heilige — isolierte Wesen — die das höhere Licht wunderbar brechen — wahrhafte Propheten. So ist auch der Traum prophetisch — Karikatur einer wunderbaren Zukunft.
II S.623 (Das allgemeine Brouillon)
Der geistige Genuß von Blut und Fleisch im Gedächtnismahl
Das gemeinschaftliche Essen ist eine sinnbildliche Handlung der Vereinigung. Alle Vereinigungen außer der Ehe sind bestimmt gerichtete, durch ein Objekt bestimmte und gegenseitig dasselbe bestimmende Handlungen. Die Ehe hingegen ist eine unabhängige Totalvereinigung. Alles Genießen, Zueignen und Assimilieren ist Essen, oder Essen ist vielmehr nichts als eine Zueignung. Alles geistige Genießen kann daher durch Essen ausgedrückt werden. — In der Freundschaft ißt man in der Tat von seinem Freunde oder lebt von ihm. Es ist ein echter Trope, den Körper für den Geist zu substituieren und bei einem Gedächtnismahle eines Freundes in jedem Bissen mit kühner, übersinnlicher Einbildungskraft sein Fleisch und in jedem Trunke sein Blut zu genießen. Dem weichlichen Geschmack unserer Zeiten kommt dies freilich ganz barbarisch vor — aber wer heißt sie gleich an rohes, verwesliches Blut und Fleisch zu denken? Die körperliche Aneignung ist geheimnisvoll genug, um ein schönes Bild der geistigen Meinung zu sein — und sind denn Blut und Fleisch in der Tat etwas so Widriges und Unedles? Wahrlich, hier ist mehr als Gold und Diamant, und die Zeit ist nicht mehr fern, wo man höhere Begriffe vom organischen Körper haben wird.
Wer weiß, welches erhabene Symbol das Blut ist? Gerade das Widrige der organischen Bestandteile läßt auf etwas sehr Erhabenes in ihnen schließen. Wir schaudern vor ihnen wie vor Gespenstern und ahnden mit kindlichem Grausen in diesem sonderbaren Gemisch eine geheimnisvolle Welt, die eine alte Bekanntin sein dürfte.
Um aber auf das Gedächtnismahl zurückzukommen — ließe sich nicht denken, daß unser Freund jetzt ein Wesen wäre, dessen Fleisch Brot und dessen Blut Wein sein könnte?
So genießen wir den Genius der Natur alle Tage und so wird jedes Mahl zum Gedächtnismahl, zum seelennährenden wie zum körpererhaltenden Mahl, zum geheimnisvollen Mittel einer Verklärung und Vergötterung auf Erden, eines belebenden Umgangs mit dem absolut Lebendigen. Den Namenlosen genießen wir im Schlummer — wir erwachen wie das Kind am mütterlichen Busen und erkennen, wie jede Erquickung und Stärkung uns aus Gunst und Liebe zukam, und Luft, Trank und Speise Bestandteile einer unaussprechlichen lieben Person sind. II S.409/10 (Teplitzer Fragmente)
Wir müssen Magier werden
Magie. Der physische Magus weiß die Natur zu beleben und willkürlich, wie seinen Leib, zu behandeln. II S.531 (Das allgemeine Brouillon)
Bildungslehre der Natur. Die Natur soll moralisch werden. Wir sind ihre Erzieher — ihre moralischen Tangenten — ihre moralischen Reize.
Läßt sich die Moralität wie der Verstand usw. objektivieren und organisieren? — Sichtbare Moral.
Zukunftslehre (Kosmogogik). Die Natur wird moralisch sein — wenn sie aus echter Liebe zur Kunst — sich der Kunst hingibt — tut, was die Kunst will — die Kunst, wenn sie aus echter Liebe zur Natur — für die Natur lebt und nach der Natur arbeitet. Beide müssen es zugleich, aus eigner Wahl — um ihrer selbst willen — und aus fremder Wahl um des andern willen tun. Sie müssen in sich selbst mit dem andern und mit sich selbst im andern zusammentreffen.
Wenn unsre Intelligenz und unsre Welt harmonieren — so sind wir Gott gleich. II S.485/6 (Das allgemeine Brouillon)
Theosophie. Wir müssen Magier zu werden suchen, um recht moralisch sein zu können. Je moralischer, desto harmonischer mit Gott desto göttlicher — desto verbündeter mit Gott. Nur durch den moralischen Sinn wird uns Gott vernehmlich. — Der moralische Sinn ist der Sinn fürDasein, ohne äußre Affektion — der Sinn für Bund — der Sinn für das Höchste — der Sinn für Harmonie — der Sinn für frei gewähltes und erfundenes und dennoch gemeinschaftliches Leben — und Sein — der Sinn fürs Ding an sich — der echte Divinationssinn (divinieren, etwas ohne Veranlassung, Berührung, vernehmen). Das Wort Sinn, das auf mittelbare Erkenntnis, Berührung, Mischung, hindeutet, ist hier freilich nicht recht schicklich — indes ist es ein unendlicher Ausdruck — wie es unendliche Größen gibt. Das Eigentliche kann hier nur approximando, zur Notdurft, ausgedrückt werden. Es ist Nicht-Sinn oder Sinn, gegen den jenes Nicht-Sinn ist.
Will ich nun Gott oder die Weltseele in den Himmel setzen? Besser wär es wohl, wenn ich den Himmel zum moralischen Universo erklärte — und die Weltseele im Universum ließe. II S.482 (Das allgemeine Brouillon)
Pansophisierung der Religion
Wahre Religion
Nichts ist zur wahren Religiosität unentbehrlicher als ein Mittelglied, das uns mit der Gottheit verbindet. Unmittelbar kann der Mensch schlechterdings nicht mit derselben in Verhältnis stehn. In der Wahl dieses Mittelglieds muß der Mensch durchaus frei sein. Der mindeste Zwang hierin schadet seiner Religion. Die Wahl ist charakteristisch, und es werden mithin die gebildeten Menschen ziemlich gleiche Mittelglieder wählen, dahingegen der Ungebildete gewöhnlich durch Zufall hier bestimmt werden wird. Da aber so wenig Menschen einer freien Wahl überhaupt fähig sind, so werden manche Mittelglieder allgemeiner werden; sei es durch Zufall, durch Assoziation, oder ihre besondre Schicklichkeit dazu. Auf diese Art entstehn Landesreligionen. Je selbständiger der Mensch wird, desto mehr vermindert sich die Quantität des Mittelglieds, die Qualität verfeinert sich, und seine Verhältnisse zu demselben werden mannigfaltiger und gebildeter: Fetische, Gestirne, Tiere, Helden, Götzen, Götter, Ein Gottmensch. Man sieht bald, wie relativ diese Wahlen sind, und wird unvermerkt auf die Idee getrieben, daß das Wesen der Religion wohl nicht von der Beschaffenheit des Mittlers abhange, sondern lediglich in der Ansicht desselben, in den Verhältnissen zu ihm bestehe.
Es ist ein Götzendienst im weitern Sinn, wenn ich diesen Mittler in der Tat für Gott selbst ansehe. Es ist Irreligion, wenn ich gar keinen Mittler annehme; und in so fern ist Aberglaube und Götzendienst, und Unglaube oder Theismus, den man auch älteren Judaismus nennen kann, beides Irreligion. Hingegen ist Atheismus nur Negation aller Religion überhaupt, und hat also gar nichts mit der Religion zu schaffen. Wahre Religion ist, die jenen Mittler als Mittler annimmt, ihn gleichsam für das Organ der Gottheit hält, für ihre sinnliche Erscheinung. In dieser Hinsicht erhielten die Juden zur Zeit der Babylonischen Gefangenschaft eine echt religiöse Tendenz, eine religiöse Hoffnung, einen Glauben eine künftige Religion, der sie auf eine wunderbare Weise von Grund aus umwandelte, und sie in der merkwürdigsten Beständigkeit bis auf unsre Zeiten erhielt.
Die wahre Religion scheint aber bei einer nähern Betrachtung abermals antinomisch geteilt in Pantheismus und Monotheismus. Ich bediene mich hier einer Lizenz, indem ich Pantheismus nicht im gewöhnlichen Sinn nehme, sondern darunter die Idee verstehe, daß alles Organ der Gottheit, Mittler sein könne, indem ich es dazu erhebe: so wie Monotheismus im Gegenteil den Glauben bezeichnet, daß es nur Ein solches Organ in der Welt für uns gebe, das allein der Idee eines Mittlers angemessen sei, und wodurch Gott allein sich vernehmen lasse, welches ich also zu wählen durch mich selbst genötigt werde: denn ohnedem würde der Monotheismus nicht wahre Religion sein.
So unverträglich auch beide zu sein scheinen, so läßt sich doch ihre Vereinigung bewerkstelligen, wenn man den monotheistischen Mittler zum Mittler der Mittelwelt des Pantheismus macht, und diese gleichsam durch ihn zentriert, so daß beide einander jedoch auf verschiedene Weise notwendig machen.
Das Gebet, oder der religiöse Gedanke besteht also aus einer dreifach aufsteigenden, unteilbaren Abstraktion oder Setzung. Jeder Gegenstand kann dem Religiösen ein Tempel im Sinn der Auguren sein. Der Geist dieses Tempels ist der allgegenwärtige Hohepriester, der monotheistische Mittler, welcher allein im unmittelbaren Verhältnisse mit der Gottheit steht. II S.257f. (Blütenstaub)
In den meisten Religionssystemen werden wir, als Glieder der Gottheit betrachtet, die, wenn sie nicht den Impulsionen des Ganzen gehorchen, die, wenn sie auch nicht absichtlich gegen die Gesetze des Ganzen agieren, sondern nur ihren eignen Gang geht und nicht Glieder sein wollen, von der Gottheit ärztlich behandelt — und entweder schmerzhaft geheilt, oder gar abgeschnitten werden. II S.266 (Blütenstaub)
Angewandte Religion
Die Religion begreift das ganze Gebiet des sogenannten Übersinnlichen und Überirdischen in sich - sie ist teils theoretisch - teils praktisch.
II S.713 (Das allgemeine Brouillon)
Noch ist keine Religion. — Man muß eine Bildungsloge echter Religion erst stiften. Glaubt ihr — daß es Religion gebe — Religion muß gemacht und hervorgebracht werden durch die Vereinigung mehrerer Menschen. II S.753 (Fragmente und Studien I)
Alle unsre Neigungen scheinen nichts, als angewandte Religion zu sein. Das Herz scheint gleichsam das religiöse Organ[.] Vielleicht ist das höhere Erzeugnis des produktiven Herzens nichts anders, als der Himmel.
Indem sich das Herz, abgezogen von allen einzelnen wirklichen Gegenständen — sich selbst empfindet, sich selbst zu einem idealischen Gegenstande macht, entsteht Religion — Alle einzelne Neigungen vereinigen sich in Eine — deren wunderbares Objekt — ein höheres Wesen, eine Gottheit ist — daher echte Gottesfurcht alle Empfindungen und Neigungen umfaßt. Dieser Naturgott isst uns, gebiert uns, spricht mit uns, erzieht uns, beschläft uns, lässt sich von uns essen, von uns zeugen und gebären; Kurz ist der unendliche Stoff unsrer Tätigkeit, und unsers Leidens.
Machen wir unsre Geliebte zu einem solchen Gott, so ist dies angewandte Religion. II S.767 (Fragmente und Studien I)
Der zu frühzeitige und unmäßige Gebrauch der Religion ist dem Wachstum und Gedeihn der Menschheit äußerst nachteilig — wie Branntwein etc. der physischen Ausbildung. vid. Morgenland etc. Der Proselitismus ist schon eine Verbesserung — hier wird doch Religion schon eine Beförderung der Tätigkeit.
II S.487f. (Das allgemeine Brouillon)
Wunderkraft des Glaubens
Wissenschaft ist nur eine Hälfte. Glauben ist die andere. II S.167 Fichte-Studien)
Vermischter Willen und Wissenstrieb - ist Glaube. II S.223 (Fragmentblatt)
Wunder stehn mit naturgesetzlichen Wirkungen in Wechsel — Sie beschränken einander gegenseitig, und machen zusammen ein Ganzes aus. Sie sind vereinigt, indem sie sich gegenseitig aufheben. Kein Wunder ohne Naturbegebenheit und umgekehrt. II S.230 (Vermischte Bemerkungen)
Wunderkraft des Glaubens — Aller Glauben ist wunderbar und wundertätig. Gott ist in dem Augenblicke, als ich ihn glaube. Glauben ist, indirekt wundertätige Kraft. Durch den Glauben können wir in jedem Augenblick Wunder tun für uns – oft für andre mit, wenn sie Glauben zu mir haben.
Glauben ist hienieden wahrgenommene Wirksamkeit und Sensation in einer andern Welt - ein vernommener transmundaner Aktus. Der echte Glaube bezieht sich nur auf Dinge einer andern Welt. Glauben ist Empfindung des Erwachens und Wirkens und Sinnens in einer andern Welt.
Angewandter — irdischer Glauben — Willen.
Glauben — Wahrnehmung des realisierten Willens. II S.659f. (Das allgemeine Brouillon)
Am Ende beruht die Begreiflichkeit eines Phänomens auf Glauben und Willen. Mache ich ein Geheimnis aus einer Erscheinung, so ist es für mich eins. Es ist damit wie mit den Schranken.
Aller innere Sinn ist Sinn für Sinn.
Können Wunder Überzeugung wirken? Oder wäre nicht wahrhafte Überzeugung, diese höchste Funktion unsers Gemüts und unsrer Personalität, das einzige, wahre, Gott verkündende Wunder? Jedes Wunder muß isoliert in uns bleiben, unverknüpft mit unserm übrigen Bewußtsein, ein Traum. Aber eine innige moralische Überzeugung, eine göttliche Anschauung, dies wäre ein reales bleibendes Wunder. II S.846 (Nachlese)
Poetische Weltform. Deduktion der Geister aus dem Wesen der Vernunft —Verhältnisse mit Ihnen. Wir haben keine Grenze des Intellektuellen Fortschritts etc. aber wir sollen uns welche ad hunc actum, transitorische Grenzen setzen — Begrenzt und unbegrenzt zugleich sein — Wunder tun können, aber keine tun wollen - alles wissen können, aber nicht wollen — Mit der richtigen Bildung unsers Willens geht auch die Bildung unsers Könnens und Wissens fort. In dem Augenblick, wo wir vollkommen moralisch sind, werden wir Wunder tun können, i. e. wo wir keine Wunder tun wollen, höchstens moralische (vid. Christus.). Der Wunder höchstes ist eine tugendhafte Handlung — ein Aktus der Freien Determination. II S.658 (Das allgemeine Brouillon)
Moral und Religion
Moral und Religion. Moralisch handeln und religiös handeln sind sonach aufs innigste vereinigt. Man soll zugleich innere und äußere Harmonie beabsichtigen — zugleich das Gesetz und den Willen Gottes, jedes um sein selbst willen erfüllen. Es gibt also ein einseitiges moralisches und ein einseitiges religiöses Handeln.
II S.482f. (Das allgemeine Brouillon)
Religion. Das sind glückliche Leute, die überall Gott vernehmen — überall Gott finden — diese Leute sind eigentlich religiös. Religion ist Moral in der höchsten Dignität, wie Schleiermacher vortrefflich gesagt hat. II S.520 (Das allgemeine Brouillon)
Durch Religion werden die Menschen erst recht eins. II S.673 (Das allgemeine Brouillon)
Wer keinen Sinn für Religion hätte — müßte doch an ihrer Stelle etwas haben, was für ihn das wäre, was andern die Religion ist, und daraus mögen wohl viel Streite entstehn — da beide Gegenstände und Sinne Ähnlichkeit haben müssen und jeder dieselben Worte für das Seinige braucht, und doch beide ganz verschieden sind — so muß daraus manche Konfusion entspringen. II S.759 (Fragmente und Studien 1799/1800)
Liebe
Es geht mit der Liebe, wie der Überzeugung — wie viele glauben überzeugt zu sein, und sind es nicht. Nur vom Wahren kann man wahrhaft überzeugt sein — nur das Liebe kann man wahrhaft lieben. II S.334 (Vorarbeiten 1798)
Liebe ist ein Produkt der Wechselreizung zweier Individuen - daher mystisch und universell, und unendlich ausbildsam, wie das individuelle Prinzip selbst.
II S.344 (Vorarbeiten 1798)
Alles Liebenswerte ist ein Gegenstand (eine Sache) — das unendlich Liebenswerte ist eine unendliche Sache — etwas was man nur durch unaufhörliche, unendliche Tätigkeit haben kann. Nur eine Sache kann man besitzen. II S.382 (Vorarbeiten 1798)
Der Liebe geht’s, wie der Philosophie - sie ist und soll allen – Alles und jedes sein. Liebe ist also das Ich – das Ideal jeder Bestrebung. II S.673 (Das allgemeine Brouillon)
Liebe kann durch absoluten Willen in Religion übergehn. Des höchsten Wesens wird man nur durch Tod wert. (Versöhnungstod) II S.223 (Fragmentblatt)
Jede willkürliche Liebe, in der bekannten Bedeutung, ist eine Religion, die nur einen Apostel, Evangelisten und Anhänger hat und haben und Wechselreligion sein kann — aber nicht zu sein braucht.
Wo der Gegenstand die Eifersucht seiner Natur nach ausschließt, so ist es die christliche Religion, die christliche Liebe. II S.387 (Teplitzer Fragmente)
Menschenlehre. Ein Kind ist eine sichtbar gewordene Liebe.
Wir selbst sind ein sichtbargewordner Keim der Liebe zwischen Natur und Geist oder Kunst.
Theorie der Liebe ist die höchste Wissenschaft — die Natur-Wissenschaft — oder Wissenschaft-Natur.
Philielogia (oder auch Philologie.)
II S.486 (Das allgemeine Brouillon)
Begriff der Liebe zu Gott und Christus.
Unzertrennlichkeit der angebornen, der analytischen, und der gegebenen, oder synthetischen Religion — i. est. der natürlichen und Geoffenbarten.
Ihre gegenseitige Nezessitation.
Wird je ein Tugendhafter rechtliche Ansprüche formieren.
Geheimnisse des Christentums.
Die Lehre vom servo Arbitrio ist realistisch und Spinozistisch. Ihr Gegensatz. Vereinigung. Unmittelbare d.h. unbemerkbare, und mittelbare d.h. objektive Einwirkung Gottes, Inspiration. II S.814 (Fragmente und Studien III)
Psychologie. Die Liebe ist der Endzweck der Weltgeschichte – das Unum des Universums. II S.480 (Das allgemeine Brouillon)
Sünde
Die christliche Religion ist die eigentliche Religion der Wollust. Die Sünde ist der große Reiz für die Liebe der Gottheit. Je sündiger man sich fühlt, desto christlicher ist man. Unbedingte Vereinigung mit der Gottheit ist der Zweck der Sünde und Liebe. Dithyramben sind ein echt christliches Produkt. II S.814 (Fragmente und Studien II)
Die Vernichtung der Sünde — dieser alten Last der Menschheit — und alles Glaubens an Buße und Sühnung ist durch die Offenbarung des Christentums eigentlich bewirkt worden. II S.760 (Fragmente und Studien I)
Dem echt Religiösen ist nichts Sünde. II S.786 (Fragmente und Studien I)
Das System der Moral muß System der Natur werden. Alle Krankheiten gleichen der Sünde, darein; daß sie Transzendenzen sind. Unsere Krankheiten sind alle Phänomene erhöhter Sensibilität, die in höhere Kräfte übergehn will. Wie der Mensch Gott werden wollte, sündigte er. II S.824 (Fragmente und Studien 1799/1800)
Die Sünde ist allerdings das eigentliche Übel in der Welt. Alles Ungemach kommt von ihr her. Wer die Sünde versteht, versteht die Tugend und das Christentum, sich selbst und die Welt. Ohne dies Verständnis kann man sich Christi Verdienst nicht zu eigen machen — Man hat keinen Teil an dieser zweiten höhern Schöpfung. II S.838/9 (Fragmente und Studien III)
Poesie der Religion
Alle absolute Empfindung ist religiös. (Religion des Schönen. Künstlerreligion.) (Schluß hieraus.) II S.223 (Fragmentblatt)
Bei den Alten war die Religion schon gewissermaßen das, was sie bei uns werden soll — praktische Poesie. II S.326 (Vorarbeiten 1798)
Das Christentum ist durchaus historische Religion, die aber in die natürliche der Moral und die künstliche der Poesie, oder die Mythologie übergeht.
II S.829 (Fragmente und Studien III)
Es gibt keine Religion, die nicht Christentum wäre. II S.763 (Fragmente und Studien I)
Unser ganzes Leben ist Gottesdienst. II S.398 (Vorarbeiten 1798)
Religionslehre ist wissenschaftliche Poesie. Poesie ist unter den Empfindungen — was Philosophie in Beziehung auf Gedanken ist.
(Selbstgedanke — Selbstempfindung.)
Religion ist Synthesis von Gefühl und Gedanke oder Wissen. Religions-Lehre ist also eine Synthesis von Poetik und Philosophik.
Hier entstehn echte Dogmata — echte Erfahrungssätze, d.h. aus Vernunftsätzen (Direkt) — Philosophemen — und Glaubenssätzen (indirekt) — Poemen — wahrhaft zusammengesetzte — nicht gegenseitig beschränkte, sondern vielmehr gegenseitig bestärkte und erweiterte Sätze.
(Vernunft ist direkter Poet — direkt produktive Imagination — Glauben ist indirekter Poet - indirekt produktive Imagination.)
Was bei den Philosophen die Vernunft ist, das ist bei den Poeten im engem Sinn der Glaube. Freier Gebrauch des Glaubens. Staatsreligion.
II S.661 (Das allgemeine Brouillon)
Bibel
Historik. Die Bibel fängt herrlich mit dem Paradiese, dem Symbol der Jugend, an und schließt mit dem ewigen Reich — mit der heiligen Stadt. Auch ihre zwei Hauptbestandteile sind echt großhistorisch. (In jedem großhistorischen Gliede muß gleichsam die große Geschichte symbolisch verjüngt liegen.) Der Anfang des Neuen Testaments ist der zweite, höhere Sündenfall — und der Anfang — (Eine Sünde, was gesühnt werden muß) — der neuen Periode.
Jedes Menschen Geschichte soll eine Bibel sein — wird eine Bibel sein. Christus ist der neue Adam. Begriff der Wiedergeburt. Eine Bibel ist die höchste Aufgabe der Schriftstellerei. II S.556 (Das allgemeine Brouillon)
Wenn der Geist heiligt, so ist jedes echte Buch Bibel. II S. 274 (Vermischte Bemerkungen)
Der heilige Geist ist mehr als die Bibel. Er soll unser Lehrer des Christentums sein, nicht toter, irdischer, zweideutiger Buchstabe. II S.844(Fragmente und Studien III)
Mein Buch soll eine scientifische Bibel werden – ein reales und ideales Muster – und Keim aller Bücher. II S.599 (Das allgemeine Brouillon)
Beschreibung der Bibel ist eigentlich mein Unternehmen. - besser Bibellehre - Bibel Kunst und Naturlehre.
(Erhebung eines Buchs zur Bibel)
Die ausgeführte Bibel ist eine vollständige — gutgeordnete Bibliothek — Das Schema der Bibel ist zugleich das Schema der Bibliothek. — Das echte Schema — die echte Formel indiziert zugleich seine Entstehung — seinen Gebrauch etc. (vollständiger] Gebrauchszettel jedes Gegenstandes — nebst dem Rezepte und der Beschreibung).
II S.602 (Das allgemeine Brouillon)
Bibel ist ein Gattungsbegriff unter dem Büchergeschlecht. Er subsumiert nach Arten und Individuen. Die Bibeln sind die Menschen und Götter unter den Büchern. Sie haben gewissermaßen selbst einen Anteil an ihrer Entstehung — und ihr Ursprung ist schlechthin unerklärlich. Originale müssen sie daher notwendig sein. Man liebt und haßt, vergöttert und verachtet sie, wie eigne Wesen. Eine Bibel schreiben zu wollen — ist ein Hang zur Tollheit, wie ihn jeder tüchtige Mensch haben muß, um vollständig zu sein. II S.726 (Randbemerkungen zu Friedrich Schlegels »Ideen«)
Über das Verhältnis des Alten und Neuen Testaments – Die Häuslichkeit des Ersteren und die Weltbürgerlichkeit des letzteren. II S.762 (Fragmente und Studien I)
Der protestantische Gottesdienst ist – fortlaufende Apotheose [Verherrlichung] der Bibel - Evangelium, daß es eine Bibel gebe. II S.764 (Fragmente und Studien I)
Über die heilige Geschichte überhaupt — ihre Poesie, ihre innre Evidenz.
Wer hat die Bibel für geschlossen erklärt? Sollte die Bibel nicht noch im Wachsen begriffen sein? Der biblische Vortrag ist unendlich bunt — Geschichte, Poesie, alles durcheinander — — II S.766 (Fragmente und Studien I)
Aufgabe in einem Buche das Universum zu finden.
Arbeiten über die Bibel. II S.838 (Fragmente und Studien III)
Paradies
In jedem System — Gedankenindividuo — das nun ein Aggregat oder Produkt — usw. sein kann — ist eine Idee, eine Bemerkung, oder mehrere vorzüglich gediehn und haben die andern erstickt — oder sind allein übriggeblieben. Im geistigen Natursystem muß man sie überall zusammensuchen — jedem seinen eigentümlichen Boden — Klima — seine besondere Pflege — seine eigentümliche Nachbarschaft geben — um ein Ideenparadies zu bilden — dies ist das echte System. (Das Paradies ist das Ideal des Erdbodens.)
Merkwürdige Frage vom Sitz des Paradieses — (Sitz der Seele). (Ein Kunstkenner soll in Beziehung auf die Naturkräfte usw. das sein — was ein botanischer und englischer Garten (Nachahmung des Paradieses) in Beziehung auf den Erdboden und seine Produkte ist — ein verjüngter, konzentrierter — potenzierter Erdboden.)
Das Paradies ist gleichsam über die ganze Erde verstreut — und daher so unkenntlich usw. geworden — seine zerstreuten Züge sollen vereinigt — sein Skelett soll ausgefüllt werden. Regeneration des Paradieses. II S.688/9 (Das allgemeine Brouillon)
Perspektiven des Christentums
Die Meinung von der Negativität des Christentums ist vortrefflich. Das Christentum wird dadurch zum Rang der Grundlage — der projektierenden Kraft eines neuen Weltgebäudes und Menschentums gehoben — einer echten Feste — eines lebendigen, moralischen Raums.
Damit schließt sich dies vortrefflich an meine Ideen von der bisherigen Verkennung von Raum und Zeit an, deren Persönlichkeit und Urkraftmir unbeschreiblich einleuchtend geworden ist. Die Tätigkeit des Raums und der Zeit ist die Schöpfungskraft, und ihre Verhältnisse sind die Angel der Welt.
Absolute Abstraktion — Annihilation des Jetzigen — Apotheose der Zukunft, dieser eigentlichen, bessern Welt, dies ist der Kern der Geheiße des Christentums — und hiermit schließt es sich an die Religion der Antiquare, die Göttlichkeit der Antike, die Herstellung des Altertums, als der zweite Hauptflügel an — beide halten das Universum, als den Körper des Engels, in ewigem Schweben — in ewigem Genuß von Raum und Zeit. II S.711 (Das allgemeine Brouillon)
Kein Umstand in der Religionsgeschichte ist merkwürdiger, als die neue Idee im entstandnen Christentum, einer Menschheit und einer allgemeinen Religion — damit entstand der Proselitismus — Auch höchst sonderbar ist die Versprengung der orientalischen Juden ins Abendland, und die Verbreitung der neuen Religion unter ein Volk von zivilisierten Weltüberwindern — das sie den besiegten und rohen Nationen mitteilte. II S.776 (Fragmente und Studien I)
Die christliche Religion ist auch dadurch vorzüglich merkwürdig, daß sie so entschieden den bloßen guten Willen im Menschen und seine eigentliche Natur ohne alle Ausbildung in Anspruch nimmt und darauf Wert legt. Sie steht in Opposition mit Wissenschaft und Kunst undeigentlichen Genuß.
Vom gemeinen Mann geht sie aus.
Sie beseelt die große Majorität des Beschränkten auf Erden. Sie ist das Licht, was in der Dunkelheit zu glänzen anfängt.
(Sie ist der Keim allen Demokratismus. Die höchste Tatsache der Popularität
Ihr unpoetisches Äußre — ihre Ähnlichkeit mit einem modernen häuslichen Gemälde scheint ihr nur geliehen zu sein.
Sie ist tragisch und doch unendlich mild — ein echtes Schauspiel
— Vermischung des Lust- und Trauerspiels.
Die griechische Mythologie scheint für die gebildeteren Menschen zu sein — und also in gänzlicher Opposition mit dem Christentum. Der Pantheismus ist ein drittes Ende.) II S.811f. (Fragmente und Studien II)
Beten - Predigen
Predigt ist — Bruchstück der Bibel, des heiligen Buchs — des kanonischen Teils der Bibel. (Ihr apokryphischer Teil.)
Tätiger Gebrauch des religiösen Sinns, wie des moralischen
— Produktiver religiöser Sinn — produktiver moralischer Sinn.
Fichtens produktive Einbildungskraft ist nichts als durch Vernunft — durch Idee und Glauben und Willen erregter Sinn.
Jede Predigt soll Religion erwecken — Religionswahrheiten vortragen. — Sie ist das Höchste, was ein Mensch liefern kann.
Predigten enthalten Betrachtungen Gottes — und Experimente Gottes. Jede Predigt ist eine Inspirationswirkung — eine Predigt kann nur, muß genialisch sein.
(Künstliche Konstruktion einer Predigt — indirekte.)
Wie vermeidet man bei Darstellung des Vollkommnen die Langeweile? Die Betrachtung Gottes scheint als eine religiöse Untersuchung — zu monoton — man erinnre sich an die vollkommnen Charaktere in Schauspielen — an die Trockenheit eines echten, reinen, philosophischen oder mathematischen Systems usw.
So ist selbst die Betrachtung Jesu ermüdend. — Die Predigt muß pantheistisch sein — angewandte, individuelle Religion, individualisierte Theologie enthalten.
Innre, religiöse Experimente und Beobachtungen. II S.676 (Fragmente und Studien I)
Predigten müssen Assoziationen göttlicher Inspirationen, himmlischer Anschauungen sein.
Predigten sollten eigentlich Legenden heißen, denn der eigentliche Stoff der Predigten ist der Legendenstoff.
Unter Menschen muß man Gott suchen. In den menschliche Begebenheiten, in menschlichen Gedanken und Empfindungen offenbart sich der Geist des Himmels am hellsten.
Religionslehre ist davon ganz abgesondert. Sie kann nur religiösen Menschen verständlich und religiös nutzbar sein.
Religion kann man nicht anders verkündigen, wie Liebe und Patriotismus. Wenn man jemand verliebt machen wollte, wie finge man das wohl an?
II S.761f. (Fragmente und Studien I)
In gottesdienstlichen Versammlungen sollte jeder aufstehn und aus dem Schatze seiner Erfahrungen göttliche Geschichten den andern mitteilen. Diese religiöse Aufmerksamkeit auf die Sonnenblicke der andern Welt ist ein Haupterfordernis des religiösen Menschen. Wie man alles zum Gegenstande eines Epigramms oder eines Einfalls machen kann, so kann man auch alles in einen Spruch, in ein religiöses Epigramm, in Gottes Wort verwandeln.
Das Lamentable unsrer Kirchenmusik ist bloß der Religion der Buße — dem Alten Testament, angemessen, in dem wir eigentlich noch sind. Das Neue Testament ist uns noch ein Buch mit sieben Siegeln.
Wir haben aber einige treffliche Versuche wahrer geistlicher Musik, z. B. »God save« und: »Wie sie so sanft ruhn« usw.
Ist ein wahrer Unterschied zwischen Weltlichen und Geistlichen? Oder ist gerade diese Polarität unsrer Theologie noch alttestamentlich? Judaismus ist dem Christentum schnurstracks entgegen und liegt, wie dieses, allen Theologien gewissermaßen zum Grunde.
Moralisiert der echte Geist Gottes? Der Moralist ist der Johannes.
Klosterkirchen wie die unsrigen schicken sich nur für eine Ecclesia pressa — nicht für die Ecclesia Triumphatrix. Der echt gotische Tempel ist wahrhaft religiös.
(Griechische Tempel.) II S.763/4 (Fragmente und Studien I)
Über den Begriff des Betens. Beten ist in der Religion, was Denken in der Philosophie ist. Beten ist Religion machen — Predigten sollten eigentliche Gebete sein. Der religiöse Sinn betet — wie das Denkorgan denkt — Religion geht auf Religion — Sie hat eine eigne religiöse Welt, ein eignes religiöses Element. II S.770 (Fragmente und Studien I)
Predigten und Lieder können Geschichten enthalten. Geschichten wirken vorzüglich religiös.
Unterrichts- und Vorbereitungs-Predigten und moralische Predigten gehören in eine andre Gattung. Gottes Wort müssen echte Predigten sein — Inspirationen — Religiöse Erscheinungen — Offenbarungen in Worten.
Ruhe, Versammlung, Bauart, Ritus und Musik passen zu diesem Zweck. Die echte Religion äußert sich eigentlich durch reine, sättigende, alles belebende Begeisterung — die wie die
Wärme alles erhöht.
Bedürfnis einer bestimmten, objektiven Religion.
Würdigung der Bibel.
Lektüre von Dr. Luthers Schriften.
Einfach müssen Lieder und Predigten sein und doch hoch poetisch. II S.786 (Fragmente und Studien I) .
Der Prediger muß zuerst Enthusiasmus zu erregen suchen — denn dies ist das Element der Religion. Jedes Wort muß klar, heiß und herzlich sein. Er muß suchen seine Gemeinde in der Welt zu isolieren — ihr Esprit de Corps zu geben — sie über die Welt und die höhern Stände aufklären und erheben — ihnen ihren Beruf lieb und ihr Leben angenehm machen und sie mit edlem Selbstgefühl erfüllen. II S.787 (Fragmente und Studien I) .
Teilweise recht enthusiastische Würdigung der Mathematik
Reine Mathematik ist Religion
(Großer Katechismus für unglückliche Mathematiker)
Die ganze Mathematik ist eigentlich eine Gleichung im großen für die andern Wissenschaften.
Was ihr die Logarithmen sind, das ist sie den andern Wissenschaften.
Der Begriff der Mathematik ist der Begriff der Wissenschaft überhaupt.
Alle Wissenschaften sollen daher Mathematik werden
Die jetzige Mathematik ist wenig mehr als ein speziell ein empirisches Organon.
Sie ist eine Substitution zur bequemern Reduktion — ein Hilfsmittel des Denkens.
Ihre vollständige Anwendbarkeit ist ein notwendiges Postulat ihres Begriffs.
Sie ist der vollgültige Zeuge des Naturidealismus.
Der innige Zusammenhang, die Sympathie des Weltalls, ist ihre Basis.
Zahlen sind wie Zeichen und Worte, Erscheinungen, Repräsentationen kat‘ exochen.
Ihre Verhältnisse sind Weltverhältnisse.
Die reine Mathematik ist die Anschauung des Verstandes als Universum.
Wunder als widernatürliche Fakta sind amathematisch — aber es gibt kein Wunder in diesem Sinn, und was man so nennt, ist gerade durch Mathematik begreiflich, denn der Mathematik ist nichts wunderbar.
Echte Mathematik ist das eigentliche Element des Magiers.
In der Musik erscheint sie förmlich als Offenbarung — als schaffender Idealismus
Hier legitimiert sie sich als himmlische Gesandtin, kat‘ anthropon.
Aller Genuß ist musikalisch, mithin mathematisch. Das höchste Leben ist Mathematik.
Es kann Mathematiker der ersten Größe geben, die nicht rechnen können.
Man kann ein großer Rechner sein, ohne die Mathematik zu ahnden.
Der echte Mathematiker ist Enthusiast per se. Ohne Enthusiasmus keine Mathematik.
Das Leben der Götter ist Mathematik.
Alle göttliche Gesandten müssen Mathematiker sein.
Reine Mathematik ist Religion.
Zur Mathematik gelangt man nur durch eine Theophanie. Die Mathematiker sind die einzig Glücklichen. Der Mathematiker weiß alles. Er könnte es, wenn er es nicht wüßte.
Die Tätigkeit hört auf, wenn das Wissen eintritt. Der Zustand des Wissens ist Eudämonie, selige Ruhe der Beschauung — himmlischer Quietismus.
Im Morgenlande ist die echte Mathematik zu Hause. In Europa ist sie zur bloßen Technik ausgeartet.
Wer ein mathematisches Buch nicht mit Andacht ergreift und es wie Gottes Wort liest, der versteht es nicht.
Jede Linie ist eine Weltachse.
Eine Formel ist ein mathematisches Rezept — Die Zahlen sind die Drogen — Die Arithmetik ihre Pharmazie.
Die höhere Mathematik enthält am Ende nur Abkürzungsmethoden.
II S.790/1 (Fragmente und Studien 1799/1800)
Mathematik. Am Ende ist die ganze Mathematik keine besondre Wissenschaft — sondern nur ein allgemeinwissenschaftliches Werkzeug — ein schönes Werkzeug ist contradictio in adjecto. Sie ist vielleicht nichts, als die exoterisierte, zu einem äußern Objekt und Organ, gemachte Seelenkraft des Verstandes — ein realisierter und objektivierter Verstand. Sollte dieses vielleicht mit mehreren und vielleicht allen Seelenkräften der Fall sein — daß sie durch unsre Bemühungen, äußerliche Werkzeuge werden sollen? — Alles soll aus uns heraus und sichtbar werden — unsre Seele soll repräsentabel werden — System der Wissenschaften soll symbolischer Körper (Organsystem) unsers Innern werden — Unser Geist soll sinnlich wahrnehmbare Maschine werden — nicht in uns, aber außer uns. /Umgekehrte Aufgabe mit der Äußern Welt. II S.484 (Das allgemeine Brouillon)
Mathematische Spezifika
Physikalische Philosophie. Wenn die Einheit x das Positive ist, so ist die Vielheit y das Negative. Das Produkt ist die Neutralisationssphäre von x und y — oder die Allheit.
Einem bestimmten x entspricht ein bestimmtes y — oder eine bestimmte Vielheit. (z.B. von Bedingungen —)
Bestimmte x und y kann es aber vor bestimmten Allheiten z nicht geben. Z ist also das Erste — Primitive — eine allbestimmbare Allheit. Z wird dann durch Berührung eines andern Z in y und x zersetzt — das allbestimmbare Z natürlich in allbestimmbare y und x.
Alles Bestimmte ist nur insofern bestimmt, und individuell — als es schon in einem System oder z begriffen ist. Jedes wäre isoliert ein Universum — ein allbestimmbares Z.
II S.486/7 (Das allgemeine Brouillon)
Mathematik. Allgemeiner Begriff der Multiplikation — nicht bloß der Mathematischen — so der Division, Addition etc. Vorzüglich interessant ist diese philosophische Betrachtung der bisher bloß mathematischen Begriffe und Operationen — bei den Potenzen, Wurzeln, Differentialen, Integralen, Reihen — Kurven — und Direkten — Funktionen. Der Binomialsatz dürfte noch eine weit höhere Bedeutung — eine viel interessantere Anwendung in der Physik — in Betreff der Polaritäten etc. erhalten.
3-fache Polaritäten — Infinitinomische Polaritäten. Nicht bloß Binomismen — sondern auch Infinitinomismen.
Ich verstehe eine Größe, wenn ich in ihrer Äquation auf der andern Seite eine Funktion der Gegengröße habe.
Eine Haupt Antithese der Mathematik ist, Bekannte und Unbekannte Größen. (+ und -. Groß — Klein. Teil — Ganzes.)
Entweder such ich nun die Unbekannten Größen mit Funktionen der Bekannten zu gleichen, oder umgekehrt — Zur letztern Rechnungsart gehört der Infinitesimalkalkül.
II S.493 (Das allgemeine Brouillon)
Mathematik. In der Kombinationslehre liegt das Prinzip der Vollständigkeit — so wie in der Analysis — oder der Kunst aus gegebenen Datis die Unbekannten Glieder zu finden — (Aber auch diese setzt eine richtige vollständige Aufgabe oder Gleichung voraus etc.)
(Sollte man nicht durch regelmäßige Irrtümer zu seinem Zwecke gelangen — hat man eine unvollständige Aufgabe, so variiert man sie so oft als möglich, löst und beweist diese Variationen — am Ende erhält man die vollständige Aufgabe.)
Eine wahre Methode synthetisch fortzuschreiten ist die Hauptsache — vorwärts und rückwärts.
Methode des divinatorischen Genies.
II S.601 (Das allgemeine Brouillon)
Philosophie der Mathmatik
Wären wir nicht von Grund aus mathematisch, so nähmen wir keine Unterschiede wahr. II S.673 (Das allgemeine Brouillon)
Philosophie. Wir stoßen immer zuletzt an den Willen — die willkürliche Bestimmung — als wenn dies überall der eigentliche und notwendige Anfang wäre.
Satz: Jede willkürliche (künstliche) Bestimmung muß eine notwendige — Natürliche — werden können und umgekehrt. II S.601 (Das allgemeine Brouillon)
Mathematik scheint die Wissenschaft der reinen Raumforschung im Form oder Reflexionsvermögen des empirischen Ich zu sein. II S.64 (Fichte-Studien)
Am Ende ist Mathematik nur gemeine, einfache Philosophie und Philosophie höhere Mathematik im Allgemeinen.
Höhere Mathematik insbesondere knüpft die gemeine Mathematik an das System der Mathematik und dieses stößt an die Philosophie der Mathematik — oder philosophische Mathematik, wie denn die systematische Wissenschaft immer der Vorläufer und die Grenze eines höhern Grades der Wissenschaft überhaupt — des philosophischen Grades ist. (Grade der Wissenschaftlichkeit. Der höchste Grad der Wissenschaftlichkeit wird Philosophie genannt.) Der philosophische Grad zerfällt wieder in 3 Teile und sofort Er geht in die höhere Reihe oder den höhern Grad der Philosophie der Philosophie über und so fort.
(Wie der Naturmensch in den gemeinen und komplizierteren Menschen übergeht, so auch die reine Wissenschaft in die Gemeine und Höhere.Die höhere macht den Übergang zum System, wie der gelehrte, oder kompliziertere Mensch den Übergang zum Systematiker.)
II S.583 (Das allgemeine Brouillon)
Hoher Wert der Mathematik, als aktive Wissenschaft. Vorzügliches Interesse der Mechanik. (Berührungskunde. Akustik.) Mannigfaltige Arten der Berührungen — und Tangenten.
Aktive und passive Tangenten. Winkel der Berührungen. Schnelligkeit der Berührungen oder Takte. Taktreihen und Folgen. Linientakte. Punkttakte. Flächentakte. Massentakte. Beharrliche Takte.
II S.416 (Vorarbeiten 1798)
Lehrsätze müssen etwas Neues aussagen — etwas, was nicht der Definition /Bezeichnung der eigentümlichen Natur/ begriffen ist. Sie müssen, nach der Kunstsprache, synthetisch sein.
/Zusätze, Erklärungen, Auslegungen, Anwendungen./
Die allzugroße Deutlichkeit — oder Wiederholung derselben Wahrheit — die neuen Aussagen desselben Themas mit veränderten Worten — sind schuld an der scheinbaren Dunkelheit und Schwierigkeit für den Lehrling. Der strengere, wissenschaftliche Gang würde hier der leichtere sein.
Bessere Thesen /Definitionen/ würde eine Menge Sätze überflüssig machen.
Ein Beweis ist eine indirekte Konstruktion — ein mathematisches Experiment — ein Rezept.
Die (meisten) mathematischen Sätze gleichen alle dem Satze a = a. Jeder mathematische Satz ist eine Gleichung.
II S.459 (Mathematische Fragmente)
Logarithmen
Mathematik und Grammatik. Über die Logarithmen — die eigentliche Sprache ist ein Logarithmen-System. Sollten die Töne nicht gewissermaßen logarithmisch fortschreiten.
Die Harmonische Reihe ist die Logarithmenreihe einer dazu gehörigen Arithmetischen.
II S.624 (Das allgemeine Brouillon)
Differential und Integral
Real Integration und Differentiation. Die Geometrie ist bisher methodo integrali vorgetragen worden. Differentiale Geometrie. Differentiieren ist in Elemente zerlegen (idealische Analyse) Integrieren ist das Entgegengesetzte (Realsynthese)
Der gewöhnliche Differential und Integral Kalkül ist nur eine abermalige Zerlegung der Elemente in Elemente.
(Verschiedne Sorten von Einheiten)
II S.483 (Das allgemeine Brouillon)
Die Differentialrechnung ist die Kritik — Die Integralrechnung — die Auflösung — jene lehrt die Daten ordnen — zu Gleichungen diese die Gleichungen auflösen. Jene ist die Algebra —. diese die Analysis — denn Algebra und Analysis verhalten sich auch so zu einander. II S.633 (Das allgemeine Brouillon)
Die Verschiedenheit der Leibnizischen und Newtonscher Vorstellungsart von der Rechnung des Unendlichen beruht auf demselben Grunde als die Verschiedenheit der atomistischen und Vibrations- oder Ätherischen Theorie. Die Fluxion und das Differential sind die entgegengesetzten Anschauungen des mathematischen Elements — beide zusammen machen die mathematische Substanz aus. Es beruht auf dem Satze X. x Y. = +. Dieses Plus ist das Differential oder die Fluxion der Funktion von x und y. Die proportionelle Einteilung dieses Plusist die Hauptschwierigkeit dieses Kalküls.
Leibniz nennt den Infinitesimalkalkül auch die Analysis indivisibilium. (Steter Größen — stetig übergehender Größen.)
Infinitesimal Kalkül heißt eigentlich Rechnung, Einteilung oder Messung des nicht Eingeteilten — nicht Vergleichbaren — Unermeßlichen. Analysis Indivisibilium — Analysis eines Individuums — Individual-Kalkül echt physikalischer Kalkül.
Newton hat die synthetische Methode der Alten mehr befolgt — worin bestand sie.
II S.624f. (Das allgemeine Brouillon)
Der Differentialkalkül scheint mir die allgemeine Methode das Unregelmäßige auf das Regelmäßige zu reduzieren — es durch eine Funktion des Regelmäßigen auszudrücken — es mit dem Regelmäßigen zu verbinden — das Regelmäßige zu dessen Meter zu machen — es mit demselben zu logarithmisieren.
II S.696 (Das allgemeine Brouillon)
Die Integralen des Unendlich Großen, verhalten sich wie die Integralen des Unendlich Kleinen – weil sie eins sind. II S.525 (Das allgemeine Brouillon)
Analysis
So wie sich andre Größen finden lassen — so müssen sich auch Formeln berechnen lassen — Formelnerfindungskunst (Instrumenten-Erfindungskunst.) Vielleicht will dies die kombinatorische Analysis tun? Dann wäre sie sehr hoch.
Die kombinatorische Analysis der Physik wäre die indirekte Erfindungskunst, die Bacon gesucht hat.
II S.460 (Freiberger Studien)
Die Analysis ist die Divinations- oder die Erfindungskunst auf Regeln gebracht — ihre mögliche Ausbreitung und Vervollkommnung. II S.676 (Das allgemeine Brouillon)
Mathematik. Die kombinatorische Analysis gehört eigentlich zur universellen Arithmetik. — Sie, die Algebra und sogenannte Analysis machen eine Wissenschaft aus. Sie handelt im allgemeinen von Zahlen- oder Zeichensystemen (Zahl ist Vielheit. Eine Zahl Menschen) von lokalen Veränderungen — sie ist eine sonderbare Art von entgegengesetzter Mechanik — Stellenlehre —. Die Diszerptionen gehören in eine andre Klasse — doch hängen sie genau damit zusammen. Bei ihr sind die Zeichen individuell. Algebraisierung ihrer Operationen.
II S.516 (Das allgemeine Brouillon)
Sonderbar ist es, daß man die Analysis meistens nur zur höhern Geometrie oder Mechanik gerechnet hat. Sie, mit Inbegriff der kombinatorischen Analysis sind auch eigentlich transzendente Geometrie und Mechanik. Sie beschäftigen sich mit den tabellarischen Formen (Figuren) und Bewegungen der Zahlen oder Größenzeichen. (vid. Leibnizens Vorrede bei Hindenburg.)
Die Verwandtschaft der Geometrie und Mechanik mit den höchsten Problemen des menschlichen Geistes überhaupt leuchtet aus dem atomistischen und dynamischen Sektenstreit hervor.
II S.625 (Das allgemeine Brouillon)
Musikalische Mathematik. Hat die Musik nicht etwas von der kombinatorischen Analysis und umgekehrt. Zahlen Harmonien — Zahlen Akustik — gehört zur Kombinatorischen Analysis.
Die Zähler sind die mathematischen Vokale — alle Zahlen sind Zähler.
Die Kombinatorische Analysis führt auf das Zahlen-Fantasieren — und lehrt die Zahlen- Kompositionskunst — den mathematischen Generalbaß. (Pythagoras. Leibniz.) Die Sprache ist ein musikalisches Ideen-Instrument. Der Dichter, Rhetor und Philosoph spielen und komponieren grammatisch. Eine Fuge ist durchaus logisch oder wissenschaftlich — Sie kann auch poetisch behandelt werden.
Der Generalbaß enthält die musikalische Algebra und Analysis. Die Kombinatorische Analsysis ist die kritische Algebra und Analysis — und die musikalische Kompositionslehre verhält sich zum Generalbaß wie die Kombinatorische Analysis zur einfachen Analysis.
Manche mathematische Aufgabe läßt sich nicht einzeln, sondern nur in Verbindung mit andern — aus einem höhern Gesichtspunkte — durch eine kombinatorische Operation bloß auflösen.
II S.597 (Das allgemeine Brouillon)
Die bloße Analyse — die bloße Experimentation und Beobachtung führt in unabsehliche Räume und schlechthin in die Unendlichkeit — Ist sie poetischer Natur und Absicht, so mag’s sein — sonst muß man absolut einen Zweck — mit Recht Finis genannt — haben oder Setzen — damit man sich nicht in diese Spekulation, wie in ein Labyrinth — einem wahnwitzigen völlig gleich, verliert. Hier ist der Sitz der so berüchtigten Spekulation —des verschrieenen, falschen Mystizismus — des Glaubens an die Ergründung der Dinge an sich.
Der Kritizismus zeigt eben die Notwendigkeit der Begrenzung
— Determination, Innehaltung — weist auf einen bestimmten Zweck hin — und verwandelt die Spekulation in ein nützliches und selbst poetisches Instrument.
Diese endlose Fortsetzung einer Tätigkeit ist Charakter der Seelen, oder Geistesinerz
(Man denke an jemanden, der eine unendliche Reihe. Bruchreihe z.B. exhaurieren wollte — die Quadratoren des Zirkels etc.)
II S.684 (Das allgemeine Brouillon)
Analogische Mathematik. Produkte sind unvollkommene Potenzen etc. / Der Geist ist das potenzierende Prinzip – daher ist die Schriftwelt die potenzierte Natur oder technische Welt. II S.516 (Das allgemeine Brouillon)
Die Mathematik ist echte Wissenschaft — weil sie gemachte Kenntnisse enthält — Produkte geistiger Selbsttätigkeit – weil sie methodisch genialisiert.
Sie ist Kunst, weil sie genialisches Verfahren in Regeln gebracht hat — weil sie lehrt Genie zu sein — weil sie die Natur durch Vernunftersetzt.
Die höhere Mathematik beschäftigt sich mit dem Geiste der Größen — mit ihrem politischen Prinzip — mit der Größenwelt.
II S.716 (Das allgemeine Brouillon)
Gezirkeltes
Die Zirkellinie kann überall unterbrochen — die Pole der Anschauung und Vorstellung überall ge- und versetzt werden. Anschauung und Vorstellung sind, für sich genommen, stetig. Die Einbildungskraft äußert sich, als Einfalls oder Hemmkraft. Ihre Unterbrechung gibt ihnen erst Realität — insofern nämlich Realität aus der identischen Mischung von Anschauung und Vorstellung besteht.
Kraft der Freiheit — freie Kraft.
Sie müssen aber unterbrochen sein, sonst sind sie nicht.
Analogie mit der Zirkellinie, ist Oberfläche — vielleicht Form.
Mit der Kugel — Stoff vielleicht — Gehalt der Oberfläche. Dies für die Materie Jenes für den Geist. /Hieraus lassen sich keine Schlüsse machen.
II S. 98/99 (Fichte-Studien)
Mathematik. Anwendung der vorigen Bemerkung auf die Quadratur des Zirkels. Ihr liegt die Hypothese oder das Postulat zum Grunde, daß der Urtyp der Zirkelform das Quadrat sei. Das Problem des Zirkels ist also das Problem der Reduktion aller Figuren aufs Quadrat — oder umgekehrt aller Figuren auf die Runde. Je größer wir die Teilungszahl dieser Figur machen — eine desto genauere Auflösung erhalten wir. Eine unendliche Teilungszahl gibt uns eine unendlich genaue Auflösung. Differential- und Integralrechnung. II S.565 (Das allgemeine Brouillon)
Simplizität des Zirkels — seine leichte Konstruktion. Übergänge der Kegelschnitte in einander. Entstehung aus Gleichungen gerader, entgegengesetzter Linien. Philosophie des Punkts — Seine Entstehung. Alle Krumme Linien entstehn nur durch sich selbst — wie Leben nur durch Leben entsteht.
Jede Definition enthält ein (analoges) Verhältnis von (analogen) Abzissen und Ordinaten.
Außer der Gleichung dem Generalverhältnis ist nun auch noch die Reihe der Veränderung — das Gesetz der Abzissen und Ordinatenveränderung — in der Gleichung — für diese Figur zu bestimmen. Das Exhaustionsgesetz der möglichen Wechselveränderungen dieser Funktionalgleichung von x und y — das Folge-Gesetz der individuellen Subsumtionen (Fälle) unter diese Generalgleichungsausdrücke.
II S.662f. (Das allgemeine Brouillon)
Auch instinktartig ist der Zirkel der Figuren Kanon. II S.695. (Das allgemeine Brouillon)
Kühl kalkuliertes Kalkül
Kalkül ist soviel, wie Prozess. Fertigkeit, Sicherheit, Präzision im philosophischen Kalkül — diese muß ich zu erlangen suchen. II S.656 II S. (Das allgemeine Brouillon)
Kalkül Kunst, Bestimmungen zu verbinden oder Kunst zu bestimmen überhaupt z. B. aus gegebenen Bestimmungen nicht gegebene Bestimmungen zu finden.
Rechnungslehre = Bestimmungsverwandtschaftslehre
Die Zahlenlehre macht die Rechnungslehre möglich — bereitet sie vor — So auch die Figurenlehre etc.
Die Gesetze des Zufalls — die Veränderungsgesetze überhaupt — die Gesetzreihen — der Gesetzkalkül.
Die Verhältnisse von Gesetzen und Beschreibungen — ihre Übergänge - ihre Einheit.
Vereinigung von Zu und Abnahme in Einer Bewegung — (Zirkelkrumme Linien).
Kalkül der Analogie — Ausführung eines Gleichnisses.
Nach Condorcet lehrt der Infinitesimal-Kalkül — die Verhältnisse der sukzessiven Zu oder Abnahmen einer veränderlichen Größe finden, oder aus der Kenntnis dieses Verhältnisses die Größe selbst wieder auffinden — man mag nun diesen Zunahmen eine endliche Größe schreiben, oder deren Verhältnisse nur für den Augenblick suchen, da sie verschwinden, eine Methode, die, da sie sich auf alle Kombinationen veränderlicher Größen und auf alle Hypothesen ihrer Veränderungen erstreckt, auf gleiche Weise für alle Dinge, deren Veränderungen eines bestimmten Maßes fähig sind, entweder die Verhältnisse ihrer Elemente, aus der Kenntnis der Verhältnisse, welche die Sachen gegeneinander haben, oder die Verhältnisse der Sachen, wenn nur die ihre Elemente bekannt sind, bestimmen lehrt.
II S.664ff. II S. (Das allgemeine Brouillon)
(Die Polarität ist eine reale Gleichung.)
(Glieder heißen die Teile, die mit + und — zusammenhängen.)
0 ist das generale Gleichungsglied der vereinigten Gleichungs-Glieder.
II S.704 (Fragmente und Studien 1799/1800)
Der Kalkül von den veränderlichen Größen ist eine Art von Mechanik — Konfigurations- oder Kommotions-Lehre II S.716 (Fragmente und Studien 1799/1800)
Reine Mathematik hat nichts mit Größe zu tun. Sie ist bloße Bezeichnungslehre — mechanisch gewordener, in Verhältnissen geordneter Gedankenoperationen.
Sie muß lediglich willkürlich — dogmatisch instrumental sein.
So auf ähnliche Weise ist es auch mit der abstrakten Sprache.
II S.768 (Fragmente und Studien 1799/1800)
Geheimnis der Zahl
/Der Begriff des Zählens bezieht sich nur auf das einfache Sein — es ist ein einfaches Fixieren diese‘s einfachen Zustandes. 0 (null) ist die bloße Zahlensphäre — die Zahlen selbst ihr Inhalt. Ohne 0 ist keine Zahl möglich./ II S.156 (Fichte-Studien)
Zahlen und Worte sind Zeitdimensionsfiguren oder Zeichen. Wort und Zahlfigurationen. II S.704 (Fragmente und Studien 1799/1800)
Das Zahlensystem ist Muster eines echten Sprachzeichensystems — Unsre Buchstaben sollen Zahlen, unsre Sprache Arithmetik werden.
Was haben wohl die Pythagoraeer unter den Zahlenkräften verstanden?
II S.443 (Mathematisches Heft)
Merkwürdige, Geheimnisvolle Zahlen. Wie das Zählen noch neu war, so mußten oft vorkommende Zahlen beim Zählen wirklicher Dinge — charakteristische, bleibende Zahlen wie z. B. die so Finger etc. — und andre frappante Zahlenphänomene die Einbildungskraft der Menschen aufs lebhafteste beschäftigen und sie in der Wissenschaft der Zahlen einen tiefverborgnen Schatz von Weisheit — einen Schlüssel zu allen verschlossnen Türen der Natur ahnen lassen.
II S.663 (Das allgemeine Brouillon)
Über das homogene und heterogene Zählen — Zählen des Gleichartigen — Zählen des Ungleichartigen — Eins durch das Andre. II S.672 (Das allgemeine Brouillon)
Die allgemeinen Ausdrücke der scholastischen Philosophie haben sehr viel Ähnlichkeit mit den Zahlen — daher ihr mystischer Gebrauch — ihre Personifikation — ihr musikalischer Genuß — ihre unendlichfache Kombination.
Alles aus Nichts erschaffne Reale, wie z. B. die Zahlen und die abstrakten Ausdrücke — hat eine wunderbare Verwandtschaft mit Dingen einer andern Welt — mit unendlichen Reihen sonderbarer Kombinationen und Verhältnissen — gleichsam mit einer mathematischen und abstrakten Welt an sich — mit einer poetischen mathematischen und abstrakten Welt.
II S.682 (Das allgemeine Brouillon)
Unendlichkeit der Zahl
Wer zuerst bis zwei zu zählen erfand — sah, wenn ihm auch selbst das Fortzählen noch schwer ward, doch die Möglichkeit einer unendlichen Fortzählung nach denselben Gesetzen.II S.347 (Vorarbeiten 1798)
Höhere Mathematik und Philosophie /oder Theorie der Ideen, des Unendlichen etc./ haben sehr viel Analogie. / Kurven — Reihen./ Elemente.3 Achsen.
II S.383 (Vorarbeiten 1798)
Das Unendliche ist in der Mathematik das Ideale. Eine unendliche Größe in der Mathematik eine solche Größe, die weder vermehrt noch vermindert werden kann — eine absolute — unveränderliche — mithin imaginäre Größe. Auch hier gibt’s ein Ideal, das aushelfen muß — einSoll.
Theorie der absoluten Größen — sie begründet die Theorie der endlichen Größen — der gradualen Größen, die vermehrt und vermindert werden können. Die Integration hebt durch ein entgegengesetztes Verfahren den angeblichen Fehler (in Beziehung auf endliche Größen) auf. Sie annihiliert die Differentialen —und vergrößert ihre scheinbaren Differenzen bis zur endlichen Größe: Es ist ein positives und negatives Verfahren.
Die Grundformel des Infinitesimal Kalküls a/unendlich x unendlich = a.
Es ist eine scheinbare Behandlung — Bestimmung des Idealen — ein indirekter — polarischer Kalkül. Gebrauch des Irrtums.
(Wahrheit ist ein vollständiger Irrtum, wie Gesundheit eine vollständige Krankheit.)
Wenn man ein Instrument in seinen vollkommen reinen Wirkungen sehn will, so muß man ihm ein Quid pro quo, ein Nichts, zur Bearbeitung gehen, so erhält man das reinste allgemeine Resultat seiner Wirkungsfähigkeit — und Weise.
Wenige Bekannte Glieder, durch die man in Stand gesetzt wird eine unendliche Menge unbekannter Glieder zu finden — machen die Konstruktionsformel der Reihe aus.
Zahlen Reihen — Flächen — Körper - Körperreihen — Körper
Flächen — Körper Körper u. s. fort.
Addition — Subtraktion — Multiplikation — Division.
Potenzierung — Ausziehn [Wurzelziehn] — Logarithmisieren — ponieren — negieren — etc, von Reihen — des Infinitinoms — der Idealreihe.
Reihen-Formel einer Reihen-Formel-Reihe.
II S.449 (Physikalisches Studienheft)
Unendliche Größen sind werdende Größen — Approximationen an Größen. Eine Größe ist etwas Bestimmtes — Aber alle Nichtgrößen — Alle Unbestimmten lassen sich dem Bestimmten nähern — den Größen nähern. Etwas ist nur relativ Größe und Nichtgröße. Es ist nur in Beziehung auf andre Größen und Nichtgrößen — eins von beiden.
Es gibt also nur verschiedne Arten von Größen, die in Beziehung auf einander nie ganz (absolut) vereinigt, aber relativ, zur Notdurft, vereinigt, in Eine Gattung gebracht oder gegeneinander bestimmt werden können.
Der Begriff Größe drückt das Verhältnis zu einem Gemeinschaftlichen Begriff oder Ganzen, zu einer Einheit, wenn man will, aus. Der Anteil am gemeinschaftlichen Begriff bestimmt die Größe — Dieser gemeinschaftliche Begriff mag nun Zahl, oder Kraft, oder Ausdehnung, oder Richtung, oder Stoff, oder Lage — oder Helligkeit oder sonst des etwas sein.
Die Mathematik bestimmt den Unterschied im Gemeinschaftlichen — die Ungleichheiten im Gleichen. Sie unterscheidet in Beziehung auf das gemeinschaftliche Merkmal.
II S.459 (Freiberger Studien)
So wenig die bloße Länge der Grenze die Größe des eingeschlossnen Raums bestimmt, eben sowenig umgekehrt. Hab ich das Gesetz der Näherung, so kenn ich auch die Natur der unendlichen Größe.
Jede Größe kann durch eine Reihe ausgedrückt werden. Ist die Reihe geschlossen, bestimmt, so ist die Größe bestimmt — ist die Reihe unendlich, so ist’s auch die Größe. Jede Größe ist ein Aggregat — ein Teilbares, eine Reihe, Kette — eine schlechthin einfache Größe gibt’s nicht.
II S.460 (Freiberger Studien)
Kraft, Raum, Zeit, Ewigkeit, Trieb, Polarität, Wirklichkeit
Ewigkeit ist Allheit der Zeit. II S.59 (Fichte-Studien)
Unendlichkeit und Ewigkeit – bloß Zeitvorstellungen. II S.60 (Fichte-Studien)
Alles ist von selbst ewig. Die Sterblichkeit — Wandelbarkeit ist gerade ein Vorzug höherer Naturen.
Ewigkeit ist ein Zeichen, sit Venia Verbis, geistloser Wesen.
Synthesis von Ewigkeit und Zeitlichkeit.
II S.677 (Das allgemeine Brouillon)
Das Geheimnisvolle in der Kraft
Kraft ist Wechsel – Wechsel ist Kraft. II S.94 (Fichte-Studien)
Kraft läßt sich nur mit dem Produkt ausdrücken. II S.96 (Fichte-Studien)
Die Kräfte verhalten sich umgekehrt, wie ihre Geschwindigkeiten. II S.443 (Mathematisches Heft)
Sollte nur die empirische Kraft tätig oder untätig sein können.
Untätigkeit ist Leiden. Untätige Kraft ist aufgehobene, negierte Kraft — Setzt allemal mehr Kraft voraus, die entgegenstrebt. Tätigkeit ist Kraft ohne Widerstreben.
Wie kann die Geschwindigkeit die Kraft vermehren?
/Macht ist ein relativer Begriff, der sich auf das Objekt, von dem er prädiziert, oder dem er entgegengesetzt wird, bezieht und mit demselben in quantitativen Verhältnisse steht./
Positive — negative Kraft —
Letztere — aufgehobene Kraft.
II S.100 (Fichte-Studien)
<Kraft ist die Materie der Stoffe. Seele die Kraft der Kräfte. Geist ist die Seele der Seelen. Gott ist der Geist der Geister.> II S.320 (Vorarbeiten 1798)
(Stoff ist dependente — durch andere Kraft bestimmte Kraft - reagierende Kraft — negativer Geist.) II S.378 (Vorarbeiten 1798)
Durch Glauben armiert oder verstärkt man seine Kräfte, seine Reizbarkeit. /Sollte Reizbarkeit nichts als fortdauernde Aktion - gespannte — permanente — sich selbst erhaltende Kraft sein? / Das Phänomen der Reizbarkeit ist Krampf/
Alle Kraftäußerung ist instantant — vorüberschwindend. Bleibende Kraft ist Stoff. Alle Kraft erscheint nur im Übergehn.
II S.343 (Vorarbeiten 1798)
Der Kraft ist Schwere entgegengesetzt. Der Wirksamkeit — Abhängigkeit — der Wissenschaft — die Meinung — der Regel — der Zufall — das Böse — dem Guten. /Die Negation lehrt uns nichts! Die Masse der Bildung. Der Leib dem Geiste. Der Staat der Wildheit — das Beständige dem Veränderlichen. Das Ding — der Freiheit. Leben — Tod. Der Zug dem Stoße. Die Dichtigkeit dem Raume — die Stetigkeit der Zeit. Ideal — Karikatur. Liebe — Haß. Strafe — Belohnung. Der Charakter überhaupt — der Gattung überhaupt. II S.136 (Fichte-Studien)
Kein Stoff ohne Kraft und umgekehrt. Ihr Übergang in einander. Wenn man den Begriff Stoff idealisiert – gradiiert – so kommt man auf Kraft und umgekehrt -
II S.606f. (Das allgemeine Brouillon)
Die Kraft ist der unendliche Vokal. Der Stoff der Konsonant.
Wie jeder Körper gleichsam Figur (die Figur entsteht durch die Konsonation) hat — so hat auch jeder nach Maßgabe der Stärke und Größe der Hemmung — verschiedne Tendenz gegen die Hemmung und freie ungehemmte Kraft. Diese letztere bestimmt den Trieb mit. (Absolute Wärme, spezifische Wärme.)
In einem System von Körpern wird die freie Kraft jedes Körpers wieder konsoniert — aber auf eine andre Art — nun entsteht die Spezifische Kraft — die Tendenz des Systems heißt man Temperatur. Ist das System ein absolutes, so hat es keine veränderliche spezifische Kraft — sondern eine bestimmte gleiche Temperatur. II S.607 (Das allgemeine Brouillon)
Überall wird eine Kraft, oder Aktion (quod idem est.) transitorisch sichtbar — die durchaus verbreitet, unter gewissen eintretenden Bedingungen (Berührungen) sich zu offenbaren, wirksam zu werden scheint. Diese mystische Kraft scheint die Kraft der Lust und Unlust zu sein — deren begeisternde Wirkungen wir so ausgezeichnet in den wollüstigen Empfindungen zu bemerken glauben.
(Alle Wirkungen sind nichts, als Wirkungen Einer Kraft — der Weltseele — die sich nur unter verschiednen Bedingungen, Verhältnissen und Umständen offenbart — die überall und nirgends ist. Hierdurch fällt das Transfusionssystem etc. übern Haufen.
II S.663/4 (Das allgemeine Brouillon)
Keine Kraft, kein Phänomen wird sich einzeln in der Natur erklären lassen — z. B. Schwere. Alle Kräfte sind, was sie sind — durch Verteilung in Ketten. Eins ist, was das Andre — nur verschiedentlich durch seine Stelle, seine Nachbarschaft modifiziert. II S.793 (Fragmente und Studien 1799/1800)
Alle Kräfte sind lauter Lokalkräfte. II S.796 (Fragmente und Studien 1799/1800)
Alle Kraft ist eine Funktion von Zeit und Raum.
(Anschauung und Gedanke) II S.797 (Fragmente und Studien 1799/1800)
Was entspricht wohl dem Glauben und der sittlichen Energie im Körperlichen.
Alle Kräfte sind Prozesse — Aktionen. Alle Kräfte erzeugen sich selbst fortwährend.
Je höher die Kräfte, desto persönlicher.
Kristallisationskraft. Bildungskraft. Generationskraft. Irritabilität. Sensibilität. Vorstellungskraft. Deutkraft. Intuitionskraft.
Wie verhält sich die Elektrizität, der Magnetismus, die Wärmekraft, Kohäsionskraft, die Bewegungskraft, die Schwerkraft, die Elastizität, der Galvanismus [Kraft, die im elektrischen Gleichstrom wirkt], die chemische Verwandtschaftkraft. II S.823 (Fragmente und Studien 1799/1800)
Zentripetal- und Zentrifugalkraft
Die Zentripetalkraft nimmt durch Geschwindigkeit zu — liegt sie im Körper oder ist sie Anziehungskraft? /Magnet. Elektrizität/. II S.100 (Fichte-Studien)
Zentripetalkraft — ist das synthetische Bestreben — Zentrifugalkraft — das analytische Bestreben des Geistes — Streben Einheit — Streben nach Mannigfaltigkeit — durch wechselseitige Bestimmung beider durch Einander — wird jene höhere Synthesis der Einheit und Mannigfaltigkeit selbst hervorgebracht durch die Eins in Allem und Alles in Einem ist. II S.378 (Vorarbeiten 1798)
Zentralkräfte sind Radien, nicht Diameter./ Eine Spitze ist ein mechanischer Fokus. / Ist wirklich, nach Baader — Kälte und Schwereverwandt?
II S.690 (Das allgemeine Brouillon)
(Entgegensetzung von Basis, welcher Begriff sich auf Schwere bezieht, und Hebel (von Heben) welcher sich auf Gegenschwere bezieht)
(Neue Deduktion des Hebels, aus dem Hebepunkte etc. durch Zentrifugalkraft.)
II S.684 (Das allgemeine Brouillon)
Zentralbewegung und Zentralerscheinungen beim Galvanismus — ihre Ursache. (Der Galvanismus scheint die allgemeine Tätigkeits-Ursache in der Natur.)
II S.793 (Fragmente und Studien 1799/1800)
Entstehung der Wirklichkeit
Philosophische Kraft.
Unterschied zwischen Kraft und Realität. /Überhaupt was ist Realität?/
Ihre Direktion ist zentripetal und zentrifugal zugleich — Immanenz aber charakteristisches Kennzeichen der Einbildungskraft.
Stoff ist bloß für die Vorstellung, Materie allein für die Anschauung. Form ist, wie die Zeit, beiden gemein. Geformt deutet auf ein subalternes Verhältnis.
II S.98 (Fichte-Studien)
Die Sphäre zwischen Zustand und Gegenstand ist die Sphäre der Realität, oder der Wirklichkeit im strengen Sinn. II S.134 (Fichte-Studien)
/Zeit. Raum. Freiheit — Notwendigkeit./
Negation ist mehr, als Mangel; es ist Setzen des Entgegengesetzten.
/Aus Zufälligkeit und Notwendigkeit entsteht die Wirklichkeit./ II S.135 (Fichte-Studien)
Aus zwei entgegengesetzten — entsteht das eigentlich Reale. II S.136 (Fichte-Studien)
/Nur durch Übergehn in eine andre Sphäre ist ein Ding ein Ding oder entsteht ein Ding./ II S.156 (Fichte-Studien)
Alle Wirklichkeit hat ein Vor und ein Nach – beides sind Möglichkeiten – Nach ist Möglichkeit. Vor war Wirklichkeit. In ihr ist aber alles zugleich.II S.97 (Fichte-Studien)
Mechanik. (In der mechanischen Bewegung muß das Bewegende schlechterdings eine Verbindung von Zeit — Stoff und Kraft sein. Ohne kooperierende Kraft der Geschwindigkeit - zusammengesetzte Kraft — Keine Bewegungen. Die Wirkungen der Schwere sind keine Wirkungen einer freien Bewegenden Ursache — keine mechanischen Bewegungen im strengen Sinne.) (Druck und Stoß.) (Plötzlicher Druck ist nicht Stoß.)
Physik. Die Erläuterung des Begriffs von Polarität wird hier am rechten Ort sein. Polarität entsteht durch Zersetzung eines Grads in seine Elemente. Hier tritt Quantität und Qualität auseinander — die Merkmale des Grades treten positiv und negativ gegen einander. Polarität ist eine Unvollkommenheit — es soll keine Polarität einst sein. Sie tritt in System ein, eh es vollkommen ist. Wenigstens wird sie einst nur Mittel, nur transitorisch sein dürfen. Bei der Polarität entsteht eine Trennung des Notwendig-Verbundenen — eine Feindseligkeit — gegenseitige Aufhebung und Beschränkung. Es ist ein antinomischer Zusammenhang da — der Satz des Widerspruchs regiert — Status naturalis, polaris est bellum omnium contra omnes. Hier entsteht das Nichts — 0. Ist in diesem Kriege ein unpolarisches Wesen, so bleibt dies allein übrig. Das übrige vernichtet, oder bindet sich untereinander und es erscheint nichts — i. e. nichts Gemeinschaftliches — denn nur die Seele, oder der Geist kann erscheinen — mithin alles Erscheinende ist ein Gemeinschaftliches — ein Beseeltes.
(Zwischen Seele und Geist steht das personifizierende, das Gemeinschaftliche, Gliedernde Prinzip — und über diesem steht die Synkritische[zusammensetzende, vergleichende, verbindende] Seele — der vollkommne Geist. Die Seele ist die synkritische Kraft. Zwischen der Seele und Kraft steht das teilende, sondernde, gliedernde Prinzip und die Kraft ist der synkritische Stoff — der antinomisch kritische Stoff.. der gemeine einfache Stoff. Gott ist der synkritische Geist.)
Ein einfaches kritisches Schema muß angenommen werden. Dies ist die Basis der Welterscheinung. Aus seinen Bewegungen und Figurationen entsteht das große, ausgeführte Weltschema.
Bei der Polarität — der Erscheinung der spezifizierenden Kraft (Grade der Erscheinung, des Gemeinschaftlichen) ist alles getrennt, was eigentlich zusammengehört— Mannigfaltigkeit steht der Stärke - Dauer beiden entgegen.
Enzyklopädistik. Mit dem bloßen Stoff den Anfang in der Philosophie der Wissenschaften zu machen ist eben so einseitig und antinomisch und unkritisch, als mit der bloßen Bewegung anzufangen. Mit dem Menschen anzufangen ist schon kritischer — mit dem idealischen Menschen d.h. mit dem Genius anzufangen noch kritischer — mit Gott anzufangen — ein Maximum der Kritik. (Etwas Kritik ist überall)
II S.578/9 (Das allgemeine Brouillon)
Anfang in der Geometrie mit wirklichen Körpern — Anfang mit Punkten. Figurensystem. — Raumbegrenzungs — und Raumerfüllungs-Systems.
Selbstsortierungs-System der Natur z.B. bei der Schwere - das Schwerste muß unten — das Leichteste oben sein, weil das Schwerste am mehrsten tragen kann und vorzüglich, weil es einen kleinem Raum einnimmt, als das leichte — Unten aber, am Mittelpunkt, der kleinste Raum ist. II S.662 (Das allgemeine Brouillon)
Was ist Licht?
Licht ist auf jeden Fall Aktion — Licht ist wie Leben, wirkende Wirkung — ein nur im Zusammentreffen gehöriger Bedingungen, sich Offenbarendes. Licht macht Feuer. Licht ist der Genius des Feuerprozesses.
Leben ist, wie Licht, der Erhöhung und Schwächung und der graduellen Negation fähig. Bricht es sich auch, wie dieses in Farben? Der Nutritionsprozess ist nicht Ursach, sondern nur Folge, des Lebens.
II S.416 (Vorarbeiten 1798)
Ein Lichtstrahl bricht sich noch in etwas ganz Anderes, als Farben. Wenigstens ist der Lichtstrahl einer Beseelung fähig, wo sich dann die Seele in Seelenfarben bricht. Wem fällt nicht der Blick der Geliebten ein? II S.354 (Vorarbeiten 1798)
Lichttheorie. Je stärker die Repulsivkraft eines leuchtenden Körpers ist, desto mehr Geschwindigkeit erhalten die Lichtstrahlen — desto kräftiger sind sie.
Lichttheorie nach der Wärmetheorie.
II S.529 (Das allgemeine Brouillon)
Die Emanationslehre oder die philosophische Lichttheorie — beruht auf der Transfusionsidee.
Die Schwere hat viel Ähnlichkeit mit dem Lichte — die Zentralpunkte sind Fokus. Vielleicht erzeugt sich Energie, Aktion, Leben im Fokus, wie Wärme im Lichtfokus.
II S.674 (Das allgemeine Brouillon)
Analyse der Einbildungskraft
Das Subjekt, welches als Vorstellung Ich heißt, ist eine ruhende Kraft, ein Festes, Einfaches, Veränderndes, ohne sich zu verändern.
Anschauung und Vorstellung ist Eins. Jene Beziehung der Einbildungskraft auf die Sinnlichkeit — diese Beziehung der Einbildungskraft auf den Verstand.
II S.75 (Fichte-Studien)
Die Einbildungskraft ist
1. überhaupt ausschließend, erschöpfend, begrenzend, nezessitierend.
2. besonders real, ideal, aktiv, passiv, möglich, wirklich, einfach, mehrfach.
Einheit — Allheit — um Allheit zu haben müssen wir von einer Einheit ausgehn und diese ist die Einbildungskraft. /Die Allheit ist Produkt der Einbildungskraft. Die Einheit ist Produkt der Allheit — das Unendlich Bestimmte —
Die quantitative und qualitative Einbildungskraft beziehn sich auf den Gemeinsatz — die relative und modale auf die Gegensätze.
Sein | Kraft | ||
1. passive Verhältnisse zwischen Sein und Schein — sie selbst.
2. aktive Verhältnisse zwischen Sein und Schein durch die Kraft — Stoff und Form.
3. aktive Verhältnisse zwischen Kraft und den Produkten —Bestimmbarkeit und Bestimmtheit. -
4. passive Verhältnisse zwischen Kraft und Produkten — Ganzes und Teile.
Aktivität — Passivität.
(Negation. Position. Realität. Idealität.)
(Substanz. Akzidenzen. Kausalität und Dependenz.)
Das Sein der Vorstellung ist die Form — der Schein — der Stoff. Das Sein der Anschauung ist der Stoff der Schein — die Form.
II S.92f. (Fichte-Studien)
/Einbildungskraft, für das Anschauende, ist Vorstellungsvermögen — Vorstellungskraft, Einbildungsvermögen. Gefühlssinn ist Empfindungsfähigkeit — Empfindungssinn ist Gefühlsfähigkeit.
Einbildungskraft ist transzendente, /äußre/ Kraft — und immanentes, /inneres/ Vermögen — Vorstellungskraft immanente Kraft, innre Kraft — transzendentes /äußres/ Vermögen. So ist Gcfühlssinn — äußrer Sinn und innre Fähigkeit. Empfindungssinn — innrer Sinn und äußre Fähigkeit.
II S.133f. (Fichte-Studien)
/Anschauungen des Raums und der Zeit. Einbildungskraft. Schema. Synthesis von leeren und erfüllten Raum./
/ Kants Erscheinungen. Transzendentalphilosophie./
/ Die mathematischen Anschauungen sind die sichtbaren Regeln der Ordnung des Mannigfaltigen Raums, oder der ausgedehnten Gegenstände, so wie auch der mannigfaltigen Momente der sukzessiven Gegenstände./
Die wirklichen Gegenstände fixieren nur die unendlichen Variationen der Raum- und Zeitgestaltungen durch die Einbildungskraft — Sie fixieren die Schemata durch Füllung mit widerstrebender, unabhängiger Masse — Synthesis von Ich und Nicht-Ich.
Der Unterschied zwischen Wahn und Wahrheit besteht in ihrem verschiedenen Zusammenhang — die Wahrheit hängt mir ihrem absoluten, positiven Universo zusammen — der Wahn bezieht sich nur auf bestimmte, paradox gewählte Teile des Universi, die er zur absoluten Totalität erhebt — daher ist der Wahn, Krankheit — die allemal distinktiv — exklusiv — paradox - polemisch gegen das Ganze durch die Unendlichkeit ihrer Forderungen und Behauptungen ist.
Kant setzt die feste, ruhende, gesetzgebende Kraft apriori in uns.
II S.220/1 (Kant-Studien)
Das Äußre ist gleichsam nur ein verteiltes — übersetztes Innre — ein höheres Innre. (Was ist Erscheinung?) II S.643 (Das allgemeine Brouillon)
Die Vorstellung der Innen- und Außenwelt bilden sich parallel fortschreitend — wie Rechter und Linker Fuß — bedeutender Mechanismus des Gehens./ Betrachtung über den Jahrmarkt — ein Warentheater — auf Illusion etc, angelegt
— Von Sammlungen und ihren Aufstellungsarten und Demonstrationsarten überhaupt/ Über die Sprache der Körperwelt durch Figur. Übersetzung der Qualität in Quantität und umgekehrt.
Wenn in uns die Welt entsteht — so entsteht das Weltkörpersystem zuerst — und so herunter — Das Astralsystem ist das Schema der Physik. Übersetzung desselben auf die Oberfläche — in Fossilien — Pflanzen, und Tiere. Der Mensch ist ein Fokus des Äthers. (Begriff vom Äther.)
Die gewöhnliche Naturlehre ist notwendige Phänomenologie — Grammatik — Symbolistik. /Wir sehn die Natur, so wie vielleicht die Geisterwelt, en perspektive.
Der verständigen Einbildungskraft kommt das Geschäft des Bezeichnens im Allgemeinen zu — des Signalisierens — Phänomenologisierens — Die Sprachzeichen sind nicht spezifisch von den übrigen Phänomens unterschieden.
II S.690f. (Das allgemeine Brouillon)
Was ist Zeit?
Das außer der Zeit Befindliche kann nur in der Zeit tätig. oder sichtbar sein./ Warum Universalphilosophie kein positives System sein kann — Sie kann nichts, als die Form der vollständigen Tätigkeit des Geistes bei einer Bestimmung enthalten./ Um etwas zu bilden muß man ein Objekt vor sich haben — entweder entwirft man sich dies selbst, oder findet es auswärts./ II S.202 (Fichte-Studien)
Enzyklopädistik. Die Zeit, als Koprinzip der Verwandtschaften, teils in Beziehung auf Folge — teils in Beziehung der Geschwindigkeit.
Die Lehre von der qualitativen Zeit ist die Lehre von der Geschwindigkeit. Grade der Zeit. Zeitzahlen. So auch mit dem Raum.
Chronologie ist die Lehre von der Zeitlängenbestimmung eines Faktums — eines zeitlichen Individuums. Die Zeit ist hier, als ein unermeßlicher Meridian zu betrachten — worauf jedes zeitliche Individuum seine Sphäre, seine Skale hat. — Die Größen — Entfernungen und Einteilungen dieser Skalen sind nun Gegenstand der Chronologie.
Der Chronologie steht die Lehre von der Ortsbestimmung im Raum gegenüber — die allgemeine Topologie.
Spezielle historische Chronologie — Spezielle historische und terrestrische Topologie. Beide nannte man zum Unterschied von der speziellen Geschichte der Chronologie und Topologie, die eigentlich diesen Namen verdienen, chronologische und topologische Erden- und Menschengeschichte.
II S.576 (Das allgemeine Brouillon)
/ Die Zeit ist ein sukzessiver Wechsel dreier Kräfte — Die Gegenwart ist die Schwebung — gleich einem Gefäße, das einen aufnehmenden und abführenden Gang hat. / II S.691 (Das allgemeine Brouillon)
Die Gegenwart ist das Differential der Funktion der Zukunft und Vergangenheit. II S.717 (Das allgemeine Brouillon)
Raum- und Körperwelt
Die Form der transzendenten Person ist Raum - der immanenten Zeit. Daher ihre unzertrennliche Vereinigung. II S.64 (Fichte-Studien)
Der Körper ist das Innre bei der Entgegengesetzten Welt und der Geist das Äußre - das Feste — etc. Fluktuierender Körper — fluktuierender Geist. Alle körperliche Operationen sind ein entgegengesetztes Denken. Drüben ist Brennen, Gären, Stoßen etc. — was hier Denken, Empfinden etc. ist.
II S.501 (Das allgemeine Brouillon)
Indem wir die mannigfaltigen Körper und ihre gegenseitigen Verhältnisse und deren Folgen aufmerksam betrachten, so werden uns manche, teils durch die Körper, teils durch die Art und Weise verschiedne Näherungen — und Entfernungen merkwürdig. Auffallend werden die Folgen mancher Näherungsverhältnisse, wo der luftige Raum zwischen beiden Körpern 0 wird. Wir nennen diejenigen Körper von einander entfernt, zwischen denen andre Körper befindlich sind, oder sein können. Um so entfernter, je mehr Körper zwischen ihnen sich befindet. Verbunden sind sie, wenn der Zwischenkörper eine oder mehr gegenseitige Beziehungen auf beide hat. Getrennt, wenn er keine solchen hat. II S.663 (Das allgemeine Brouillon)
Die Körperwelt ist die prosaische — der bloße (rohe) Raum ist Anfangspoem. Endpoem wird der gebildete Raum sein. Natürlicher Raum - künstlicher Raum. Ein Körper ist ein konsonierter Raum. Der ferne Körper löst sich wieder in Raum auf — verschwindet in Raum. (chemische Entfernung) — Diamant im Feuer. (Was kleiner wird, entfernt sich.) Alles soll wieder Raum werden. (Körper-Schema — Weltkugel.) (Schema der Züge oder Ströme — Weltkugelfluß. Zug oder Strom. Dem Körper entgegengesetzt — Bewegung. Die konsonierte Bewegung der Zeit die wirkliche Bewegung. Ferne Bewegung löst sich wieder in absolute Bewegung auf. Wo Körper ist, ist Raum nicht. Wo Bewegung ist, ist Zeit nicht. Alle Ströme und Bewegungen sollen Zeit (Ewigkeit) werden, rohe Zeit — gebildete Zeit. Die Zeit dauert absolut. Alle Ströme sollen dauernd — alle Körper durchdringlich werden etc. (Begriff von Lage.) II S.538/9 (Das allgemeine Brouillon)
(Eine Gestalt veranlaßt unzählige Gestalten, die sich am Ende auf sie reduzieren lassen müssen. Die unendliche Schwierigkeit dieses Problems kann auch nur sukzessive und stückweise d.h. in unendlichen Raum und in unendlicher Zeit gelöst werden. Mit den Schwierigkeiten nehmen die Kräfte zu. Die rohe, einfache Schwierigkeit ist die Schlimmste — man teile die Schwierigkeiten und sie werden schon schwächer — Die Teilung der Schwierigkeiten ist eine Konzentration der Kraft — und je mehr sich das Hauptproblem vor unsern Blicken zerteilt, Zahl wird, desto auflösbarer wird es i. e. desto mehr dringen wir in dasselbe ein — unsre Kraft — die unendlich verdünnt war, wird dichter — und wird jenes unendlich zerteilt, so wird unsre Kraft unendlich konzentriert und mithin absolut eindringend — das Problem ist gelöst.
(Unendliche Grade der Auflösung)
Mit jeder Auflösung wächst die aufzulösende Menge und mit ihr die auflösende Kraft.)
(vid. Kants Bemerkungen über die chemischen Auflösungen)
<Jetzt sehn wir deutlich die Unvollkommenheit und das Ideal unsers körperlichen und menschlichen Systems.>
II S.564 (Das allgemeine Brouillon)
(Der unendlich verdünnten Kraft entspricht der unendlich einfache Stoff — und die unendlichlange Auflösungszeit. Der unendlich einfache Stoff ist auch der unendlich kleine Stoff — der Punkt — die unendlich dünne Kraft ist auch die unbegrenzte, das ist ungegliederte Kraft oder reine Bewegung der Weltraum des Chaos — die unendlich lange Auflösungszeit ist die Ewigkeit ante, die Weltzeit des Chaos. Philosophischer Differential- und Integralkalkül.)
II S.565 (Das allgemeine Brouillon)
Der Abstraktionskalkül der Philosophie ist vollkommen dem lnfinitesimalkalkül zu vergleichen. II S.668 (Das allgemeine Brouillon)
Mit dem bestimmten Raum entsteht auch die bestimmte Zeit und der bestimmte Stoff — der Körper. Mit dem unbestimmt bestimmten Raum war die Möglichkeit nach bestimmter Räume — mit einem wirklich bestimmten Raum n-fach bestimmte Räume gegeben und so mit dem Stoff und mit der Zeit. Materia prima ist der Punkt.) II S.565 (Das allgemeine Brouillon)
Logische Dynamik. Teilung und Erweiterung der Schwierigkeiten ist also zugleich eine Konzentrations- und Bildungsoperation der Kraft — und eine Verkürzung und bessere Benutzung der Zeit. (je kürzer die Zeit, desto reichhaltiger, mannigfaltiger. (Lange Zeit schwächt — kurze Zeitstärkt.) II S.566 (Das allgemeine Brouillon)
Trieb und Raum haben viel Ähnlichkeit — Jeder Körper ist ein ausgefüllter Trieb. II S.657 (Das allgemeine Brouillon)
Über Anziehkraft und Trieb.
Anziehung des Allgemeinen und Besondern — des eigentlichen Entgegengesetzten — in einem Punkte verschieden, in einem gleich — der Anschauung und Vorstellung — und des Empfindens und Fühlens.
Trieb ist Tätigkeit auf eine bestimmte Art — Es sind nur im Vorstellenden und Anschauenden, als solchen, Triebe —
Leidenschaft ist Leiden auf eine bestimmte Art.
/Zug. Neigung. Lust. Begierde. Wunsch. Hang. Willen./ positiver negativer Mangel. positives, negatives Dasein./ Affekte/
/Der Gebende muß ein Gegebnes, der Nehmende ein Genommnes haben.!
II S.133 (Fichte-Studien)
Ergänzungstrieb. Erweitert sich die Sphäre einer bestimmten Kraft auf eine bestimmte Art, so entsteht notwendig ein Trieb. Streben einer Kraft realisiert zu werden ist Trieb. Aus der Anziehungskraft, wenn man sie Kraft nennen will, da sie eigentlich positiver Mangel ist, entsteht der Trieb. Jene Verstärkung fremder Kraft durch Aufhebung seiner eignen ist Anziehung. /Je mehr Negation des Einen, desto mehr Position des Andern.
Aus Kraft und Gegenstand entsteht Tätigkeit. Aus Sinn oder Empfänglichkeit, Anziehungskraft quasi, und Zustand Leiden.
II S.134 (Fichte-Studien)
Kraft ist alles positive. Trieb ist dem Sinn entgegengesetzt. Schwäche will ich indes das Negative nennen.
/Jedes Verbum drückt Trieb und Fähigkeit, Sinn und Vermögen zugleich aus./
II S.135 (Fichte-Studien)
/ Alle Stoffe unterscheiden sich von einander durch die Modifikation des Triebes. Grobe und feine Stoffe. Es gibt keinen bloßen Stoff — wie kein bloßes Objekt. Stoff ist der Träger und Zeiger der Handlung — der Tätigkeit. II S.668 (Das allgemeine Brouillon)
Stoffe sind am Ende, wie verschiedne Glieder unterschieden. Wo Ein Stoff ist sind alle Stoffe potentia — Über die chemischen Stoffe etc.
II S.669 (Das allgemeine Brouillon)
Die Körper sind in den Raum präzipitierte und angeschossne Gedanken — Bei der Präzipitation ist der Raum, als 0 (Null) oder unendlich — als freie Temperatur — substantieller Körper, zugleich entstanden. II S.691 (Das allgemeine Brouillon)
Ein Körper verhält sich zum Raume – wie ein Sichtbares zum Lichte. II S.695 (Das allgemeine Brouillon)
Ein Raumerfüllungsindividuum ist ein Körper. Ein Zeiterfüllungsindividuum eine Seele. / Zeiterfüllungsgesetze. / Jenes macht Raum — dies Zeit)
Jeder Körper hat seine Zeit — jede Zeit hat ihren Körper. Zeitkonstruktionen (Zeittriangel — Zeitfiguristik — Zeitstereometrie - Zeittrigonometrie.)
II S.697 (Das allgemeine Brouillon)
Kausalität
Es liegt im Begriffe der Tätigkeit vor dem Leiden zu sein - Kausalität zu sein — sowie im Begriff des Leidens hernach, und Effektivität zu sein. Beides ist nichts, ohne das Andre. II S.133 (Fichte-Studien)
Die Kausalität des Gefühls geht durch die Vorstellung. Die Kausalität der Empfindung durch die Anschauung. Die Effektivität der Anschauung durch die Vorstellung — die Effektivität des Gefühls durch die Empfindung. II S.135 (Fichte-Studien)
Beziehung des Raums auf den Begriff Substanz – und der Zeit auf den Begriff Causa. II S.657 (Das allgemeine Brouillon)
Der Begriff von Kausalität bezieht sich auf eine reelle Zeiterfüllung — indem in dem vorgegenwärtigen Momente, ein spezifischer Gegenstand gedacht wird, der sich auf den Gegenstand des gegenwärtigen Moments, wie sein Moment zu diesem Momente verhält — Im Zweckbegriffe wird dem gegenwärtigen Momente (Gegenstand) ein veranlassender folgender (Gegenstand oder) Moment zugedacht. Das Mittel ist im gegenwärtigen Momente — die Substanz ist auch im gegenwärtigen Momente — sie ist eine personifizierte — figurierte Gegenwart. II S.697 (Das allgemeine Brouillon)
Beziehungen zwischen Raum und Zeit
Verbundensein durch ein Getrenntsein – Zeit
Getrenntsein durch ein Verbundensein – Raum
II S.42 (Fichte-Studien)
Das Getrennte im Verbundenen ist Raum, das Verbundene im Getrennten Zeit. II S.42 (Fichte-Studien)
Zeit ist die Bedingung aller Synthesis. II S.60 (Fichte-Studien)
Raum und Zeit ist Eins, nur umgekehrt – wie Natur und Person. II S.64 (Fichte-Studien)
Form ist ein bloßes, weder an Raum, noch Zeit gebundenes Verhältnis/
/Raum ist das bestimmte Unendliche — Zeit das Unbestimmte Endliche. Die Zeit kann nur durch den Raum, der Raum nur - durch die Zeit gemessen werden. Raum geht auf die Anschauungen — Zeit auf die Vorstellungen.
II S.75 (Fichte-Studien)
Raum und Zeit — sinnliche Anschauungen a priori — was heißt das?
Raum Geometrie Figurenschema | Zeit Mechanik Bewegungsschema |
II S.631 (Das allgemeine Brouillon)
Zeit und Raum entstehn zugleich und sind also wohl Eins, wie Subjekt und Objekt. Raum ist beharrliche Zeit — Zeit ist fließender, variabler Raum — Raum — Basis alles Beharrlichen — Zeit — Basis alles Veränderlichen. Der Raum ist das Schema — die Zeit der Begriff — die Handlung(Genesis) dieses Schemas. (Allem Moment muß ich einen Vor- und Nachmoment hinzudenken)
Reine Beobachtungen der Zeit und Raum Phänomene.
II S.668 (Das allgemeine Brouillon)
Der Raum geht in die Zeit, wie der Körper in die Seele über. II S.700 (Das allgemeine Brouillon)
Der Raum als Niederschlag aus der Zeit — als notwendige Folge der Zeit. II S.761 (Das allgemeine Brouillon)
Zeit ist innrer Raum — Raum ist äußre Zeit. (Synthesis derselben.) Zeitfiguren usw. Raum und Zeit entstehn zugleich.
Die Kraft der zeitlichen Individuen wird durch den Raum - die Kraft der räumlichen Individuen durch die Zeit (Dauer) gemessen.
II S.697 (Das allgemeine Brouillon)
Die Sensation ist mittelbare (Bewegung) und unmittelbare (Stoffveränderung) Erkenntnisquelle zugleich. (Sensation Erregung.) (physiologische Erklärungsart der Vorstellung Raum — Zeit — Unendlich.) II S.621 (Das allgemeine Brouillon)
Ausdehnung und Dimension
d |
| g |
| b |
| a | |
d un d1 - g und g1 - b und b1 - a und a1 entstehn zugleich. II S.674 (Das allgemeine Brouillon)
Die drei Dimensionen sind Resultat der Reduktion unendlicher Dimensionen. Sie beziehn sich auf einen dreifachen Durchgang der Blätter.
II S.691 (Das allgemeine Brouillon)
Anfang der Gestalt (Definition) in den Richtungen etc. (Winkel)
Von Fläche und Inhalt. (Ausdehnung mit und ohne Kraft.)
II S.671 (Das allgemeine Brouillon)
Leichtsinn — Schwersinn etc. /Entstehungsformel eines Triangels./ Über die sukzessive, und stückweise Bestimmung des Raums. (Winkel, Hyperbeln, Parabeln Parallellinien — bloße Linien etc.)
Der Begriff der Fläche ist nach dem Begriff des Körpers und fast aus demselben oder wenigstens mittelst desselben entstanden.
II S.696 (Das allgemeine Brouillon)
Ein Triangel schließt eine Fläche ein. Eine dreiseitige Pyramide einen Körper. So wird Form konstruiert — wie Stoff? Nicht auch eine Trias. Gegenstück zur Trigonometrie. II S.330 (Vorarbeiten 1798)
Dimensionen = Richtungen. (Selbstberührung im Galvanismus und Elektrizität auch wohl in der Chemie)
(Richtung entsteht mit der Figur) II S.703 (Das allgemeine Brouillon)
Poetisierung der Welt
Was ist die Welt?
/Gesichtspunkt/ Welt ist das aus Gegenstand und Zustand gleichsam entstandne. Gott und Welt sind wieder zwei entgegengesetzte. Das Produkt ist Mensch. Der Mensch ist aus Leib und Geist zusammengesetzt. Beide sind in gewisser Rücksicht, allgemein — Welt und Gott — besonders — Gott und Welt. II S.136 (Fichte-Studien)
Die Welt wird ihrem Grunde entgegengesetzt. Der Grund ist die Eigenschaft der Welt und die Welt die Eigenschaft des Grundes. Gott heißt Grund und Welt zusammen.
Der Grund und die Welt laufen nun in Parallellinien fort und teilen sich durchaus gleichförmig. Sie sind Eins — folglich auch im Kleinsten, in allem.
Der Grund besteht aus Gesetz und Tatsache. i. e. das Wesen des Grundes ist Gesetz und Tatsache — seine Eigenschaft — Zustand und Gegenstand. Das Wesen der Welt ist Zustand und Gegenstand — ihre Eigenschaft Gesetz und Tatsache.
Wo finden sich die Begriffe, Wesen und Eigenschaft?
Das kann nicht Wesen und Eigenschaft haben, Welt und Grund — in dessen Bezirk erst diese Begriffe entstehn.
Derivation Gottes von Gattung.
Anfangsgründe der Weltweisheit
Die Welt ist die Mutter der Eigenschaften — der Vater der Wesenheiten ist der Grund.
II S.145/6 (Fichte-Studien)
Gott konnte die Welt nur nach einer Idee, folglich nur durch ein Mittelbares Schaffen. Alle Wirksamkeit ist mittelbar. Kein Ding kann auf das Andre unmittelbar, Ding zu Ding wirken, sondern nur mittelbar durch Erscheinung, Tätigkeit oder Leiden, in einer gemeinschaftlichen Sphäre — diese ist das universale - Sensorium — Die Sphäre der Freiheit ist’s, und die Sphäre des Zwangs. II S.190 (Fichte-Studien)
Aus dem Wirklichen und Möglichen besteht diese Welt — Beide entstehn aus Einem Prinzip und sind vor Gott Eins. Nur der Mensch unterscheidet zwischen Wirklich und Möglich.
Vor Gott gibt’s nichts Böses.
/Die Welt — wie wir sie jetzt sehn, ist die Summe unsrer jetzigen, von unsrer Seite passiven Verhältnisse mit Gott.!
II S.214 (Hemsterhuis-Studien)
Wenn die Welt gleichsam ein Niederschlag aus der Menschennatur ist, so ist die Götterwelt eine Sublimation — Beide geschehn uno actu — Kein plastisches Präzipitat, ohne geistiges Sublimat. Was jenes an Wärme verliert, gewinnt dieses. Gott und Welt entsteht in Einem Wechselzugleich — durch eine Zersetzung der Menschennatur, /Böse und gute Geister sind gleichsam Strickstoff und Lebensluft. Zum tierischen Leben gehören beide — und der tierische Körper besteht größtenteils aus bösem Geiststoff./ II S.321 (Vorarbeiten 1798)
Die Welt hat eine ursprüngliche Fähigkeit durch mich belebt zu werden — sie ist überhaupt a priori von mir belebt — eins mit mir. Ich habe eine ursprüngliche Tendenz und Fähigkeit die Welt zu beleben. — Nun kann ich aber mit nichts in Verhältnis treten — was sich nicht nach meinem Willen richtet oder ihm gemäß ist. — Mithin muß die Welt die ursprüngliche Anlage haben sich nach mir zu richten — meinem Willen gemäß zu sein.
Meine geistige Wirksamkeit — meine Realisation von Ideen — wird also keine Dekomposition und Umschaffung der Welt — wenigstens nicht, insofern ich Mitglied dieser bestimmten Welt bin — sein können, sondern es wird nur eine Variations-Operation sein können. Ich werde unbeschadet der Welt und ihrer Gesetze — mittels derselben — sie für mich ordnen, einrichten und bilden können. Diese höhere Bildung streitet mit der mindern nicht. — Sie geht, unbeschadet dieser, ihren Weg — und benutzt die Welt, die eben deshalb Welt ist, weil sie sich nicht vollständig und total bestimmt — und also noch mannigfach anderwärts her bestimmbar bleibt — welches bei einem vollkommen vernünftigen Individuo nicht der Fall ist — zu beliebigen Zwecken.
Zur Welt gehört also alles, was sich nicht absolut vollständig bestimmt — was einem andern Wesen noch zu mannigfachen Behuf dienen kann — ohne daß es davon weiß — und dadurch gestört und im wesentlichen verändert wird.
Ein vollkommen vernünftiges Wesen kann nicht einmal gedacht werden — ohne um diesen Gedanken zu wissen und ihn mit zu bestimmen. (Gott usw.)
(Ein, organischer Körper gehört in Rücksicht seiner innigen Gemeinschaft — und seines Grundsatzes — alle für einen und einer für alle — nicht ganz in die Welt — er ist ein gemischtes Produkt.) II S.343/4 . (Vorarbeiten 1798)
Die Welt ist auf jeden Fall Resultat einer Wechselwirkung zwischen mir und der Gottheit. Alles was ist und entsteht entsteht aus einer Geisterberührung.
Die äußere Sollizitation ist nur in Ermangelung innrer Selbstheterogenenisierung — und Berührung.!!!!!
Der Vornehmere vermehrt die Zentripetalkraft im Geringeren.
Die Idee vom Mikrokosmos ist die höchste für den Menschen. Kosmometer sind wir ebenfalls./
Unterschied zwischen willkürlicher, symptomatischer, und mimischer Charakteristik oder Sprache.
Alles, was wir erfahren ist eine Mitteilung. So ist die Welt in der Tat eine Mitteilung — Offenbarung des Geistes. Die Zeit ist nicht mehr, wo der Geist Gottes verständlich war. Der Sinn der Welt ist verloren gegangen. Wir sind beim Buchstaben stehn geblieben. Wir haben das Erscheinende über der Erscheinung verloren. Formularwesen. II S.383 (Vorarbeiten 1798)
Die Welt ist ein Universaltropus des Geistes – Ein symbolisches Bild desselben. II S.390 (Vorarbeiten 1798)
Durch den Menschen wird des Menschen Welt so zusammengehalten, wie seines Körpers Bestandteile durch sein Leben. II S.449 (Physikalisches Studienheft)
Die Urtätigkeit wird durch einen Begriff von sich selbst elementarisiert. Die Welt oder das Resultat dieser Elementarisierung ist diesem Urbegriffe (dieser Urreflexion) konform. Wie die Urwissenschaft oder die Urreflexion der Urtätigkeit korrespondiert — wie die Welt diesem Verhältnis der Urwissenschaft zur Urtätigkeit entspricht, so entspricht die repräsentative, ideale Wissenschaft ebenfalls diesem Verhältnisse und verhält sich zur Welt, wie die Urwissenschaft zur Urtätigkeit. Die Wissenschaft von den Weltelementen ist ein der Welt simultanes Produkt. Wie die Urtätigkeit vollkommen durch die Welt repräsentiert werden soll, so sollen auch ihre Elemente vollkommen zugleich repräsentiert werden. Die Vollkommenheit beider Repräsentationen steht im Gemeinschaftsverhältnis. Wie die Welt, so die Weltwissenschaft und umgekehrt.
Der Vervollkomner der Weltwissenschaft, oder der metaphysische, theoretische Künstler betreibt also indirekt die Verbesserung der Welt — und umgekehrt der praktische empirische Handwerker, der Welthandwerker, indirekt die Vervollkomnung der Weltwissenschaft — der Weltformularistik. Jener braucht den Gedanken von Raum und Zeit oder den unmittelbaren Raum und Zeit — wie dieser den sinnlichen Raum und Zeit, oder den mittelbaren Raum und die mittelbare Zeit.
II S.469 (Das allgemeine Brouillon)
Kosmologie. Unsre Welt ist das was sie ist, als Glied des Universalweltsystems. Ihre Veränderungen werden mit durch die Veränderungen des großen Systems bestimmt.
Je mannigfacher Etwas individualisiert ist — desto mannnigfacher ist seine Berührung mit andern Individuen — desto veränderlicher seine Grenze — und Nachbarschaft.
Ein unendlich charakterisiertes Individuum ist Glied eines Infinitinomiums — So unsre Welt — Sie grenzt an unendliche Welten und doch vielleicht nur an Eine. Die Welt im Ganzen hat auch nur Eine Welt gegen sich über. Himmel und Erde. Entstehung der Krankheit durch Berührung eines stärkern Lebens. Analoge Gleichung der andern Welt — Theorie des Himmels. II S.494 (Das allgemeine Brouillon)
Die Welt ist ein gebundener Gedanke. Wenn sich etwas konsolidiert, werden Gedanken frei — Wenn sich etwas auflöst, so werden Gedanken gebunden.
Sollten die Weltkörper Versteinerungen sein? Vielleicht von Engeln. II S.792 (Fragmente und Studien 1799/1800)
Die Welt ist, wie Objekt überhaupt Resultat eines unendlichen Einverständnisses, und unsre eigne innere Pluralität ist der Grund der Weltanschauung.
II S.823 (Fragmente und Studien 1799/1800)
Poetisierung und Romantisierung
<Die Poesie hebt jedes Einzelne durch eine eigentümliche Verknüpfung mit dem übrigen Ganzen — und wenn die Philosophie durch ihre Gesetzgebung die Welt erst zu dem wirksamen Einfluß der Ideen bereitet, so ist gleichsam Poesie der Schlüssel der Philosophie, ihr Zweck und ihre Bedeutung; denn die Poesie bildet die schöne Gesellschaft — die Weltfamilie — die schöne Haushaltung des Universums.
Wie die Philosophie durch System und Staat, die Kräfte des Individuums mit den Kräften der Menschheit und des Welt verstärkt, das Ganze zum Organ des Individuums, und das Individuum zum Organ des Ganzen macht — So die Poesie in Ansehung des Lebens. Das Individuum lebt im Ganzen und das Ganze im Individuum. Durch Poesie entsteht die höchste Sympathie und Koaktivität, die innigste Gemeinschaft des Endlichen und Unendlichen.>
II S.321f. (Vorarbeiten 1798)
Zur Welt suchen wir den Entwurf — dieser Entwurf sind wir selbst — Was sind wir? personifizierte allmächtige Punkte. Die Ausführung, als Bild des Entwurfs, muß ihm aber auch in der Freitätigkeit und Selbstbeziehung gleich sein — und umgekehrt. Das Leben oder das Wesen des Geistes besteht also in Zeugung Gebärung und Erziehung seines Gleichen. Nur insofern der Mensch also mit sich selbst eine glückliche Ehe führt und eine schöne Familie ausmacht, ist er überhaupt Ehe und Familienfähig. Akt der Selbstumarmung.
Man muß sich nie gestehen, daß man sich selbst liebt — Das Geheimnis dieses Geständnisses ist das Lebensprinzip der alleinwahren und ewigen Liebe. Der erste Kuß in diesem Verständnisse ist das Prinzip der Philosophie — der Ursprung einer neuen Welt — der Anfang der absoluten Zeitrechnung — die Vollziehung eines unendlich wachsenden Selbstbundes. II S.329f. (Vorarbeiten 1798)
Die Welt muß romantisiert werden. So findet man den ursprünglichen Sinn wieder. Romantisieren ist nichts, als eine qualitative Potenzierung. Das niedre Selbst wird mit einem bessern Selbst in dieser Operation identifiziert. So wie wir selbst eine solche qualitative Potenzenreihe sind. Diese Operation ist noch ganz unbekannt. Indem ich dem Gemeinen einen hohen Sinn, dem Gewöhnlichen ein geheimnisvolles Ansehn, dem Bekannten die Würde des Unbekannten, dem Endlichen einen unendlichen Schein gehe so romantisiere ich es — Umgekehrt ist die Operation für das Höhere, Unbekannte, Mystische, Unendliche
— dies wird durch diese Verknüpfung logarithmisiert — Es bekommt einen geläufigen Ausdruck. Romantische Philosophie Lingua romana. Wechselerhöhung und Erniedrigung. II S.334 (Vorarbeiten 1798)
Weltpsychologie. Den Organismus wird man nicht ohne Voraussetzung einer Weltseele, wie den Weltplan nicht ohne Voraussetzung eines Weltvernunftwesens, erklären können.
Wer bei der Erklärung des Organismus keine Rücksicht auf die Seele nimmt und das geheimnisvolle Band zwischen ihr und dem Körper, der wird nicht weit kommen. Leben ist vielleicht nichts anders, als das Resultat dieser Vereinigung — die Aktion dieser Berührung. II S.415 (Vorarbeiten 1798)
Ansicht der ganzen Welt durch den Moralsinn — Deduktion des Universums aus der Moral alle wahre Verbesserungen sind moralische Verbesserungen, alle wahre Erfindungen — moralische Erfindungen — Fortschritte. (Verdienste des Socrates.) II S.664 (Das allgemeine Brouillon)
Die beste Welt
Die Forderung, die gegenwärtige Welt für die beste und die absolut meine anzunehmen, ist ganz der gleich, meine mir angetraute Frau für die beste und einzige zu halten und ganz für sie und in ihr zu leben. Es gibt noch viele ähnliche Forderungen und Ansprüche, deren Anerkennung derjenige zur Pflicht macht, der einen für immer entschiednen Respekt für alles, was geschehn ist, hat — der historisch religiös ist, der absolute Gläubige und Mystiker der Geschichte überhaupt, der echte Liebhaber des Schicksals. Das Fatum ist die mystifizierte Geschichte. II S.386 (Vorarbeiten 1798)
Künftige Welt
Die Fantasie setzt die künftige Welt entweder in die Höhe, oder in die Tiefe, oder in der Metempsychose zu uns. Wir träumen von Reisen durch das Weltall: ist denn das Weltall nicht in uns? Die Tiefen unsers Geistes kennen wir nicht. — Nach Innen geht der geheimnisvolle Weg. In uns, oder nirgends ist die Ewigkeit mit ihren Welten, die Vergangenheit und Zukunft. Die Außenwelt ist die Schattenwelt, sie wirft ihren Schatten in das Lichtreich. Jetzt scheint es uns freilich innerlich so dunkel, einsam, gestaltlos, aber wie ganz anders wird es uns dünken, wenn diese Verfinsterung vorbei, und der Schattenkörper hinweggerückt ist. Wir werden mehr genießen als je, denn unser Geist hat entbehrt.II S.233 (Blütenstaub)
Die ganze Natur muß auf eine wunderliche Art mit der ganzen Geisterwelt vermischt sein. Die Zeit der allgemeinen Anarchie — Gesetzlosigkeit — Freiheit — der Naturstand Natur — die Zeit vor der Welt (Staat.) Diese Zeit vor der Welt liefert gleichsam die zerstreuten Züge der Zeit nach der Welt — wie der Naturstand ein sonderbares Bild des ewigen Reichs. Die Welt des Märchens ist die durchaus entgegengesetzte Welt der Welt der Wahrheit (Geschichte) — und eben darum ihr so durchaus ähnlich — wie das Chaos der vollendeten Schöpfung. (Über die Idylle.)
In der künftigen Welt ist alles, wie in der ehmaligen Welt — und doch alles ganz Anders. Die künftige Welt ist das Vernünftige Chaos — das Chaos, das sich selbst durchdrang — in sich und außer sich ist — Chaos² oder hoch unendlich.
II S.514 (Das allgemeine Brouillon)
Schlüssel der Welt
Das Herz ist der Schlüssel der Welt und des Lebens. Man lebt in diesem hilflosen Zustande, um zu lieben und andern verpflichtet zu sein. Durch Unvollkommenheit wird man der Einwirkung andrer fähig, und diese fremde Einwirkung ist der Zweck. In Krankheiten sollen und können uns nur andre helfen. So ist Christus, von diesem Gesichtspunkt aus, allerdings der Schlüssel der Welt. II S.396 (Vorarbeiten 1798)
Wir werden die Welt verstehn, wenn wir uns selbst verstehn, weil wir und sie integrante Hälften sind. Gotteskinder, göttliche Keime sind wir. Einst werden wir sein, was unser Vater ist. II S.337 (Vorarbeiten 1798)
Man kann nur dann die Welt verstehn i. e. vergleichen, wenn ich selbst eine ausgebildete Welt im Kopfe habe. II S.543 (Das allgemeine Brouillon)
Hymnen an die Nacht (Athenaeumsdruck)
1. Hymne
Welcher Lebendige, Sinnbegabte, liebt nicht vor allen Wundererscheinungen des verbreiteten Raums um ihn das allerfreuliche Licht - mit seinen Farben, seinen Strahlen und Wogen; seiner milden Allgegenwart, als weckender Tag. Wie des Lebens innerste Seele atmet es der rastlosen Gestirne Riesenwelt, und schwimmt tanzend in seiner blauen Flut - atmet es der funkelnde, ewigruhende Stein, die sinnige, saugende Pflanze, und das wilde, brennende, vielgestaltete Tier - vor allen aber der herrliche Fremdling mit den sinnvollen Augen, dem schwebenden Gange, und den zartgeschlossenen, tonreichen Lippen. Wie ein König der irdischen Natur ruft es jede Kraft zu zahllosen Verwandlungen, knüpft und löst unendliche Bündnisse, hängt sein himmlisches Bild jedem irdischen Wesen um. - Seine Gegenwart allein offenbart die Wunderherrlichkeit der Reiche der Welt.
Abwärts wend ich mich zu der heiligen, unaussprechlichen, geheimnisvollen Nacht. Fernab liegt die Welt - in eine tiefe Gruft versenkt - wüst und einsam ist ihre Stelle. In den Saiten der Brust weht tiefe Wehmut. In Tautropfen will ich hinuntersinken und mit der Asche mich vermischen. - Fernen der Erinnerung, Wünsche der Jugend, der Kindheit Träume, des ganzen langen Lebens kurze Freuden und vergebliche Hoffnungen kommen in grauen Kleidern, wie Abendnebel nach der Sonne Untergang. In andern Räumen schlug die lustigen Gezelte das Licht auf. Sollte es nie zu seinen Kindern wiederkommen, die mit der Unschuld Glauben seiner harren?
Was quillt auf einmal so ahndungsvoll unterm Herzen, und verschluckt der Wehmut weiche Luft? Hast auch du ein Gefallen an uns, dunkle Nacht? Was hältst du unter deinem Mantel, das mir unsichtbar kräftig an die Seele geht? Köstlicher Balsam träuft aus deiner Hand, aus dem Bündel Mohn. Die schweren Flügel des Gemüts hebst du empor. Dunkel und unaussprechlich fühlen wir uns bewegt - ein ernstes Antlitz seh ich froh erschrocken, das sanft und andachtsvoll sich zu mir neigt, und unter unendlich verschlungenen Locken der Mutter liebe Jugend zeigt. Wie arm und kindisch dünkt mir das Licht nun - wie erfreulich und gesegnet des Tages Abschied. - Also nur darum, weil die Nacht dir abwendig macht die Dienenden, säetest du in des Raumes Weiten die leuchtenden Kugeln, zu verkünden deine Allmacht - deine Wiederkehr - in den Zeiten deiner Entfernung. Himmlischer, als jene blitzenden Sterne, dünken uns die unendlichen Augen, die die Nacht in uns geöffnet. Weiter sehn sie als die blässesten jener zahllosen Heere - unbedürftig des Lichts durchschaun sie die Tiefen eines liebenden Gemüts - was einen höhern Raum mit unsäglicher Wollust füllt. Preis der Weltkönigin, der hohen Verkündigerin heiliger Welten, der Pflegerin seliger Liebe - sie sendet mir dich - zarte Geliebte - liebliche Sonne der Nacht - nun wach ich - denn ich bin dein und mein - du hast die Nacht mir zum Leben verkündet - mich zum Menschen gemacht - zehre mit Geisterglut meinen Leib, daß ich luftig mit dir inniger mich mische und dann ewig die Brautnacht währt.
2. Hymne
Muß immer der Morgen wiederkommen? Endet nie des Irdischen Gewalt? Unselige Geschäftigkeit verzehrt den himmlischen Anflug der Nacht. Wird nie der Liebe geheimes Opfer ewig brennen? Zugemessen ward dem Lichte seine Zeit; aber zeitlos und raumlos ist der Nacht Herrschaft. - Ewig ist die Dauer des Schlafs. Heiliger Schlaf - beglücke zu selten nicht der Nacht Geweihte in diesem irdischen Tagewerk. Nur die Toren verkennen dich und wissen von keinem Schlafe, als dem Schatten, den du in jener Dämmerung der wahrhaften Nacht mitleidig auf uns wirfst. Sie fühlen dich nicht in der goldnen Flut der Trauben - in des Mandelbaums Wunderöl und dem braunen Safte des Mohns. Sie wissen nicht, daß du es bist, der des zarten Mädchens Busen umschwebt und zum Himmel den Schoß macht - ahnden nicht, daß aus alten Geschichten du himmelöffnend entgegentrittst und den Schlüssel trägst zu den Wohnungen der Seligen, unendlicher Geheimnisse schweigender Bote.
3. Hymne
Einst da ich bittre Tränen vergoß, da in Schmerz aufgelöst meine Hoffnung zerrann, und ich einsam stand am dürren Hügel, der in engen, dunkeln Raum die Gestalt meines Lebens barg - einsam, wie noch kein Einsamer war, von unsäglicher Angst getrieben - kraftlos, nur ein Gedanken des Elends noch. - Wie ich da nach Hülfe umherschaute, vorwärts nicht konnte und rückwärts nicht, und am fliehenden, verlöschten Leben mit unendlicher Sehnsucht hing: - da kam aus blauen Fernen - von den Höhen meiner alten Seligkeit ein Dämmerungsschauer - und mit einem Male riß das Band der Geburt - des Lichtes Fessel. Hin floh die irdische Herrlichkeit und meine Trauer mit ihr - zusammen floß die Wehmut in eine neue, unergründliche Welt - du Nachtbegeisterung, Schlummer des Himmels kamst über mich - die Gegend hob sich sacht empor; über der Gegend schwebte mein entbundner, neugeborner Geist. Zur Staubwolke wurde der Hügel - durch die Wolke sah ich die verklärten Züge der Geliebten. In ihren Augen ruhte die Ewigkeit - ich faßte ihre Hände, und die Tränen wurden ein funkelndes, unzerreißliches Band. Jahrtausende zogen abwärts in die Ferne, wie Ungewitter. An ihrem Halse weint ich dem neuen Leben entzückende Tränen. - Es war der erste, einzige Traum - und erst seitdem fühl ich ewigen, unwandelbaren Glauben an den Himmel der Nacht und sein Licht, die Geliebte
4. Hymne
Nun weiß ich, wenn der letzte Morgen sein wird - wenn das Licht nicht mehr die Nacht und die Liebe scheucht - wenn der Schlummer ewig und nur ein unerschöpflicher Traum sein wird. Himmlische Müdigkeit fühl ich in mir. - Weit und ermüdend ward mir die Wallfahrt zum heiligen Grabe, drückend das Kreuz. Die kristallene Woge, die, gemeinen Sinnen unvernehmlich, in des Hügels dunklen Schoß quillt, an dessen Fuß die irdische Flut bricht, wer sie gekostet, wer oben stand auf dem Grenzgebürge der Welt, und hinübersah in das neue Land, in der Nacht Wohnsitz - wahrlich, der kehrt nicht in das Treiben der Welt zurück, in das Land, wo das Licht in ewiger Unruh hauset.
Oben baut er sich Hütten, Hütten des Friedens, sehnt sich und liebt, schaut hinüber, bis die willkommenste aller Stunden hinunter ihn in den Brunnen der Quelle zieht - das Irdische schwimmt obenauf, wird von Stürmen zurückgeführt, aber was heilig durch der Liebe Berührung ward, rinnt aufgelöst in verborgenen Gängen auf das jenseitige Gebiet, wo es, wie Düfte, sich mit entschlummerten Lieben mischt.
Noch weckst du, muntres Licht, den Müden zur Arbeit - flößest fröhliches Leben mir ein - aber du lockst mich von der Erinnerung moosigem Denkmal nicht. Gern will ich die fleißigen Hände rühren, überall umschaun, wo du mich brauchst - rühmen deines Glanzes volle Pracht - unverdrossen verfolgen deines künstlichen Werks schönen Zusammenhang - gern betrachten deiner gewaltigen, leuchtenden Uhr sinnvollen Gang - ergründen der Kräfte Ebenmaß und die Regeln des Wunderspiels unzähliger Räume und ihrer Zeiten. Aber getreu der Nacht bleibt mein geheimes Herz und der schaffenden Liebe, ihrer Tochter. Kannst du mir zeigen ein ewig treues Herz? Hat deine Sonne freundliche Augen, die mich erkennen? Fassen deine Sterne meine verlangende Hand? Geben mir wieder den zärtlichen Druck und das kosende Wort? Hast du mit Farben und leichtem Umriß sie geziert - oder war sie es, die deinem Schmuck höhere, liebere Bedeutung gab? Welche Wollust, welchen Genuß bietet dein Leben, die aufwögen des Todes Entzückungen? Trägt nicht alles, was uns begeistert, die Farbe der Nacht? Sie trägt dich mütterlich, und ihr verdankst du all deine Herrlichkeit. Du verflögst in dir selbst - in endlosen Raum zergingst du, wenn sie dich nicht hielte, dich nicht bände, daß du warm würdest und flammend die Welt zeugtest. Wahrlich, ich war, eh du warst - die Mutter schickte mit meinen Geschwistern mich, zu bewohnen deine Welt, sie zu heiligen mit Liebe, daß sie ein ewig angeschautes Denkmal werde - zu bepflanzen sie mit unverwelklichen Blumen. Noch reiften sie nicht diese göttlichen Gedanken. - Noch sind der Spuren unserer Offenbarung wenig. - Einst zeigt deine Uhr das Ende der Zeit, wenn du wirst wie unser einer, und voll Sehnsucht und Inbrunst auslöschest und stirbst. In mir fühl ich deiner Geschäftigkeit Ende - himmlische Freiheit, selige Rückkehr. In wilden Schmerzen erkenn ich deine Entfernung von unsrer Heimat, deinen Widerstand gegen den alten, herrlichen Himmel. Deine Wut und dein Toben ist vergebens. Unverbrennlich steht das Kreuz - eine Siegesfahne unsers Geschlechts.
Hinüber wall ich, Und jede Pein Wird einst ein Stachel Der Wollust sein. Noch wenig Zeiten, So bin ich los, Und liege trunken Der Liebe im Schoß. Unendliches Leben Wogt mächtig in mir, Ich schaue von oben Herunter nach dir. An jenem Hügel Verlischt dein Glanz - | Ein Schatten bringet Den kühlenden Kranz. Oh! sauge, Geliebter, Gewaltig mich an, Daß ich entschlummern Und lieben kann. Ich fühle des Todes Verjüngende Flut, Zu Balsam und Äther Verwandelt mein Blut - Ich lebe bei Tage Voll Glauben und Mut Und sterbe die Nächte In heiliger Glut. |
5. Hymne
Über der Menschen weitverbreitete Stämme herrschte vor Zeiten ein eisernes Schicksal mit stummer Gewalt. Eine dunkle, schwere Binde lag um ihre bange Seele. - Unendlich war die Erde - der Götter Aufenthalt, und ihre Heimat. Seit Ewigkeiten stand ihr geheimnisvoller Bau. Über des Morgens roten Bergen, in des Meeres heiligem Schoß wohnte die Sonne, das allzündende, lebendige Licht.
Ein alter Riese trug die selige Welt. Fest unter Bergen lagen die Ursöhne der Mutter Erde. Ohnmächtig in ihrer zerstörenden Wut gegen das neue herrliche Göttergeschlecht und dessen Verwandten, die fröhlichen Menschen. Des Meers dunkle, grüne Tiefe war einer Göttin Schoß. In den kristallenen Grotten schwelgte ein üppiges Volk. Flüsse, Bäume, Blumen und Tiere hatten menschlichen Sinn. Süßer schmeckte der Wein von sichtbarer Jugendfülle geschenkt - ein Gott in den Trauben - eine liebende, mütterliche Göttin, emporwachsend in vollen goldenen Garben - der Liebe heil'ger Rausch ein süßer Dienst der schönsten Götterfrau - ein ewig buntes Fest der Himmelskinder und der Erdbewohner, rauschte das Leben, wie ein Frühling, durch die Jahrhunderte hin. - Alle Geschlechter verehrten kindlich die zarte, tausendfältige Flamme als das Höchste der Welt. Ein Gedanke nur war es, ein entsetzliches Traumbild.
Das furchtbar zu den frohen Tischen trat
Und das Gemüt in wilde Schrecken hüllte.
Hier wußten selbst die Götter keinen Rat,
Der die beklommne Brust mit Trost erfüllte.
Geheimnisvoll war dieses Unholds Pfad,
Des Wut kein Flehn und keine Gabe stillte;
Es war der Tod, der dieses Lustgelag
Mit Angst und Schmerz und Tränen unterbrach.
Auf ewig nun von allem abgeschieden,
Was hier das Herz in süßer Wollust regt,
Getrennt von den Geliebten, die hienieden
Vergebne Sehnsucht, langes Weh bewegt,
Schien matter Traum dem Toten nur beschieden,
Ohnmächtiges Ringen nur ihm auferlegt.
Zerbrochen war die Woge des Genusses
Am Felsen des unendlichen Verdrusses.
Mit kühnem Geist und hoher Sinnenglut
Verschönte sich der Mensch die grause Larve,
Ein sanfter Jüngling löscht das Licht und ruht -
Sanft wird das Ende, wie ein Wehn der Harfe.
Erinnerung schmilzt in kühler Schattenflut,
So sang das Lied dem traurigen Bedarfe.
Doch unenträtselt blieb die ew'ge Nacht,
Das ernste Zeichen einer fernen Macht.
Zu Ende neigte die alte Welt sich. Des jungen Geschlechts Lustgarten verwelkte - hinauf in den freieren, wüsten Raum strebten die unkindlichen, wachsenden Menschen. Die Götter verschwanden mit ihrem Gefolge. - Einsam und leblos stand die Natur. Mit eiserner Kette band sie die dürre Zahl und das strenge Maß. Wie in Staub und Lüfte zerfiel in dunkle Worte die unermeßliche Blüte des Lebens. Entflohn war der beschwörende Glauben und die allverwandelnde, allverschwisternde Himmelsgenossin, die Phantasie. Unfreundlich blies ein kalter Nordwind über die erstarrte Flur, und die erstarrte Wunderheimat verflog in den Äther. Des Himmels Fernen füllten mit leuchtenden Welten sich. Ins tiefre Heiligtum, in des Gemüts höhern Raum zog mit ihren Mächten die Seele der Welt - zu walten dort bis zum Anbruch der tagenden Weltherrlichkeit. Nicht mehr war das Licht der Götter Aufenthalt und himmlisches Zeichen - den Schleier der Nacht warfen sie über sich. Die Nacht ward der Offenbarungen mächtiger Schoß - in ihn kehrten die Götter zurück - schlummerten ein, um in neuen herrlichern Gestalten auszugehn über die veränderte Welt. Im Volk, das vor allen verachtet zu früh reif und der seligen Unschuld der Jugend trotzig fremd geworden war, erschien mit niegesehenem Angesicht die neue Welt - in der Armut dichterischer Hütte - ein Sohn der ersten Jungfrau und Mutter - geheimnisvoller Umarmung unendliche Frucht. Des Morgenlands ahndende, blütenreiche Weisheit erkannte zuerst der neuen Zeit Beginn. - Zu des Königs demütiger Wiege wies ihr ein Stern den Weg. In der weiten Zukunft Namen huldigten sie ihm mit Glanz und Duft, den höchsten Wundern der Natur. Einsam entfaltete das himmlische Herz sich zu einem Blütenkelch allmächt'ger Liebe - des Vaters hohem Antlitz zugewandt und ruhend an dem ahndungssel'gen Busen der lieblich ernsten Mutter. Mit vergötternder Inbrunst schaute das weissagende Auge des blühenden Kindes auf die Tage der Zukunft, nach seinen Geliebten, den Sprossen seines Götterstamms, unbekümmert über seiner Tage irdisches Schicksal. Bald sammelten die kindlichsten Gemüter, von inniger Liebe wundersam ergriffen, sich um ihn her. Wie Blumen keimte ein neues fremdes Leben in seiner Nähe. Unerschöpfliche Worte und der Botschaften fröhlichste fielen wie Funken eines göttlichen Geistes von seinen freundlichen Lippen. Von ferner Küste, unter Hellas' heiterm Himmel geboren, kam ein Sänger nach Palästina und ergab sein ganzes Herz dem Wunderkinde:
Der Jüngling bist du, der seit langer Zeit
Auf unsern Gräbern steht in tiefen Sinnen;
Ein tröstlich Zeichen in der Dunkelheit -
Der höhern Menschheit freudiges Beginnen.
Was uns gesenkt in tiefe Traurigkeit,
Zieht uns mit süßer Sehnsucht nun von hinnen.
Im Tode ward das ew'ge Leben kund,
Du bist der Tod und machst uns erst gesund.
Der Sänger zog voll Freudigkeit nach Indostan - das Herz von süßer Liebe trunken, und schüttete in feurigen Gesängen es unter jenem milden Himmel aus, daß tausend Herzen sich zu ihm neigten und die fröhliche Botschaft tausendzweigig emporwuchs. Bald nach des Sängers Abschied ward das köstliche Leben ein Opfer des menschlichen tiefen Verfalls. - Er starb in jungen Jahren, weggerissen von der geliebten Welt, von der weinenden Mutter und seinen zagenden Freunden. Der unsäglichen Leiden dunkeln Kelch leerte der liebliche Mund. - In entsetzlicher Angst nahte die Stunde der Geburt der neuen Welt. Hart rang er mit des alten Todes Schrecken. - Schwer lag der Druck der alten Welt auf ihm. Noch einmal sah er freundlich nach der Mutter - da kam der ewigen Liebe lösende Hand - und er entschlief. Nur wenig Tage hing ein tiefer Schleier über das brausende Meer, über das bebende Land - unzählige Tränen weinten die Geliebten. - Entsiegelt ward das Geheimnis - himmlische Geister hoben den uralten Stein vom dunkeln Grabe. Engel saßen bei dem Schlummernden - aus seinen Träumen zart gebildet. - Erwacht in neuer Götterherrlichkeit erstieg er die Höhe der neugebornen Welt - begrub mit eigner Hand der Alten Leichnam in die verlaßne Höhle und legte mit allmächtiger Hand den Stein, den keine Macht erhebt, darauf.
Noch weinen deine Lieben Tränen der Freude, Tränen der Rührung und des unendlichen Danks an deinem Grabe - sehn dich noch immer, freudig erschreckt, auferstehn - und sich mit dir; sehn dich weinen mit süßer Inbrunst an der Mutter seligem Busen, ernst mit den Freunden wandeln, Worte sagen, wie vom Baum des Lebens gebrochen; sehen dich eilen mit voller Sehnsucht in des Vaters Arm, bringend die junge Menschheit und der goldnen Zukunft unversieglichen Becher. Die Mutter eilte bald dir nach - in himmlischem Triumph. - Sie war die erste in der neuen Heimat bei dir. Lange Zeiten entflossen seitdem, und in immer höherm Glanze regte deine neue Schöpfung sich - und Tausende zogen aus Schmerzen und Qualen, voll Glauben und Sehnsucht und Treue dir nach - wallen mit dir und der himmlischen Jungfrau im Reiche der Liebe - dienen im Tempel des himmlischen Todes und sind in Ewigkeit dein.
Gehoben ist der Stein -
Die Menschheit ist erstanden -
Wir alle bleiben dein
Und fühlen keine Banden.
Der herbste Kummer fleucht
Vor deiner goldnen Schale,
Wenn Erd und Leben weicht
Im letzten Abendmahle.
Zur Hochzeit ruft der Tod -
Die Lampen brennen helle -
Die Jungfraun sind zur Stelle -
Um Öl ist keine Not -
Erklänge doch die Ferne
Von deinem Zuge schon,
Und ruften uns die Sterne
Mit Menschenzung' und Ton.
Nach dir, Maria, heben
Schon tausend Herzen sich.
In diesem Schattenleben
Verlangten sie nur dich.
Sie hoffen zu genesen
Mit ahndungsvoller Lust -
Drückst du sie, heil'ges Wesen,
An deine treue Brust.
So manche, die sich glühend
In bittrer Qual verzehrt
Und dieser Welt entfliehend
Nach dir sich hingekehrt;
Die hülfreich uns erschienen
In mancher Not und Pein -
Wir kommen nun zu ihnen,
Um ewig da zu sein.
Nun weint an keinem Grabe
Für Schmerz, wer liebend glaubt,
Der Liebe süße Habe
Wird keinem nicht geraubt -
Die Sehnsucht ihm zu lindern,
Begeistert ihn die Nacht -
Von treuen Himmelskindern
Wird ihm sein Herz bewacht.
Getrost, das Leben schreitet
Zum ew'gen Leben hin;
Von innrer Glut geweitet
Verklärt sich unser Sinn.
Die Sternwelt wird zerfließen
Zum goldnen Lebenswein,
Wir werden sie genießen
Und lichte Sterne sein.
Die Lieb ist frei gegeben,
Und keine Trennung mehr.
Es wogt das volle Leben
Wie ein unendlich Meer.
Nur eine Nacht der Wonne -
Ein ewiges Gedicht -
Und unser aller Sonne
Ist Gottes Angesicht.
6. Hymne
Sehnsucht nach dem Tode
Hinunter in der Erde Schoß,
Weg aus des Lichtes Reichen,
Der Schmerzen Wut und wilder Stoß
Ist froher Abfahrt Zeichen.
Wir kommen in dem engen Kahn
Geschwind am Himmelsufer an.
Gelobt sei uns die ew'ge Nacht,
Gelobt der ew'ge Schlummer.
Wohl hat der Tag uns warm gemacht
Und welk der lange Kummer.
Die Lust der Fremde ging uns aus,
Zum Vater wollen wir nach Haus.
Was sollen wir auf dieser Welt
Mit unsrer Lieb und Treue.
Das Alte wird hintangestellt,
Was soll uns dann das Neue.
Oh! einsam steht und tiefbetrübt,
Wer heiß und fromm die Vorzeit liebt.
Die Vorzeit, wo die Sinne licht
In hohen Flammen brannten,
Des Vaters Hand und Angesicht
Die Menschen noch erkannten,
Und hohen Sinns, einfältiglich
Noch mancher seinem Urbild glich.
Die Vorzeit, wo noch blütenreich
Uralte Stämme prangten
Und Kinder für das Himmelreich
Nach Qual und Tod verlangten.
Und wenn auch Lust und Leben sprach,
Doch manches Herz für Liebe brach.
Die Vorzeit, wo in Jugendglut
Gott selbst sich kundgegeben
Und frühem Tod in Liebesmut
Geweiht sein süßes Leben.
Und Angst und Schmerz nicht von sich trieb,
Damit er uns nur teuer blieb.
Mit banger Sehnsucht sehn wir sie
In dunkle Nacht gehüllet,
In dieser Zeitlichkeit wird nie
Der heiße Durst gestillet.
Wir müssen nach der Heimat gehn,
Um diese heil'ge Zeit zu sehn.
Was hält noch unsre Rückkehr auf,
Die Liebsten ruhn schon lange.
Ihr Grab schließt unsern Lebenslauf,
Nun wird uns weh und bange.
Zu suchen haben wir nichts mehr -
Das Herz ist satt - die Welt ist leer.
Unendlich und geheimnisvoll
Durchströmt uns süßer Schauer -
Mir deucht, aus tiefen Fernen scholl
Ein Echo unsrer Trauer.
Die Lieben sehnen sich wohl auch
Und sandten uns der Sehnsucht Hauch.
Hinunter zu der süßen Braut,
Zu Jesus, dem Geliebten -
Getrost, die Abenddämmrung graut
Den Liebenden, Betrübten.
Ein Traum bricht unsre Banden los
Und senkt uns in des Vaters Schoß.
I S.149ff. (Hymnen an die Nacht)
Das Lied der Toten
Lobt doch unsre stillen Feste,
Unsre Gärten, unsre Zimmer,
Das bequeme Hausgeräte,
Unser Hab‘ und Gut.
Täglich kommen neue Gäste,
Diese früh, die andern späte,
Auf den weiten Herden immer
Lodert neue Lebensglut.
Tausend zierliche Gefäße
Einst betaut mit tausend Tränen,
Goldne Ringe, Sporen, Schwerter,
Sind in unserm Schatz:
Viel Kleinodien und Juwelen
Wissen wir in dunkeln Höhlen,
Keiner kann den Reichtum zählen,
Zählt‘ er auch ohn‘ Unterlaß.
Kinder der Vergangenheiten,
Helden aus den grauen Zeiten,
Der Gestirne Riesengeister,
Wunderlich gesellt,
Holde Frauen, ernste Meister,
Kinder und verlebte Greise
Sitzen hier in Einem Kreise,
Wohnen in der alten Welt.
Keiner wird sich je beschweren,
Keiner wünschen fortzugehen,
Wer an unsern vollen Tischen
Einmal fröhlich saß.
Klagen sind nicht mehr zu hören,
Keine Wunden mehr zu sehen,
Keine Tränen abzuwischen;
Ewig läuft das Stundenglas.
Tiefgerührt von heil‘ger Güte
Und versenkt in sel‘ges Schauen
Steht der Himmel im Gemüte,
Wolkenloses Blau;
Lange fliegende Gewande
Tragen uns durch Frühlingsauen,
Und es weht in diesem Lande
Nie ein Lüftchen kalt und rauh.
Süßer Reiz der Mitternächte,
Stiller Kreis geheimer Mächte,
Wollust rätselhafter Spiele,
Wir nur kennen euch.
Wir nur sind am hohen Ziele,
Bald in Strom uns zu ergießen
Dann in Tropfen zu zerfließen
Und zu nippen auch zugleich.
Uns ward erst die Liebe, Leben;
Innig wie die Elemente
Mischen wir des Daseins Fluten,
Brausend Herz mit Herz.
Lüstern scheiden sich die Fluten,
Denn der Kampf der Elemente
Ist der Liebe höchstes Leben
Und des Herzens eignes Herz.
Leiser Wünsche süßes Plaudern
Hören wir allein, und schauen
Immerdar in sel‘ge Augen,
Schmecken nichts als Mund und Kuß.
Alles was wir nur berühren
Wird zu heißen Balsamfrüchten,
Wird zu weichen zarten Brüsten,
Opfer kühner Lust.
Immer wächst und blüht Verlangen
Am Geliebten festzuhangen,
Ihn im Innern zu empfangen,
Eins mit ihm zu sein,
Seinem Durste nicht zu wehren,
Sich im Wechsel zu verzehren,
Voneinander sich zu nähren,
Voneinander nur allein.
So in Lieb‘ und hoher Wollust
Sind wir immerdar versunken,
Seit der wilde trübe Funken
Jener Welt erlosch;
Seit der Hügel sich geschlossen,
Und der Scheiterhaufen sprühte,
Und dem schauernden Gemüte
Nun das Erdgesicht zerfloß.
Zauber der Erinnerungen,
Heil‘ger Wehmut süße Schauer
Haben innig uns durchklungen,
Kühlen unsre Glut.
Wunden gibt‘s, die ewig schmerzen,
Eine göttlich tiefe Trauer
Wohnt in unser aller Herzen,
Löst uns auf in Eine Flut.
Und in dieser Flut ergießen
Wir uns auf geheime Weise
In den Ozean des Lebens
Tief in Gott hinein;
Und aus seinem Herzen fließen
Wir zurück zu unserm Kreise,
Und der Geist des höchsten Strebens
Taucht in unsre Wirbel ein.
Schüttelt eure goldnen Ketten
Mit Smaragden und Rubinen,
Und die blanken saubern Spangen,
Blitz und Klang zugleich.
Aus des feuchten Abgrunds Betten,
Aus den Gräbern und Ruinen,
Himmelsrosen auf den Wangen
Schwebt ins bunte Fabelreich.
Könnten doch die Menschen wissen,
Unsre künftigen Genossen,
Daß bei allen ihren Freuden
Wir geschäftig sind:
Jauchzend würden sie verscheiden,
Gern das bleiche Dasein missen —
O! die Zeit ist bald verflossen,
Kommt, Geliebte, doch geschwind!
Helft uns nur den Erdgeist binden,
Lernt den Sinn des Todes fassen
Und das Wort des Lebens finden;
Einmal kehrt euch um.
Deine Macht muß bald verschwinden,
Dein erborgtes Licht verblassen,
Werden dich in kurzem binden,
Erdgeist, deine Zeit ist um.
I, S.399ff. (Heinrich von Ofterdingen, Materialien)
Die Christenheit oder Europa
(Ein Fragment. Geschrieben im Jahre 1799)
Es waren schöne glänzende Zeiten, wo Europa ein christliches Land war, wo Eine Christenheit diesen menschlich gestalteten Weltteil bewohnte; Ein großes gemeinschaftliches Interesse verband die entlegensten Provinzen dieses weiten geistlichen Reichs. — Ohne große weltliche Besitztümer lenkte und vereinigte Ein Oberhaupt die großen politischen Kräfte. — Eine zahlreiche Zunft, zu der jedermann den Zutritt hatte, stand unmittelbar unter demselben und vollführte seine Winke und strebte mit Eifer seine wohltätige Macht zu befestigen. Jedes Glied dieser Gesellschaft wurde allenthalben geehrt, und wenn die gemeinen Leute Trost oder Hilfe, Schutz oder Rat bei ihm suchten und gerne dafür seine mannigfaltigen Bedürfnisse reichlich versorgten, so fand es auch bei den Mächtigeren Schutz, Ansehn und Gehör, und alle pflegten diese auserwählten, mit wunderbaren Kräften ausgerüsteten Männer wie Kinder des Himmels, deren Gegenwart und Zuneigung mannigfachen Segen verbreitere. Kindliches Zutrauen knüpfte die Menschen an ihre Verkündigungen. — Wie heiter konnte jedermann sein irdisches Tagewerk vollbringen, da ihm durch diese heilige Menschen eine sichere Zukunft bereitet und jeder Fehltritt durch sie vergeben, jede mißfarbige Stelle des Lebens durch sie ausgelöscht und geklärt wurde. Sie waren die erfahrnen Steuerleute auf dem großen unbekannten Meere, in deren Obhut man alle Stürme geringschätzen und zuversichtlich auf eine sichte Gelangung und Landung an der Küste der eigentlichen vaterländischen Welt rechnen durfte.
Die wildesten, gefräßigsten Neigungen mußten der Ehrfurcht und dem Gehorsam gegen ihre Worte weichen. Friede ging von ihnen aus. — Sie predigten nichts als Liebe zu der heiligen, wunderschönen Frau der Christenheit, die mit göttlichen Kräften versehen, jeden Gläubigen aus den schrecklichsten Gefahren zu retten bereit war. Sie erzählten von längst verstorbenen himmlischen Menschen, die durch Anhänglichkeit und Treue an jene selige Mutter und ihr himmlisches, freundliches Kind die Versuchung der irdischen Welt bestanden, zu göttlichen Ehren gelangt und nun schützende, wohltätige Mächte ihrer lebenden Brüder, willige Helfer in der Not, Vertreter menschlicher Gebrechen und wirksame Freunde der Menschheit am himmlischen Throne geworden waren. Mit welcher Heiterkeit verließ man die schönen Versammlungen in den geheimnisvollen Kirchen, die mit ermunternden Bildern geschmückt, mit süßen Düften erfüllt und von heiliger erhebender Musik belebt waren. In ihnen wurden die geweihten Reste ehemaliger gottesfürchtiger Menschen dankbar, in köstlichen Behältnissen aufbewahrt. — Und an ihnen offenbarte sich die göttliche Güte und Allmacht, die mächtige Wohltätigkeit dieser glücklichen Frommen, durch herrliche Wunder und Zeichen. So bewahren liebende Seelen Locken oder Schriftzüge ihrer verstorbenen Geliebten und nähren die süße Glut damit, bis an den wiedervereinigenden Tod. Man sammelte mit inniger Sorgfalt überall, was diesen geliebten Seelen angehört hatte, und jeder pries sich glücklich, der eine so tröstliche Reliquie erhalten oder nur berühren konnte. Hin und wieder schien sich die himmlische Gnade vorzüglich auf ein seltsames Bild oder einen Grabhügel niedergelassen zu haben. — Dorthin strömten aus allen Gegenden Menschen mit schönen Gaben und brachten himmlische Gegengeschenke: Frieden der Seele und Gesundheit des Leibes, zurück. Emsig suchte diese mächtige friedenstiftende Gesellschaft alle Menschen dieses schönen Glaubens teilhaftig zu machen und sandte ihre Genossen in alle Weltteile, um überall das Evangelium des Lebens zu verkündigen und das Himmelreich zum einzigen Reiche auf dieser Welt zu machen. Mit Recht widersetzte sich das weise Oberhaupt der Kirche frechen Ausbildungen menschlicher Anlagen auf Kosten des heiligen Sinns und unzeitigen gefährlichen Entdeckungen im Gebiete des Wissens. So wehrte er den kühnen Denkern öffentlich zu behaupten, daß die Erde ein unbedeutender Wandelstern sei, denn er wußte wohl, daß die Menschen mit der Achtung für ihren Wohnsitz und ihr irdisches Vaterland auch die Achtung vor der himmlischen Heimat und ihrem Geschlecht verlieren und das eingeschränkte Wissen dem unendlichen Glauben vorziehn und sich gewöhnen würden, alles Große und Wunderwiirdige zu verachten und als tote Gesetzwirkung zu betrachten. An seinem Hofe versammelten sich alle klugen und ehrwürdigen Menschen aus Europa. Alle Schätze flossen dahin, das zerstörte Jerusalem hatte sich gerächt, und Rom selbst war Jerusalem, die heilige Residenz der göttlichen Regierung auf Erden geworden. Fürsten legten ihre Streitigkeiten dem Vater der Christenheit vor, willig ihm ihre Kronen und ihre Herrlichkeit zu Füßen, ja sie achteten es sich zum Ruhm, als Mitglieder dieser hohen Zunft den Abend ihres Lebens in göttlichen Betrachtungen zwischen einsamen Klostermauern zu beschließen. Wie wohltätig, wie angemessen der innern Natur der Menschen diese Regierung, diese Einrichtung war, zeigte das gewaltige Emporstreben aller andern menschlichen Kräfte, die harmonische Entwicklung aller Anlagen; die ungeheure Höhe, die einzelne Menschen in allen Fächern der Wissenschaften des Lebens und der Künste erreichten, und der überall blühende Handelsverkehr mit geistigen und irdischen Waren in dem Umkreis von Europa und bis in das fernste Indien hinaus. —
Das waren die schönen wesentlichen Züge der echtkatholischen oder echtchristlichen Zeiten. Noch war die Menschheit für dieses herrliche Reich nicht reif, nicht gebildet genug. Es war eine erste Liebe, die im Drucke des Geschäftslebens entschlummerte, deren Andenken durch eigennützige Sorgen verdrängt, und deren Band nachher als Trug und Wahn ausgeschrien und nach spätem Erfahrungen beurteilt, — auf immer von einem großen Teil der Europäer zerrissen wurde. Diese innere große Spaltung, die zerstörende Kriege begleiteten, war ein merkwürdiges Zeichen der Schädlichkeit der Kultur für den Sinn des Unsichtbaren, wenigstens einer temporellen Schädlichkeit der Kultur einer gewissen Stufe. Vernichtet kann jener unsterbliche Sinn nicht werden, aber getrübt, gelähmt, von andern Sinnen verdrängt. — Eine längere Gemeinschaft der Menschen vermindert die Neigungen, den Glauben an ihr Geschlecht, und gewöhnt sie ihr ganzes Dichten und Trachten den Mitteln des Wohlbefindens allein zuzuwenden, die Bedürfnisse und die Künste ihrer Befriedigung werden verwickelter, der habsüchtige Mensch hat so viel Zeit nötig, sich mit ihnen bekannt zu machen und Fertigkeiten in ihnen sich zu erwerben, daß keine Zeit zum stillen Sammeln des Gemüts, zur aufmerksamen Betrachtung der innern Welt übrigbleibt. — In Kollisionsfällen scheint ihm das gegenwärtige Interesse näherzuliegen, und so fällt die schöne Blüte seiner Jugend, Glauben und Liebe, ab und macht den derbern Früchten, Wissen und Haben, Platz. Man gedenkt des Frühlings im Spätherbst wie eines kindischen Traums und hofft mit kindischer Einfalt, die vollen Speicher sollen auf immer aushalten. Eine gewisse Einsamkeit scheint dem Gedeihen der höhern Sinne notwendig zu sein, und daher muß ein zu ausgebreiteter Umgang der Menschen miteinander manchen heiligen Keim ersticken und die Götter, die den unruhigen Tumult zerstreuender Gesellschaften und die Verhandlungen kleinlicher Angelegenheiten fliehen, verscheuchen. Überdem haben wir ja mit Zeiten und Perioden zu tun, und ist diesen eine Oszillation, ein Wechsel entgegengesetzter Bewegungen nicht wesentlich? und ist diesen eine beschränkte Dauer nicht eigentümlich, ein Wachstum und Abnehmen nicht ihre Natur? aber auch eine Auferstehung, eine Verjüngung, in neuer, tüchtiger Gestalt, nicht auch von ihnen mit Gewißheit zu erwarten? Fortschreitende, immer mehr sich vergrößernde Evolutionen sind der Stoff der Geschichte. — Was jetzt nicht die Vollendung erreicht, wird sie bei einem künftigen Versuch erreichen oder bei einem abermaligen; vergänglich ist nichts, was die Geschichte ergriff, aus unzähligen Verwandlungen geht es in immer reicheren Gestalten erneut wieder hervor. Einmal war doch das Christentum mit voller Macht und Herrlichkeit erschienen, bis zu einer neuen Weltinspiration herrschte seine Ruine, sein Buchstabe mit immer zunehmender Ohnmacht und Verspottung. Unendliche Trägheit lag schwer auf der sicher gewordenen Zunft der Geistlichkeit. Sie war stehngeblieben im Gefühl ihres Ansehns und ihrer Bequemlichkeit, während die Laien ihr unter den Händen Erfahrung und Gelehrsamkeit entwandt und mächtige Schritte auf dem Wege der Bildung vorausgetan hatten. In der Vergessenheit ihres eigentlichen Amts, die Ersten unter den Menschen an Geist, Einsicht und Bildung zu sein, waren ihnen die niedrigen Begierden zu Kopf gewachsen, und die Gemeinheit und Niedrigkeit ihrer Denkungsart wurde durch ihre Kleidung und ihren Beruf noch widerlicher. So fielen Achtung und Zutrauen, die Stützen dieses und jedes Reichs, allmählich weg, und damit war jene Zunft vernichtet, und die eigentliche Herrschaft Roms hatte lange vor der gewaltsamen Insurrektion [Aufstand, Volkserhebung] stillschweigend aufgehört. Nur kluge, also auch nur zeitliche Maßregeln hielten den Leichnam der Verfassung noch zusammen und bewahrten ihn vor zu schleuniger Auflösung, wohin denn zum Beispiel die Abschaffung der Priester-Ehe vorzüglich gehörte. — Eine Maßregel, die analog angewandt auch dem ähnlichen Soldatenstand eine fürchterliche Konsistenz verleihen und sein Leben noch lange fristen könnte. Was war natürlicher, als daß endlich ein feuerfangender Kopf öffentlichen Aufstand gegen den despotischen Buchstaben der ehemaligen Verfassung predigte, und mit um so größerm Glück, da er selbst Zunftgenosse war. —
Mit Recht nannten sich die Insurgenten Protestanten, denn sie protestierten feierlich gegen jede Anmaßung einer unbequemen und unrechtmäßig scheinenden Gewalt über das Gewissen. Sie nahmen ihr stillschweigend abgegebenes Recht auf Religions-Untersuchung, -Bestimmung und -Wahl als vakant wieder einstweilen an sich zurück. Sie stellten auch eine Menge richtiger Grundsätze auf, führten eine Menge löblicher Dinge ein, und schafften eine Menge verderblicher Satzungen ab; aber sie vergaßen das notwendige Resultat ihres Prozesses; trennten das Untrennbare, teilten die unteilbare Kirche und rissen sich frevelnd aus dem allgemeinen christlichen Verein, durch welchen und in welchem allein die echte, dauernde Wiedergeburt möglich war. Der Zustand religiöser Anarchie darf nur vorübergehend sein, denn der notwendige Grund, eine Zahl Menschen lediglich diesem hoben Berufe zu widmen und diese Zahl Menschen unabhängig von der irdischen Gewalt in Rücksicht dieser Angelegenheiten zu machen, bleibt in fortdauernder Wirksamkeit und Gültigkeit. — Die Errichtung der Konsistorien und die Beibehaltung einer Art Geistlichkeit half diesem Bedürfnisse nicht ab und war kein zureichender Ersatz. Unglücklicherweise hatten sich die Fürsten in diese Spaltung gemischt, und viele benutzten diese Streitigkeiten zur Befestigung und Erweiterung ihrer landesherrlichen Gewalt und Einkünfte, Sie waren froh, jenes hohen Einflusses überhoben zu sein, und nahmen die neuen Konsistorien nun unter ihre landesväterliche Beschützung und Leitung. Sie waren eifrigst besorgt, die gänzliche Vereinigung der protestantischen Kirchen zu hindern, und so wurde die Religion irreligiöserweise in Staatsgrenzen eingeschlossen, und damit der Grund zur allmählichen Untergrabung des religiösen kosmopolitischen Interesses gelegt. So verlor die Religion ihren großen politischen friedestiftenden Einfluß, ihre eigentümliche Rolle des vereinigenden, individualisierenden Prinzips, der Christenheit. Der Religionsfriede ward nach ganz fehlerhaften und religionswidrigen Grundsätzen abgeschlossen, und durch die Fortsetzung des sogenannten Protestantismus etwas durchaus Widersprechendes — eine Revolutionsregierung permanent erklärt.
Indes liegt dem Protestantismus bei weitern nicht bloß jener reine Begriff zum Grunde, sondern Luther behandelte das Christentum überhaupt willkürlich, verkannte seinen Geist, und führte einen andern Buchstaben und eine andere Religion ein, nämlich die heilige Allgemeingültigkeit der Bibel, und damit wurde leider eine andere höchst fremde irdische Wissenschaft in die Religionsangelegenheit gemischt — die Philologie — deren auszehrender Einfluß von da an unverkennbar wird. Er wurde selbst aus dunkelm Gefühl dieses Fehlgriffs bei einem großen Teil der Protestanten zum Rang eines Evangelisten erhoben und seine Übersetzung kanonisiert.
Dem religiösen Sinn war diese Wahl höchst verderblich, da nichts seine Irritabilität [Empfindlichkeit, Reizbarkeit] so vernichtet wie der Buchstabe. Im ehemaligen Zustande hatte dieser bei dem großen Umfange, der Geschmeidigkeit und dem reichhaltigen Stoff des katholischen Glaubens, sowie der Esoterisierung der Bibel und der heiligen Gewalt der Konzilien und des geistlichen Oberhaupts, nie so schädlich werden können; jetzt aber wurden diese Gegenmittel vernichtet, die absolute Popularität der Bibel behauptet, und nun drückte der dürftige Inhalt, der rohe abstrakte Entwurf der Religion in diesen Büchern desto merklicher und erschwerte dem heiligen Geiste die freie Belebung, Eindringung und Offenbarung unendlich.
Daher zeigt uns auch die Geschichte des Protestantismus keine herrlichen großen Erscheinungen des Überirdischen mehr, nur sein Anfang glänzt durch ein vorübergehendes Feuer des Himmels, bald nachher ist schon die Vertrocknung des heiligen Sinns bemerklich; das Weltliche hat die Oberhand gewonnen, der Kunstsinn leidet sympathetisch mit, nur selten, daß hie und da ein gediegener, ewiger Lebensfunke hervorspringt und eine kleine Gemeinde sich assimiliert. Er verlischt, und die Gemeinde fließt wieder auseinander und schwimmt mit dem Strome fort. So Zinzendorf, Jakob Böhme und mehrere. Die Moderatisten behalten die Oberhand, und die Zeit nähert sich einer gänzlichen Atonie der höhern Organe, der Periode des praktischen Unglaubens. Mit der Reformation war‘s um die Christenheit getan. Von nun an war keine mehr vorhanden. Katholiken und Protestanten oder Reformierte standen in sektirischer Abgeschnittenheit weiter voneinander als von Mohammedanern und Heiden. Die übriggebliebenen katholischen Staaten vegetierten fort, nicht ohne den schädlichen Einfluß der benachbarten protestantischen Staaten unmerklich zu fühlen. Die neuere Politik entstand erst in diesem Zeitpunkt, und einzelne mächtige Staaten suchten den vakanten Universalstuhl, in einen Thron verwandelt, in Besitz zu nehmen.
Den meisten Fürsten schien es eine Erniedrigung, sich nach einem ohnmächtigen Geistlichen zu genieren. — Sie fühlten zum erstenmal das Gewicht ihrer körperlichen Kraft auf Erden, sahen die himmlischen Mächte untätig bei Verletzung ihrer Repräsentanten, und suchten nun allgemach, ohne Aufsehn vor den noch eifrig päpstlich gesinnten Untertanen das lästige römische Joch abzuwerfen und sich unabhängig auf Erden zu machen. — Ihr unruhiges Gewissen beruhigten kluge Seelsorger, die nichts dabei verloren, daß ihre geistlichen Kinder die Disposition über das Kirchenvermögen sich anmaßten.
Zum Glück für die alte Verfassung tat sich jetzt ein neu entstandener Orden hervor, auf welchen der sterbende Geist der Hierarchie seine letzten Gaben ausgegossen zu haben schien, der mit neuer Kraft das Alte zurüstete und mit wunderbarer Einsicht und Beharrlichkeit, klüger als je vorher geschehen, sich des päpstlichen Reichs und seiner mächtigern Regeneration annahm. Noch war keine solche Gesellschaft in der Weltgeschichte anzutreffen gewesen. Mit größerer Sicherheit des Erfolgs hatte selbst der alte römische Senat nicht Pläne zur Welteroberung entworfen. Mit größerem Verstand war an die Ausführung einer größeren Idee noch nicht gedacht worden. Ewig wird diese Gesellschaft ein Muster aller Gesellschaften sein, die eine organische Sehnsucht nach unendlicher Verbreitung und ewiger Dauer fühlen, — aber auch ewig ein Beweis, daß die unbewachte Zeit allein die klügsten Unternehmungen vereitelt und der natürliche Wachstum des ganzen Geschlechts unaufhaltsam den künstlichen Wachstum eines Teils unterdrückt. Alles einzelne für sich hat ein eigenes Maß von Fähigkeit, nur die Kapazität des Geschlechts ist unermeßlich. Alle Pläne müssen fehlschlagen, die nicht auf alle Anlagen des Geschlechts vollständig angelegte Pläne sind. Noch merkwürdiger wird diese Gesellschaft als Mutter der sogenannten geheimen Gesellschaften, eines jetzt noch unreifen, aber gewiß wichtigen geschichtlichen Keims. Einen gefährlichern Nebenbuhler konnte der neue Lutheranismus, nicht Protestantisnius, gewiß nicht erhalten. Alle Zauber des katholischen Glaubens wurden unter seiner Hand noch kräftiger, die Schätze der Wissenschaften flossen in seine Zelle zurück. Was in Europa verloren war, suchten sie in den andern Weltteilen, in dem fernsten Abend und Morgen, vielfach wiederzugewinnen und die apostolische Würde und Beruf sich zuzueignen und geltend zu machen. Auch sie blieben in den Bemühungen nach Popularität nicht zurück, und wußten wohl, wieviel Luther seinen demagogischen Künsten, seinem Studium des gemeinen Volks zu verdanken gehabt hatte. Überall legten sie Schulen an, drangen in die Beichtstühle, bestiegen die Katheder und beschäftigten die Pressen, wurden Dichter und Weltweise, Minister und Märtyrer, und blieben in der ungeheuren Ausdehnung von Amerika über Europa nach China in dem wunderbarsten Einverständnis der Tat und der Lehre. Aus ihren Schulen rekrutierten sie mit weiser Auswahl ihren Orden. Gegen die Lutheraner predigten sie mit zerstörendem Eifer und suchten die grausamste Vertilgung dieser Ketzer, als eigentlicher Genossen des Teufels, zur dringendsten Pflicht der katholischen Christenheit zu machen. Ihnen allein hatten die katholischen Staaten und insonderheit der päpstliche Stuhl ihr langes Überleben der Reformation zu danken gehabt, und wer weiß, wie alt die Welt noch aussehn würde, wenn nicht schwache Obere, Eifersucht der Fürsten und andern geistlichen Orden, Hofintrigen und andere sonderbare Umstände ihren kühnen Lauf unterbrochen und mit ihnen diese letzte Schutzwehr der katholischen Verfassung beinah vernichtet hätten. Jetzt schläft er, dieser furchtbare Orden, in armseliger Gestalt an den Grenzen von Europa, vielleicht daß er von daher sich, wie das Volk, das ihn beschützt, mit neuer Gewalt einst über seine alte Heimat, vielleicht unter anderm Namen, verbreitet.
Die Reformation war ein Zeichen der Zeit gewesen. Sie war für ganz Europa bedeutend, wenn sie gleich nur im wahrhaft freien Deutschland öffentlich ausgebrochen war. Die guten Köpfe aller Nationen waren heimlich mündig geworden und lehnten sich im täuschenden Gefühl ihres Berufs um desto dreister gegen verjährten Zwang auf. Aus Instinkt ist der Gelehrte Feind der Geistlichkeit nach alter Verfassung; der gelehrte und der geistliche Stand müssen Vertilgungskriege führen, wenn sie getrennt sind; denn sie streiten um Eine Stelle. Diese Trennung tat sich immer mehr hervor, und die Gelehrten gewannen desto mehr Feld, je mehr sich die Geschichte der europäischen Menschheit dem Zeitraum der triumphierenden Gelehrsamkeit näherte, und Wissen und Glauben in eine entschiedenere Opposition traten. Im Glauben suchte man den Grund der allgemeinen Stockung, und durch das durchdringende Wissen hoffte man sie zu heben. Überall litt der heilige Sinn unter den mannigfachen Verfolgungen seiner bisherigen Art, seiner zeitigen Personalität. Das Resultat der modernen Denkungsart nannte man Philosophie und rechnete alles dazu, was dem Alten entgegen war, vorzüglich also jeden Einfall gegen die Religion. Der anfängliche Personalhaß gegen den katholischen Glauben ging allmählich in Haß gegen die Bibel, gegen den christlichen Glauben und endlich gar gegen die Religion über. Noch mehr — der Religionshaß dehnte sich sehr natürlich und folgerecht auf alle Gegenstände des Enthusiasmus aus, verketzerte Phantasie und Gefühl, Sittlichkeit und Kunstliebe, Zukunft und Vorzeit, setzte den Menschen in der Reihe der Naturwesen mit Not oben an, und machte die unendliche schöpferische Musik des Weltalls zum einförmigen Klappern einer ungeheuren Mühle, die vom Strom des Zufalls getrieben und auf ihm schwimmend, eine Mühle an sich, ohne Baumeister und Müller und eigentlich ein echtes Perpetuum mobile, eine sich selbst mahlende Mühle sei.
Ein Enthusiasmus ward großmütig dem armen Menschengeschlechte übrig gelassen und als Prüfstein der höchsten Bildung jedem Aktionär derselben unentbehrlich gemacht — der Enthusiasmus für diese herrliche, großartige Philosophie und insbesondere für ihre Priester und ihre Mystagogen. Frankreich war so glücklich der Schoß und der Sitz dieses neuen Glaubens zu werden, der aus lauter Wissen zusammengeklebt war. So verschrien die Poesie in dieser neuen Kirche war, so gab es doch einige Poeten darunter, die des Effekts wegen noch des alten Schmucks und der alten Lichter sich bedienten, aber dabei in Gefahr kamen, das neue Weltsystem mit altem Feuer zu entzünden. Klügere Mitglieder wußten jedoch die schon warm gewordenen Zuhörer sogleich wieder mit kaltem Wasser zu begießen. Die Mitglieder waren rastlos beschäftigt, die Natur, den Erdboden, die menschlichen Seelen und die Wissenschaften von der Poesie zu säubern, — jede Spur des Heiligen zu vertilgen, das Andenken an alle erhebende Vorfälle und Menschen durch Sarkasmen zu verleiden und die Welt alles bunten Schmucks zu entkleiden. Das Licht war wegen seines mathematischen Gehorsams und seiner Freiheit ihr Liebling geworden. Sie freuten sich, daß es sich eher zerbrechen ließ, als daß es mit Farben gespielt hätte, und so benannten sie nach ihm ihr großes Geschäft, Aufklärung. In Deutschland betrieb man dieses Geschäft gründlicher, man reformierte das Erziehungswesen, man suchte der alten Religion einen neuem vernünftigen, gemeinem Sinn zu geben, indem man alles Wunderbare und Geheimnisvolle sorgfältig von ihr abwusch; alle Gelehrsamkeit ward aufgeboten, um die Zuflucht zur Geschichte abzuschneiden, indem man die Geschichte zu einem häuslichen und bürgerlichen Sitten- und Familiengemälde zu veredeln sich bemühte. — Gott wurde zum müßigen Zuschauer des großen rührenden Schauspiels, das die Gelehrten aufführten, gemacht, welcher am Ende die Dichter und Spieler feierlich bewirten und bewundern sollte. Das gemeine Volk wurde recht mit Vorliebe aufgeklärt, und zu jenem gebildeten Enthusiasmus erzogen, und so entstand eine neue europäische Zunft: die Philanthropen und Aufklärer. Schade, daß die Natur so wunderbar und unbegreiflich, so poetisch und unendlich blieb, allen Bemühungen sie zu modernisieren zum Trotz. Duckte sich ja irgendwo ein alter Aberglaube an eine höhere Welt und sonst auf, so wurde gleich von allen Seiten Lärm geblasen, und womöglich der gefährliche Funke durch Philosophie und Witz in der Asche erstickt; dennoch war Toleranz das Losungswort der Gebildeten, und besonders in Frankreich gleichbedeutend mit Philosophie. Höchst merkwürdig ist diese Geschichte des modernen Unglaubens und der Schlüssel zu allen ungeheuren Phänomenen der neuem Zeit. Erst in diesem Jahrhundert und besonders in seiner letzten Hälfte beginnt sie und wächst in kurzer Zeit zu einer unübersehlichen Größe und Mannigfaltigkeit; eine zweite Reformation, eine umfassendere und eigentümlichere war unvermeidlich, und mußte das Land zuerst treffen, das am meisten modernisiert war und am längsten aus Mangel an Freiheit in asthenischem Zustande gelegen hatte. Längst hätte sich das überirdische Feuer Luft gemacht und die klugen Aufklärungspläne vereitelt, wenn nicht weltlicher Druck und Einfluß denselben zustatten gekommen wären. In dem Augenblick aber, wo ein Zwiespalt unter den Gelehrten und Regierungen, unter den Feinden der Religion und ihrer ganzen Genossenschaft entstand, mußte sie wieder als drittes tonangebendes vermittelndes Glied hervortreten, und diesen Hervortritt muß nun jeder Freund derselben anerkennen und verkündigen, wenn er noch nicht merklich genug sein sollte. Daß die Zeit der Auferstehung gekommen ist, und gerade die Begebenheiten, die gegen ihre Belebung gerichtet zu sein schienen und ihren Untergang zu vollenden drohten, die günstigsten Zeichen ihrer Regeneration geworden sind, dieses kann einem historischen Gemüte gar nicht zweifelhaft bleiben. Wahrhafte Anarchie ist das Zeugungselement der Religion. Aus der Vernichtung alles Positiven hebt sie ihr glorreiches Haupt als neue Weltstifterin empor. Wie von selbst steigt der Mensch gen Himmel auf, wenn ihn nichts mehr bindet, die höhern Organe treten von selbst aus der allgemeinen gleichförmigen Mischung und vollständigen Auflösung aller menschlichen Anlagen und Kräfte als der Urkeim der irdischen Gestaltung zuerst heraus. Der Geist Gottes schwebt über den Wassern, und ein himmlisches Eiland wird als Wohnstätte der neuen Menschen, als Stromgebiet des ewigen Lebens zuerst sichtbar über den zurückströmenden Wogen.
Ruhig und unbefangen betrachte der echte Beobachter die neuen staatsumwälzenden Zeiten. Kommt ihm der Staatsumwälzer nicht wie Sisyphus vor? Jetzt hat er die Spitze des Gleichgewichts erreicht und schon rollt die mächtige Last auf der andern Seite wieder herunter. Sie wird nie oben bleiben, wenn nicht eine Anziehung gegen den Himmel sie auf der Höhe schwebend erhält. Alle eure Stützen sind zu schwach, wenn euer Staat die Tendenz nach der Erde behält, aber knüpft ihn durch eine höhere Sehnsucht an die Höhen des Himmels, gebt ihm eine Beziehung auf das Weltall, dann habt ihr eine nie ermüdende Feder in ihm und werdet eure Bemühungen reichlich gelohnt sehn. An die Geschichte verweise ich euch, forscht in ihrem belehrenden Zusammenhang nach ähnlichen Zeitpunkten, und lernt den Zauberstab der Analogie gebrauchen. —
Frankreich verficht einen weltlichen Protestantismus. Sollten auch weltliche Jesuiten nun entstehn, und die Geschichte der letzten Jahrhunderte erneuert werden?Soll die Revolution die französische bleiben, wie die Reformation die lutherische war? Soll der Protestantismus abermals widernatürlicherweise als revolutionäre Regierung fixiert werden? Sollen Buchstaben Buchstaben Platz machen? Sucht ihr den Keim des Verderbens auch in der alten Einrichtung, dem alten Geiste, und glaubt euch auf eine bessere Einrichtung, einen bessern Geist zu verstehn? O! daß der Geist der Geister euch erfüllte, und ihr abließet von diesem törichten Bestreben, die Geschichte und die Menschheit zu modeln, und eure Richtung ihr zu geben. Ist sie nicht selbständig, nicht eigenmächtig, so gut wie unendlich liebenswert und weissagend? Sie zu studieren, ihr nachzugehn, von ihr zu lernen, mit ihr gleichen Schritt zu halten, gläubig ihren Verheißungen und Winken zu folgen — daran denkt keiner.
In Frankreich hat man viel für die Religion getan, indem man ihr das Bürgerrecht genommen und ihr bloß das Recht der Hausgenossenschaft gelassen hat, und zwar nicht in Einer Person, sondern in allen ihren unzähligen individuellen Gestalten. Als eine fremde unscheinbare Waise muß sie erst die Herzen wiedergewinnen und schon überall geliebt sein, ehe sie wieder öffentlich angebetet und in weltliche Dinge zur freundschaftlichen Beratung und Stimmung der Gemüter gemischt wird. Historisch merkwürdig bleibt der Versuch jener großen eisernen Maske, die unter dem Namen Robespierre in der Religion den Mittelpunkt und die Kraft der Republik suchte; auch der Kaltsinn, womit die Theophilanthropie, dieser Mystizismus der neuern Aufklärung, aufgenommen worden ist; auch die neuen Eroberungen der Jesuiten; auch die Näherung ans Morgenland durch die neuern politischen Verhältnisse.
Von den übrigen europäischen Ländern, außer Deutschland, läßt sich nur prophezeien, daß mit dem Frieden ein neues höheres religiöses Leben in ihnen zu pulsieren [beginnen] und bald alles andere weltliche Interesse verschlingen wird. In Deutschland hingegen kann man schon mit voller Gewißheit die Spuren einer neuen Welt aufzeigen. Deutschland geht einen langsamen aber sichern Gang vor den übrigen europäischen Ländern voraus. Während diese durch Krieg, Spekulation und Parteigeist beschäftigt sind, bildet sich der Deutsche mit allem Fleiß zum Genossen einer höhern Epoche der Kultur, und dieser Vorschritt muß ihm ein großes Übergewicht über die andern im Lauf der Zeit geben. In Wissenschaften und Künsten wird man eine gewaltige Gärung gewahr. Unendlich viel Geist wird entwickelt. Aus neuen, frischen Fundgruben wird gefördert. — Nie waren die Wissenschaften in besseren Händen und erregten wenigstens größere Erwartungen; die verschiedensten Seiten der Gegenstände werden aus-gespürt, nichts wird ungerüttelt, unbeurteilt, undurchsucht gelassen. Alles wird bearbeitet; die Schriftsteller werden eigentümlicher und gewaltiger, jedes alte Denkmal der Geschichte, jede Kunst, jede Wissenschaft findet Freunde und wird mit neuer Liebe umarmt und fruchtbar gemacht. Eine Vielseitigkeit ohnegleichen, eine wunderbare Tiefe, eine glänzende Politur, vielumfassende Kenntnisse und eine reiche kräftige Phantasie findet man hie und da, und oft kühn gepaart. Eine gewaltige Ahndung der schöpferischen Willkür, der Grenzenlosigkeit, der unendlichen Mannigfaltigkeit, der heiligen Eigentümlichkeit und der Allfähigkeit der innern Menschheit scheint überall rege zu werden. Aus dem Morgentraum der unbehilflichen Kindheit erwacht, übt ein Teil des Geschlechts seine ersten Kräfte an Schlangen, die seine Wiege umschlingen und den Gebrauch seiner Gliedmaßen ihm benehmen wollen. Noch sind alles nur Andeutungen, unzusammenhängend und roh, aber sie verraten dem historischen Auge eine universelle Individualität, eine neue Geschichte, eine neue Menschheit, die süßeste Umarmung einer jungen überraschten Kirche und eines liebenden Gottes, und das innige Empfängnis eines neuen Messias in ihren tausend Gliedern zugleich. Wer fühlt sich nicht mit süßer Scham guter Hoffnung? Das Neugeborne wird das Abbild seines Vaters, eine neue goldne Zeit mit dunkeln unendlichen Augen, eine prophetische wundertätige und wundenheilende, tröstende und ewiges Leben entzündende Zeit sein — eine große Versöhnungszeit, ein Heiland, der wie ein echter Genius unter den Menschen einheimisch, nur geglaubt, nicht gesehen werden, und unter zahllosen Gestalten den Gläubigen sichtbar, als Brot und Wein verzehrt, als Geliebte umarmt, als Luft geatmet, als Wort und Gesang vernommen, und mit himmlischer Wollust als Tod unter den höchsten Schmerzen der Liebe in das Innre des verbrausenden Leibes aufgenommen wird.
Jetzt stehn wir hoch genug, um auch jenen oberwähnten, vorhergegangenen Zeiten freundlich zuzulächeln und auch in jenen wunderlichen Torheiten merkwürdige Kristallisationen des historischen Stoffs zu erkennen. Dankbar wollen wir jenen Gelehrten und Philosophen die Hände drücken; denn dieser Wahn mußte zum Besten der Nachkommen erschöpft und die wissenschaftliche Ansicht der Dinge geltend gemacht werden. Reizender und farbiger steht die Poesie wie ein geschmücktes Indien dem kalten, toten Spitzbergen jenes Stubenverstandes gegenüber. Damit Indien in der Mitte des Erdballs so warm und herrlich sei, muß ein kaltes starres Meer, tote Klippen, Nebel statt des gestirnvollen Himmels und eine lange Nacht die beiden Enden unwirtbar machen. Die tiefe Bedeutung der Mechanik lag schwer auf diesen Anachoreten [Einsiedler] in den Wüsten des Verstandes; das Reizende der ersten Einsicht überwältigte sie, das Alte rächte sich an ihnen, sie opferten dem ersten Selbstbewußtsein das Heiligste und Schönste der Welt mit wunderbarer Verleugnung, und waren die Ersten, die wieder die Heiligkeit der Natur, die Unendlichkeit der Kunst, die Notwendigkeit des Wissens, die Achtung des Weltlichen und die Allgegenwart des wahrhaft Geschichtlichen durch die Tat anerkannten und verkündigten, und einer höhern, allgemeinem und furchtbarem Gespensterherrschaft, als sie selbst glaubten, ein Ende machten.
Erst durch genauere Kenntnis der Religion wird man jene fürchterlichen Erzeugnisse eines Religionsschlafs, jene Träume und Deliria des heiligen Organs besser beurteilen und dann erst die Wichtigkeit jenes Geschenks recht einsehn lernen. Wo keine Götter sind, walten Gespenster, und die eigentliche Entstehungszeit der europäischen Gespenster, die auch ihre Gestalt ziemlich vollständig erklärt, ist die Periode des Übergangs der griechischen Götterlehre in das Christentum. Also kommt auch, ihr Philanthropen und Enzyklopädisten, in die friedenstiftende Loge und empfangt den Bruderkuß, streift das graue Netz ab, und schaut mit junger Liebe die Wunderherrlichkeit der Natur, der Geschichte und der Menschheit an. Zu einem Bruder will ich euch führen, der soll mit euch reden, daß euch die Herzen aufgehn und ihr eure abgestorbene geliebte Ahndung mit neuem Leibe bekleidet, wieder umfaßt und erkennt, was euch vorschwebte und was der schwerfällige irdische Verstand freilich euch nicht haschen konnte.
Dieser Bruder ist der Herzschlag der neuen Zeit, wer ihn gefühlt hat, zweifelt nicht mehr an ihrem Kommen, und tritt mit süßem Stolz auf seine Zeitgenossenschaft auch aus dem Haufen hervor zu der neuen Schar der Jünger. Er hat einen neuen Schleier für die Heilige gemacht, der ihren himmlischen Gliederbau anschmiegend verrät und doch sie züchtigem als ein andrer erhüllt. — Der Schleier ist für die Jungfrau, was der Geist für en Leib ist, ihr unentbehrliches Organ, dessen Falten die Buchstaben ihrer süßen Verkündigung sind; das unendliche Faltenspiel ist eine Chiffernmusik, denn die Sprache ist der Jungfrau zu hölzern und zu frech, nur zum Gesang öffnen sich ihre Lippen. Mir ist er nichts als der feierliche Ruf zu einer neuen Urversammlung, der gewaltige Flügelschlag eines vorüberziehenden englischen Herolds. Es sind die ersten Wehen, setze sich jeder in Bereitschaft zur Geburt!
Das Höchste in der Physik ist jetzt vorhanden, und wir können nun leichter die wissenschaftliche Zunft ühersehn. Die Hilfsbedürftigkeit der äußern Wissenschaften ward in der letzten Zeit immer sichtbarer, je bekannter wir mit ihnen wurden. Die Natur fing an, immer dürftiger auszusehn, und wir sahen deutlicher gewöhnt an den Glanz unserer Entdeckungen, daß es nur ein geborgtes Licht war, und daß wir mit den bekannten Werkzeugen und den bekannten Methoden nicht das Wesentliche, das Gesuchte finden und konstruieren würden. Jeder Forscher mußte sich gestehn, daß eine Wissenschaft nichts ohne die andere sei, und so entstanden Mystifikationsversuche der Wissenschaften, und das wunderliche Wesen der Philosophie flog jetzt als rein dargestelltes wissenschaftliches Element zu einer symmetrischen Grundfigur der Wissenschaften an. Andere brachten die konkreten Wissenschaften in neue Verhältnisse, beförderten einen lebhaften Verkehr derselben untereinander, und suchten ihre naturhistorische Klassifikation aufs reine zu bringen. So währt es fort, und es ist leicht zu ermessen, wie günstig dieser Umgang mit der äußern und innern Welt der höhern Bildung des Verstandes, der Kenntnis der erstern und der Erregung und Kultur der letztern sein muß, und wie unter diesen Umständen die Witterung sich klären und der alte Himmel und mit ihm die Sehnsucht nach ihm, die lebendige Astronomie, wieder zum Vorschein kommen muß.
Nun wollen wir uns zu dem politischen Schauspiel unsrer Zeit wenden. Alte und neue Welt sind im Kampf begriffen, die Mangelhaftigkeit und Bedürftigkeit der bisherigen Staatseinrichtungen sind in furchtbaren Phänomenen offenbar geworden. Frankreich verficht einen weltlichen Protestantismus. Sollten auch weltliche Jesuiten nun entstehn, und die Geschichte der letzten Jahrhunderte erneuert werden? Wie wenn auch hier wie in den Wissenschaften eine nähere und mannigfaltigere Konnexion und Berührung der europäischen Staaten zunächst der historische Zweck des Krieges wäre, wenn eine neue Regung des bisher schlummernden Europa ins Spiel käme, wenn Europa wieder erwachen wollte, wenn ein Staat der Staaten, eine politische Wissenschaftslehre, uns bevorstände! Sollte etwa die Hierarchie, diese symmetrische Grundfigur der Staaten, das Prinzip des Staatenvereins als intellektuale Anschauung des politischen Ichs sein? Es ist unmöglich, daß weltliche Kräfte sich selbst ins Gleichgewicht setzen, ein drittes Element, das weltlich und überirdisch zugleich ist, kann allein diese Aufgabe lösen. Unter den streitenden Mächten kann kein Friede geschlossen werden, aller Friede ist nur Illusion, nur Waffenstillstand; auf dem Standpunkt der Kabinetter, des gemeinen Bewußtseins ist keine Vereinigung denkbar. Beide Teile haben große, notwendige Ansprüche und müssen sie machen, getrieben vom Geiste der Welt und der Menschheit. Beide sind unvertilgbare Mächte der Menschenbrust; hier die Andacht zum Altertum, die Anhänglichkeit an die geschichtliche Verfassung, die Liebe zu den Denkmalen der Altväter und der alten glorreichen Staatsfamilie, und Freude des Gehorsams; dort das entzückende Gefühl der Freiheit, die unbedingte Erwartung mächtiger Wirkungskreise, die Lust am Neuen und Jungen, die zwanglose Berührung mit allen Staatsgenossen, der Stolz auf menschliche Allgemeingültigkeit, die Freude am persönlichen Recht und am Eigentum des Ganzen, und das kraftvolle Bürgergefühl. Keine hoffe die andre zu vernichten, alle Eroberungen wollen hier nichts sagen, denn die innerste Hauptstadt jedes Reichs liegt nicht hinter Erdwällen und läßt sich nicht erstürmen.
Wer weiß, ob des Kriegs genug ist, aber er wird nie aufhören, wenn man nicht den Palmenzweig ergreift, den allein eine geistliche Macht darreichen kann. Es wird solange Blut über Europa strömen, bis die Nationen ihren fürchterlichen Wahnsinn gewahr werden, der sie im Kreise herumtreibt, und von heiliger Musik getroffen und besänftigt zu ehemaligen Altären in bunter Vermischung treten, Werke des Friedens vornehmen, und ein großes Liebesmahl als Friedensfest auf den rauchenden Walstätten mit heißen Tränen gefeiert wird. Nur die Religion kann Europa wieder aufwecken und die Völker sichern, und die Christenheit mit neuer Herrlichkeit sichtbar auf Erden in ihr altes, friedenstiftendes Amt installieren.
Haben die Nationen alles vom Menschen — nur nicht sein Herz? — sein heiliges Organ? Werden sie nicht Freunde, wie diese, an den Särgen ihrer Lieben, vergessen sie nicht alles Feindliche, wenn das göttliche Mitleid zu ihnen spricht — und Ein Unglück, Ein Jammer, Ein Gefühl ihre Augen mit Tränen füllte? Ergreift sie nicht Aufopferung und Hingebung mit Allgewalt, und sehnen sie sich nicht, Freunde und Bundesgenossen zu sein?
Wo ist jener alte, liebe, alleinseligmachende Glaube an die Regierung Gottes auf Erden, wo ist Jenes himmlische Zutrauen der Menschen zueinander, jene süße Andacht bei den Ergießungen eines gottbegeisterten Gemüts, jener allesumarmende Geist der Christenheit?
Das Christentum ist dreifacher Gestalt. Eine ist das Zeugungselement der Religion als Freude an aller Religion. Eine das Mittlertum überhaupt als Glaube an die Allfähigkeit alles Irdischen, Wein und Brot des ewigen Lebens zu sein. Eine der Glaube an Christus, seine Mutter und die Heiligen. Wählt, welche ihr wollt, wählt alle drei, es ist gleichviel, ihr werdet damit Christen und Mitglieder einer einzigen, ewigen, unaussprechlich glücklichen Gemeinde.
Angewandtes, lebendig gewordenes Christentum war der alte katholische Glaube, die letzte dieser Gestalten. Seine Allgegenwart im Leben, seine Liebe zur Kunst, seine tiefe Humanität, die Unverbrüchlichkeit seiner Ehen, seine menschenfreundliche Mitteilsamkeit, seine Freude an der Armut, Gehorsam und Treue machen ihn als echte Religion unverkennbar und enthalten die Grundzüge seiner Verfassung.
Er ist gereinigt durch den Strom der Zeiten; in inniger unteilbarer Verbindung mit den beiden andern Gestalten des Christentums wird er ewig diesen Erdboden beglücken.
Seine zufällige Form ist so gut wie vernichtet, das alte Papsttum liegt im Grabe, und Rom ist zum zweitenmal eine Ruine geworden. Soll der Protestantismus nicht endlich aufhören und einer neuen, dauerhaftern Kirche Platz machen? Die andern Weltteile warten auf Europas Versöhnung und Auferstehung, um sich anzuschließen und Mitbürger des Himmelreichs zu werden. Sollte es nicht in Europa bald eine Menge wahrhaft heiliger Gemüter wieder geben, sollten nicht alle wahrhafte Religionsverwandte voll Sehnsucht werden, den Himmel auf Erden zu erblicken? und gern zusammentreten und heilige Chöre anstimmen?
Die Christenheit muß wieder lebendig und wirksam werden und sich wieder eine sichtbare Kirche ohne Rücksicht auf Landesgrenzen bilden, die alle nach dem Überirdischen durstige Seelen in ihren Schoß aufnimmt und gern Vermittlerin der alten und neuen Welt wird.
Sie muß das alte Füllhorn des Segens wieder über die Völker ausgießen. Aus dem heiligen Schoße eines ehrwürdigen europäischen Konziliums wird die Christenheit aufstehn, und das Geschäft der Religionserweckung nach einem allumfassenden, göttlichen Plane betrieben werden. Keiner wird dann mehr protestieren gegen christlichen und weltlichen Zwang, denn das Wesen der Kirche wird echte Freiheit sein, und alle nötigen Reformen werden unter der Leitung derselben als friedliche und förmliche Staatsprozesse betrieben werden.
Wann und wann eher? danach ist nicht zu fragen. Nur Geduld, sie wird, sie muß kommen, die heilige Zeit des Friedens, wo das neue Jerusalem die Hauptstadt der Welt sein wird; und bis dahin seid heiter und mutig in den Gefahren der Zeit, Genossen meines Glaubens, verkündigt mit Wort und Tat das göttliche Evangelium, und bleibt dem wahrhaften, unendlichen Glauben treu bis in den Tod.
Aus: Novalis (Friedrich von Hardenberg), Fragmente und Studien. Die Christenheit in Europa. Herausgegeben von Carl Paschek
Reclams Universalbibliothek Nr. 8030 (S.67ff.). © 1984 Philipp Reclam jun., Stuttgart
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