118 Werner Busch Wir verzichten, um unser Argument zuspitzen zu können, ganz bewußt im folgenden auf viererlei: weder soll das höchst komplexe Progamm der KAULBACHSchen Bilder in extenso vorgestellt werden, noch soll eine Darstellung des KAULBACHSchen Geschichtsbegriffes und seine Ableitung versucht werden (wir vermuten vorläufig in KAULBACHS Denken eine gewisse Synthese aus Gedanken von FRIEDRICH THEODOR VISCHER und MORIZ CARRIERE), noch auch sollen die KAULBACHSchen Bilder kunsthistorisch im einzelnen analysiert werden, und schießlich soll auch nicht der tagespolitische Bezug dieser Bilder aufgezeigt werden, der sich besonders am letzten Bild des Zyklus, der Darstellung des Reformationszeitalters, nachweisen ließe und die preußische Religionspolitik nach Verabschiedung der Verfassung von 1850 zu reflektieren hätte. Primär wollen wir uns auf MAX SCHASLERS Abhandlung Wandgemälde Wilhelm von Kaulbachs im Treppenhaus des Neuen Museums zu Berlin (Berlin 1854) stützen. SCHASLERS wenig später erschienene Aufsätze in der Zeitschrift Die Dioskuren zum Problem der Historienmalerei in der Gegenwart verstärken und klären die Argumentation der früheren Abhandlung, sie sind hier mit heranzuziehen.1 Von KAULBACH stammt die Bemerkung: »Geschichte müssen wir malen, Geschichte ist die Religion unserer Zeit, Geschichte allein ist zeitgemäß" zu Recht hat ein Sammelband zum Historismus den letzten Teil dieses Satzes zu seinem Titel gemacht.2 Kein Zweifel, KAULBACH meint diesen Satz stolz positiv: Thema der Zeit ist die Geschichte, die von der sie prüfenden Philosophie ihren höheren Sinn empfängt. Doch man kann den Satz auch als Bankrotterklärung lesen: die Kunst der Gegenwart hat kein Thema, ihr bleibt als Surrogat die Geschichte. Behauptet sei vorab, daß KAULBACH diese Dimension seiner Bemerkung wohl bewußt gewesen ist, bewußter vielleicht als seinen Apologeten, den Hegelschülern, so bewußt vielleicht wie Hegel selbst. Dieses Bewußtsein macht die romantische, sprich moderne Tendenz des akademischen Klassizisten KAULBACH aus.
1S. vor allem Max Schasler: Über Idealismus und Realismus in der Historienmalerei. Eine Parallele zwischen M. v. Schwinds .Kaiser Rudolph, der gen Speyer zum Sterben reitet' und Ad. Menzels »Friedrichs II. und Josephs II. Zusammenkunft in Neisse*. In: Die Dioskuren. 3, 40/41, 15. August/1. September 1858; ders., Was tut der deutschen Historienmalerei not? Randglossen zu den Protokollen der siebten Hauptversammlung der „Verbindung für historische Kunst". In: Die Dioskuren. 7, 3,19. Januar 1862 und 7, 3, 6. April 1862. 2 A Teichlein: Zur Charakteristik Wilhelm von Kaulbachs. In: Zeitschrift für Bildende Kunst. 11 (1876), 264; .Geschichte allein ist zeitgemäß". Historismus in Deutschland. Hrsg. von M. Brix und M. Steinhauser. Lahn/Gießen 1978.
Wilhelm von Kaulbach 119 An den Berliner Museumsfresken hat KAULBACH mit Gehilfen von 1847 bis 1865 gemalt. Die Entstehungsgeschichte weist jedoch sehr viel weiter zurück. Die Vertragsverhandlungen mit FRIEDRICH WILHELM IV. fanden 1842/43 statt, doch hatte KAULBACH schon 1835 mit Kronprinz MAX VON BAYERN über einen Weltgeschichtszyklus gesprochen. Bei zweien der sechs Berliner Bilder handelt es sich um Wiederholungen. Die Hunnenschlacht wurde im Karton 1834 vollendet und in den folgenden Jahren in Grisaille, genauer in Sepia, für den Grafen RACZYNSKI ausgeführt, das Bild langte 1837 in Berlin an. Ab 1838 liegen erste Detailzeichnungen zur Zerstörung Jerusalems vor, 1841 gab LUDWIG I. die ölfassung in Auftrag, die 1847 vollendet war. Das riesige Bild bildete dann das Zentrum, den auch gedanklichen Kern der in den folgenden Jahren errichteten Neuen Pinakothek, deren Außenwände KAULBACH bis 1853 mit großen Fresken überzog; es ist darauf zurückzukommen. MAX SCHASLERS Analyse der Berliner Fresken, die 1854, also bereits zur Halbzeit des großen Unternehmens, nach Vollendung der ersten der beiden Wände, erschien, ist zum Schluß der schematische Aufriß der ersten Wand beigegeben; wir entnehmen ihm die Verteilung von Hauptbildern, Nebenszenen mit rahmenden Arabeskpilastern und bekrönendem Fries (Abb. 1). Eine Vorstellung vom Anbringungsort der Fresken vermitteln ein Längsschnitt durch das gesamte Treppenhaus (Abb. 2) und eine Photographie vom Treppenabsatz des ersten Stockwerkes aus (Abb. 3) in Publikationen aus der Zeit um 1900. Den Arbeitsprozeß begleiteten Stichpublikationen aller Bestandteile der Fresken in reiner Umrißzeichnung, darin den Entwurfkartons ähnelnd. Schaut man nun in die eigentlich kunsthistorische Literatur, beginnend mit OSTINIS KAULBACH-Monographie von 1906, und sucht nach Abbildungen der KAULBACHschen Fresken, so findet man fast ausnahmslos Wiedergaben der sechs Hauptbilder, gelegentlich einzelner Nebenbilder, nicht abgebildet werden Pilaster, Zwischenfries und der durchlaufende Puttenfries3. Durch diese bis heute gültige Form der Rezeption wird nicht nur das Verständnis der Gesamtkonzeption verhindert, sondern auch das historisch adäquate Verständnis des Einzelbildes unmöglich gemacht. Äußere Gründe für diese zu völliger Fehleinschätzung führende Isolierung der Einzelbilder kommen hinzu: die Fresken sind im 2. Weltkrieg zerstört worden und waren zuvor in der Tat in ihrer Gesamtheit schwer zu photographieren, der Puttenfries war für den im Treppenhaus stehenden Betrachter kaum gut zu erkennen (vgl.
3 Fritz von Ostini: Wilhelm von Kaulbach. Bielefeld/Leipzig 1906 (Künstler-Monographien. Hrsg. von H. Knackfuß. Bd 84). Bei Werner Hofmann: Das irdische Paradies. Motive und Ideen des 19. Jahrhunderts. 2. Aufl. München 1974. Abb. 68 etwa sind zwar die seitlichen Bildfelder zu einem der Hauptbilder mit abgebildet, es fehlt jedoch auch hier der zugehörige Ausschnitt aus dem überfangenden Fries.
Wilhelm von Kaulbach 123 Abb. 3). Die zeitgenössischen Kommentatoren dagegen wußten um die Bedeutung des Gesamtzusammenhanges; liest man die eigenständigen Abhandlungen aus der Entstehungszeit, so stellt man mit Erstaunen fest, daß dem bekrönenden Fries nicht nur besondere Aufmerksamkeit gewidmet wird in seinem Verhältnis zu den Hauptbildern, sondern daß er.häufig gar für den wichtigsten Teil des gesamten Freskenprogrammes gehalten wird, man ihn zudem künstlerisch für am gelungensten hält. Noch die ausgesprochen hegelianisch angehauchte Analyse von VICTOR KAISER aus dem Jahre 1879 behandelt ausführlich und zuallererst den gesamten Puttenfries, um die Analyse allein des ersten Hauptbildes anzuschließen.4 Das sollte stutzig machen. Zitieren wir MAX SCHASLERS präzise Beschreibung der im Gesamtprogramm sich durchdringenden vier verschiedenen Zyklen, nicht ohne allerdings zuvor SCHASLERS generelle Charakterisierung der Aufgabe KAULBACHS angeführt zu haben. Aufgabe des Künstlers sei es, nicht einfach historische Ereignisse, Tatsachen zu schildern, sondern das wahrhaft Historische zur Darstellung zu bringen.5 Das wahrhaft Historische zeige sich im Gedankeninhalt der materiellen Tat und dessen Einfluß auf die Entwicklung des Menschengeschlechts. Dadurch werde die materielle Tat, von der der Künstler ausgehe, zum Symbol. Die Tatsachen und Personen des Historienbildes seien also nur Träger oder Repräsentanten von Ideen. Der Künstler habe durch den materiellen Schleier des Tatsächlichen zu schauen und dahinter den Weltgeist zum Vorschein zu bringen (16). Das Symbolische nun zeige sich in der künstlerischen Praxis nicht im Gegenständlichen, sondern im formal Kompositorischen (20). Das abstrakte, oder besser, abstrahierende Lineament allein könne das rein Gedankliche, die Idee anschaulich werden lassen. Daher überzeugten die Kartons, so SCHASLER und andere, ja noch die Nachstiche, die allein vom Lineament beherrscht werden, mehr als die farbige, materielle Umsetzung im Fresko (18,19, 43). KAULBACHS Stil ist nach SCHASLER daher symbolisch-historischer Stil zu nennen, oder wie es an anderer Stelle heißt: philosophischer Kunststil (22). Übrigens nennt auch BAUDELAIRE6 im Salon von 1859 KAULBACHS Kunst philosophisch. Auch er meint damit die durch formale Stilisierung angestrebte Verweisungsdimension der Gegenstände. Vom Treppenhaus des Berliner Museums öffnen sich Zugänge zu allen Abteilungen der menschlichen Kulturgeschichte, wie sie sich vor allem in Kunst und Altertümern niederschlägt. Die Fresken im Treppenhaus dienen
* Victor Kaiser: Kaulbach's Bilderkreis der Weltgeschichte. Berlin 1879 (im folgenden zit. Kaiser). s Max Schasler: Wandgemälde Wilhelm von Kaulbachs im Treppenhaus des Neuen Museums zu Berlin. Berlin 1854. 8-11; im folgenden Text mit Seitenzahl zit. 6 Baudelaire: Oeuvres complites. Brügge 1968. 1047 (Biblioth£que de la Pleiade. 1, 7.).
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