WERNER BUSCH (BOCHUM) WILHELM VON KAULBACH — PEINTRE PHILOSOPHE UND MODERN PAINTER Zu Kaulbachs Weltgeschichtszyklus im Berliner Neuen Museum KAULBACHS Wandbilder im Obergeschoß des Treppenhauses des Berliner Neuen Museums gehören zu den großen Freskounternehmungen des 19. Jahrhunderts. Die Zeitgenossen haben sie je nach Standpunkt bewundert oder kritisiert, in jedem Falle aber haben sie sich intensiv mit den Bildern und ihrer Konzeption auseinandergesetzt. Uns ist derartige Kunst ausgesprochen fremd geworden, es fehlt uns vollkommen der Schlüssel zu ihrem Verständnis. Gemeinhin pflegen wir sie abzutun, indem wir ihr hohles Pathos vorwerfen. Andererseits hat in der deutschen Kunstgeschichte die Kunst des deutschen 19. Jahrhunderts durchaus Renaissance. Die reichlich vorhandenen Primärquellen werden mit zweierlei Zielsetzung durchforstet. Von positivistischem Standpunkt aus wird ein Bild der deutschen Kunstentwicklung entworfen; KAULBACH bekommt seinen Platz in der Geschichte der Münchener Kunst und in der Geschichte der Historienmalerei, er wird zwischen CORNELIUS und PILOTY verankert, in ein Verhältnis gesetzt zur Düsseldorfer Malerschule. Von historisch-kritischem Standpunkt aus werden die restaurativen Tendenzen einer derartigen historischen Geschichtsmalerei hervorgehoben. Das eine Mal interessiert mehr die Form, das andere Mal mehr der Inhalt, beide Male wird die Darstellung mit einer Flut von häufig genug identischem historisch-faktischen Material gepolstert. Was in beiden Fällen verabsäumt wird, ist eine Analyse der Struktur dieser Werke. Es wird nicht versucht darzustellen, in welcher Form in der Struktur der Fresken geschichtliche Erfahrung aufgehoben ist, inwieweit sie in ihrer Erscheinung etwas vom Kunstproblem ihrer Zeit preisgeben. Um diesem Problem auf die Spur zu kommen, wollen wir uns hier allein einer scheinbar gänzlich randständigen Frage zuwenden. Wir möchten klären, in welchem Verhältnis Rahmen und Bild bei KAULBACHS Fresken zueinander stehen, oder genauer, wie sich die sechs Hauptbilder zu den sie rahmenden dekorativen Nebenszenen, insbesondere zu dem die gesamten Fresken fortlaufend überfangenden arabesken Kinderfries verhalten. Zu unserer Frage sehen wir uns durch die zeitgenössische positive Kritik des KAULBACH-schen Zyklus gedrängt. Man stellt schnell fest, daß diese positive Kritik fast ausschließlich von direkten oder indirekten Hegelschülern stammt.
8 Werner Busch Wir verzichten, um unser Argument zuspitzen zu können, ganz bewußt im folgenden auf viererlei: weder soll das höchst komplexe Progamm der KAULBACHSchen Bilder in extenso vorgestellt werden, noch soll eine Darstellung des KAULBACHSchen Geschichtsbegriffes und seine Ableitung versucht werden (wir vermuten vorläufig in KAULBACHS Denken eine gewisse Synthese aus Gedanken von FRIEDRICH THEODOR VISCHER und MORIZ CARRIERE), noch auch sollen die KAULBACHSchen Bilder kunsthistorisch im einzelnen analysiert werden, und schießlich soll auch nicht der tagespolitische Bezug dieser Bilder aufgezeigt werden, der sich besonders am letzten Bild des Zyklus, der Darstellung des Reformationszeitalters, nachweisen ließe und die preußische Religionspolitik nach Verabschiedung der Verfassung von 1850 zu reflektieren hätte. Primär wollen wir uns auf MAX SCHASLERS Abhandlung Wandgemälde Wilhelm von Kaulbachs im Treppenhaus des Neuen Museums zu Berlin (Berlin 1854) stützen. SCHASLERS wenig später erschienene Aufsätze in der Zeitschrift Die Dioskuren zum Problem der Historienmalerei in der Gegenwart verstärken und klären die Argumentation der früheren Abhandlung, sie sind hier mit heranzuziehen.1 Von KAULBACH stammt die Bemerkung: »Geschichte müssen wir malen, Geschichte ist die Religion unserer Zeit, Geschichte allein ist zeitgemäß" zu Recht hat ein Sammelband zum Historismus den letzten Teil dieses Satzes zu seinem Titel gemacht.2 Kein Zweifel, KAULBACH meint diesen Satz stolz positiv: Thema der Zeit ist die Geschichte, die von der sie prüfenden Philosophie ihren höheren Sinn empfängt. Doch man kann den Satz auch als Bankrotterklärung lesen: die Kunst der Gegenwart hat kein Thema, ihr bleibt als Surrogat die Geschichte. Behauptet sei vorab, daß KAULBACH diese Dimension seiner Bemerkung wohl bewußt gewesen ist, bewußter vielleicht als seinen Apologeten, den Hegelschülern, so bewußt vielleicht wie Hegel selbst. Dieses Bewußtsein macht die romantische, sprich moderne Tendenz des akademischen Klassizisten KAULBACH aus. 1S. vor allem Max Schasler: Über Idealismus und Realismus in der Historienmalerei. Eine Parallele zwischen M. v. Schwinds .Kaiser Rudolph, der gen Speyer zum Sterben reitet' und Ad. Menzels »Friedrichs II. und Josephs II. Zusammenkunft in Neisse*. In: Die Dioskuren. 3, 40/41, 15. August/1. September 1858; ders., Was tut der deutschen Historienmalerei not? Randglossen zu den Protokollen der siebten Hauptversammlung der „Verbindung für historische Kunst". In: Die Dioskuren. 7, 3,19. Januar 1862 und 7, 3, 6. April 1862. 2 A Teichlein: Zur Charakteristik Wilhelm von Kaulbachs. In: Zeitschrift für Bildende Kunst. 11 (1876), 264; .Geschichte allein ist zeitgemäß". Historismus in Deutschland. Hrsg. von M. Brix und M. Steinhauser. Lahn/Gießen 1978.
Wilhelm von Kaulbach 119 An den Berliner Museumsfresken hat KAULBACH mit Gehilfen von 1847 bis 1865 gemalt. Die Entstehungsgeschichte weist jedoch sehr viel weiter zurück. Die Vertragsverhandlungen mit FRIEDRICH WILHELM IV. fanden 1842/43 statt, doch hatte KAULBACH schon 1835 mit Kronprinz MAX VON BAYERN über einen Weltgeschichtszyklus gesprochen. Bei zweien der sechs Berliner Bilder handelt es sich um Wiederholungen. Die Hunnenschlacht wurde im Karton 1834 vollendet und in den folgenden Jahren in Grisaille, genauer in Sepia, für den Grafen RACZYNSKI ausgeführt, das Bild langte 1837 in Berlin an. Ab 1838 liegen erste Detailzeichnungen zur Zerstörung Jerusalems vor, 1841 gab LUDWIG I. die ölfassung in Auftrag, die 1847 vollendet war. Das riesige Bild bildete dann das Zentrum, den auch gedanklichen Kern der in den folgenden Jahren errichteten Neuen Pinakothek, deren Außenwände KAULBACH bis 1853 mit großen Fresken überzog; es ist darauf zurückzukommen. MAX SCHASLERS Analyse der Berliner Fresken, die 1854, also bereits zur Halbzeit des großen Unternehmens, nach Vollendung der ersten der beiden Wände, erschien, ist zum Schluß der schematische Aufriß der ersten Wand beigegeben; wir entnehmen ihm die Verteilung von Hauptbildern, Nebenszenen mit rahmenden Arabeskpilastern und bekrönendem Fries (Abb. 1). Eine Vorstellung vom Anbringungsort der Fresken vermitteln ein Längsschnitt durch das gesamte Treppenhaus (Abb. 2) und eine Photographie vom Treppenabsatz des ersten Stockwerkes aus (Abb. 3) in Publikationen aus der Zeit um 1900. Den Arbeitsprozeß begleiteten Stichpublikationen aller Bestandteile der Fresken in reiner Umrißzeichnung, darin den Entwurfkartons ähnelnd. Schaut man nun in die eigentlich kunsthistorische Literatur, beginnend mit OSTINIS KAULBACH-Monographie von 1906, und sucht nach Abbildungen der KAULBACHschen Fresken, so findet man fast ausnahmslos Wiedergaben der sechs Hauptbilder, gelegentlich einzelner Nebenbilder, nicht abgebildet werden Pilaster, Zwischenfries und der durchlaufende Puttenfries3. Durch diese bis heute gültige Form der Rezeption wird nicht nur das Verständnis der Gesamtkonzeption verhindert, sondern auch das historisch adäquate Verständnis des Einzelbildes unmöglich gemacht. Äußere Gründe für diese zu völliger Fehleinschätzung führende Isolierung der Einzelbilder kommen hinzu: die Fresken sind im 2. Weltkrieg zerstört worden und waren zuvor in der Tat in ihrer Gesamtheit schwer zu photographieren, der Puttenfries war für den im Treppenhaus stehenden Betrachter kaum gut zu erkennen (vgl. 3 Fritz von Ostini: Wilhelm von Kaulbach. Bielefeld/Leipzig 1906 (Künstler-Monographien. Hrsg. von H. Knackfuß. Bd 84). Bei Werner Hofmann: Das irdische Paradies. Motive und Ideen des 19. Jahrhunderts. 2. Aufl. München 1974. Abb. 68 etwa sind zwar die seitlichen Bildfelder zu einem der Hauptbilder mit abgebildet, es fehlt jedoch auch hier der zugehörige Ausschnitt aus dem überfangenden Fries.
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Wilhelm von Kaulbach 123 Abb. 3). Die zeitgenössischen Kommentatoren dagegen wußten um die Bedeutung des Gesamtzusammenhanges; liest man die eigenständigen Abhandlungen aus der Entstehungszeit, so stellt man mit Erstaunen fest, daß dem bekrönenden Fries nicht nur besondere Aufmerksamkeit gewidmet wird in seinem Verhältnis zu den Hauptbildern, sondern daß er.häufig gar für den wichtigsten Teil des gesamten Freskenprogrammes gehalten wird, man ihn zudem künstlerisch für am gelungensten hält. Noch die ausgesprochen hegelianisch angehauchte Analyse von VICTOR KAISER aus dem Jahre 1879 behandelt ausführlich und zuallererst den gesamten Puttenfries, um die Analyse allein des ersten Hauptbildes anzuschließen.4 Das sollte stutzig machen. Zitieren wir MAX SCHASLERS präzise Beschreibung der im Gesamtprogramm sich durchdringenden vier verschiedenen Zyklen, nicht ohne allerdings zuvor SCHASLERS generelle Charakterisierung der Aufgabe KAULBACHS angeführt zu haben. Aufgabe des Künstlers sei es, nicht einfach historische Ereignisse, Tatsachen zu schildern, sondern das wahrhaft Historische zur Darstellung zu bringen.5 Das wahrhaft Historische zeige sich im Gedankeninhalt der materiellen Tat und dessen Einfluß auf die Entwicklung des Menschengeschlechts. Dadurch werde die materielle Tat, von der der Künstler ausgehe, zum Symbol. Die Tatsachen und Personen des Historienbildes seien also nur Träger oder Repräsentanten von Ideen. Der Künstler habe durch den materiellen Schleier des Tatsächlichen zu schauen und dahinter den Weltgeist zum Vorschein zu bringen (16). Das Symbolische nun zeige sich in der künstlerischen Praxis nicht im Gegenständlichen, sondern im formal Kompositorischen (20). Das abstrakte, oder besser, abstrahierende Lineament allein könne das rein Gedankliche, die Idee anschaulich werden lassen. Daher überzeugten die Kartons, so SCHASLER und andere, ja noch die Nachstiche, die allein vom Lineament beherrscht werden, mehr als die farbige, materielle Umsetzung im Fresko (18,19, 43). KAULBACHS Stil ist nach SCHASLER daher symbolisch-historischer Stil zu nennen, oder wie es an anderer Stelle heißt: philosophischer Kunststil (22). Übrigens nennt auch BAUDELAIRE6 im Salon von 1859 KAULBACHS Kunst philosophisch. Auch er meint damit die durch formale Stilisierung angestrebte Verweisungsdimension der Gegenstände. Vom Treppenhaus des Berliner Museums öffnen sich Zugänge zu allen Abteilungen der menschlichen Kulturgeschichte, wie sie sich vor allem in Kunst und Altertümern niederschlägt. Die Fresken im Treppenhaus dienen * Victor Kaiser: Kaulbach's Bilderkreis der Weltgeschichte. Berlin 1879 (im folgenden zit. Kaiser). s Max Schasler: Wandgemälde Wilhelm von Kaulbachs im Treppenhaus des Neuen Museums zu Berlin. Berlin 1854. 8-11; im folgenden Text mit Seitenzahl zit. 6 Baudelaire: Oeuvres complites. Brügge 1968. 1047 (Biblioth£que de la Pleiade. 1, 7.).
124 Werner Busch also der Sinngebung der gesamten künstlerischen Hinterlassenschaft der Geschichte. Das Thema, so SCHASLER, könne also nur lauten: Darstellung der gesamten Kulturentwicklung der Menschheit in ihrer künstlerischen und religiösen Bedeutung (25). In den Hauptbildern müßten die Hauptphasen der kulturgeschichtlichen Entwicklung durch ihre nationalen Vertreter zur Anschauung gebracht werden, in den Zwischenbildern und Pilasterarabesken ihre jeweiligen primären Antriebskräfte. Dadurch ergebe sich ein zweiphasi-ges Geschichtsbild. Die alte Geschichte (Antike und Mittelalter) habe als bewegende Elemente primär Religion und Kunst, sie werde also von Empfindung und Anschauung getragen, die neue Geschichte dagegen habe als bewegende Elemente primär Wissenschaft und Industrie, sie werde von Verstand und Reflexion getragen (29). Zu verschiedenen Zeiten seien also die primären kulturgeschichtlichen Antriebskräfte unterschiedlich, und verschiedene Nationen primäre Träger dieser Kräfte. SCHASLER faßt zusammen: »Für die künstlerische Darstellung dieser so gegliederten Idee kam es also darauf an, in den sechs Hauptbildern die Knotenpunkte der Entwicklung nach diesen beiden Seiten, der nationalen Vertretung und der besonderen, in der zur Darstellung kommenden Zeitepoche vorwaltenden Entwicklungssphäre, zur Anschauung zu bringen. Die Zwischenbilder konnten keine andere Bestimmung haben, als einerseits die einfachen Bewegungselemente selbst (Religion, Kunst, Wissenschaft u.s.f.) in verschiedener Symbolgestaltung, andererseits die persönlichen Hauptvertreter der jedesmaligen Cultur-entwicklung (MOSES, SOLON, KARL DER GROSSE u.s.f.) darzustellen; und was die rahmenartigen Arabesken der die Hauptbilder umgebenden Pilasterstreifen betrifft, so lag es nahe, für jedes Bild diejenigen Darstellungen zu wählen, welche, obwohl nicht den Hauptstoff der jeweiligen Culturentwicklung bildend, doch zur Abrundung und Ergänzung des ideellen Inhalts der Hauptbilder nothwendig waren. Der Fries endlich, welcher über die in sich verschlungene Reihe der dramatischen Gesammtdarstellung hinläuft, mußte alle diese verschiedenen Elemente, sowohl in Rücksicht auf die nationeilen Vertreter wie auf die besonderen Sphären ihrer Vertretung, als ein fortlaufendes Arabeskenspiel des Weltgeistes, also in humoristischer Form zu Anschauung bringen. Denn der Humor macht jene ernsthaften Unterschiede der grösseren oder geringeren Wichtigkeit in der Reihe der culturgeschichtlichen Thatsachen, Personen und Völker nicht; er ist die Ironie der Geschichte, die sich über die im Verhältnis zu den erreichten Zwecken colossalen Anstrengungen der Menschheit lustig macht.* (30) Im Fries (Abb. 4) tummeln sich in arabesken Pflanzenformen Kinder- und Tiergestalten und geben einen fortlaufenden ironischen Kommentar zur darunter sich ereignenden Welt- und Kulturgeschichte der Menschheit ab. Deren punktuelles Pathos relativiert sich angesichts des natürlichen Flusses der Zeit, versinnbildlicht durch den gleichförmigen Rhythmus der Arabeske.
Wilhelm von Kaulbach 125 Die handelnden Personen der Geschichte werden also einerseits als Träger der Ideen des Weltgeistes begriffen, andererseits als Marionetten der Natur. In der Realität scheint dieser Widerspruch unaufhebbar. Kann die Kunst mit ihren Mitteln die Gegensätze versöhnen? Die Frühromantiker hätten das ohne zu zögern bejaht und auf die den universalen Zusammenhang stiftende Funktion der Ironie verwiesen. KAULBACH, SO unsere These, scheint das zu bezweifeln. Die Hegelianer, anders als Hegel, scheinen der Kunst in ihren Abhandlungen der fünfziger Jahre immer noch ohne allzu große Komplikationen diese Fähigkeit der Versöhnung zuzuschreiben. In ihren Konzeptionen differieren sie um Nuancen, tragen den Kampf um diese Nuancen jedoch mit großem, gelehrtem, systematischem Apparat aus. Immer jedoch handelt es sich um die als notwendig erachtete Synthese von Idealismus und Realismus. SCHASLER hat innerhalb weniger Jahre gleich zwei Konzepte anzubieten. Das erste in der KAULBACH-Abhandlung ist etwas komplizierter (20 f). Zu wahrem Stil komme man nur durch extreme künstlerische Stilisierung; zwei Möglichkeiten gebe es, je nach Thema, religiösem oder historischem. Die religiösen Themen seien schon vom Inhalt her symbolisch, ihre ernsten Dramen, nur der Empfindung zugänglich, könnten nur in extremer Stilisierung unter Ausschaltung aller Individualität zum reinen symbolischen Stil gelangen, CORNELIUS sei der Hauptvertreter dieses Stils. Die historischen Themen mit ihrem nur ' innerweltlichen Ernst müßten durch symbolische Gestaltung in eine humoristische Travestie verwandelt werden. Reinheit des Stils garantiere hier der unvermischte Humor. KAULBACH habe diese Reinheit eigentlich nur in seinem Fries erreicht. Im übrigen ähnelt diese Konzeption sehr der ROSENKRANZ sehen Rechtfertigung der Karikatur in seiner Ästhetik des Häßlichen von 1853.7 Vom systematischen Standpunkt aus war die ScHASLERsche Lösung nicht sehr befriedigend, so sehr sie hilft, die extremen Stilisierungen der deutschen 4. Wilhelm von Kaulbach: Entwurf zum ersten Teil des Kinderfrieses im Treppenhaus des Berliner Neuen Museums (nach: Ostini, op. cit. (Anm. 3), Abb. 78), 1863/65 7 Kar/ Rosenkranz: Aesthetik des Häßlichen.Königsberg 1853/Stuttgart-Bad Cannstatt 1968. 170, 387, 390 ff, 413.
Werner Busch Historienmalerei in der Nachfolge PETER VON CORNELIUS' ZU verstehen. Vier Jahre später 1858 in einem Aufsatz in den Dioskuren mit dem Titel Über Realismus und Idealismus in der Historienmalerei geht die Rechnung von der philosophischen Logik her besser auf.8 Realismus und Idealismus treffen sich schlankweg in der Mitte, wenn SCHASLER natürlich auch, wie es sich für einen Hegelianer gehört, dieses Zusammentreffen und Verschmelzen dialektisch als neue Einheit der Gegensätze begreift. Das Ergebnis nennt sich realistischer Idealismus. Übergewicht in der einen wie der anderen Richtung sei zu vermeiden. Zu viel Idealismus führe zu abstraktem, leblosem Spiritualismus, zu viel Realismus zu bloßem Materialismus. Was im Himmel, wenn diese saloppe Bemerkung des Kunsthistorikers in Parenthese gestattet sei, sollten die Künstler praktisch damit anfangen, denn auf die Praxis waren SCHASLERS Bemerkungen gemünzt; er setzte sich in seinem Aufsatz mit den Bemühungen der neugegründeten »Verbindung deutscher Kunstvereine für historische Kunst* auseinander, die zu ersten praktischen Kunstaufträgen geführt hatten. Mit dem Vorwurf des blassen Idealismus wollte er MORITZ VON SCHWINDS abgeliefertes Werk, mit dem des plumpen Realismus das von ADOLPH MENZEL treffen. Bei FRIEDRICH THEODOR VISCHER heißt das Zauberwort, bezeichnenderweise vor 1848, nicht realistischer Idealismus, sondern idealistischer Realismus", was ihm von MORIZ CARRIERE den von SCHASLER auf MENZEL gemünzten Vorwurf des Materialismus eintrug10. In der Tat, VISCHER, der sich sein vormärzliches Pathos wie sein Schüler, der Kunsthistoriker ANTON SPRINGER bis allenfalls in die Mitte der fünfziger Jahre erhielt, wollte die Kunst allein auf die innerweltlichen Dinge beschränken, diese allerdings von ihr im Lichte der Unendlichkeit betrachtet wissen.« Wie das zu geschehen habe, beschreibt VISCHER in seiner Ästhetik folgendermaßen: „Der Maler nimmt die Welt zu einem tiefer verarbeitenden Durchdringungsprozesse in sein Inneres herein, löst ihre Objektivität in der subjektiven Stimmung verzehrender auf, um sie »Schasler op. cit. (Anm. 1), 143 f. 'Vgl. bes. Friedrich Theodor Vischer: Die Abdankung Karl V. von Louis Gallait und der Kompromiß der flandrischen Edeln von Carl de Biefve. Gedanken bei Betrachtung der beiden belgischen Bilder (1844), in: ders.: Kritische Gänge. Bd 5. Hrsg. von Robert Vischer. 2. verm. Aufl. München 1922, 89-95. 10 Moriz Carriere: Lieber Symbol personifkirende Idealbildung und Allegorien der Kunst mit besonderer Rücksicht auf Kaulbachs Wandgemälde in neuen Museum zu Berlin. In: Augsburger Allgemeine Zeitung. Beilage zu Nr. 63. Montag, 3. März 1856, 1001-1003 und Beilage zu Nr. 64. Dienstag, 4. März 1856,1017-1022. 11 Dazu auch Werner Busch: Die Antrittsvorlesung Friedrich Theodor Vischers bei Übernahme des Lehrstuhls für Ästhetik und Literaturwissenschaften an der Universität Tübingen 1844. In: Kritische Berichte. 9 (1981) 35-50, bes. 42.
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als eine durchbildete, durchkochte wieder zu objektivieren".12 Als Prozeßbeschreibung ist dies, denkt man vor allem an die psycho-physischen Erklärungsmodelle am Ende des Jahrhunderts und VISCHERS eigene weitere Entwicklung, erstaunlich differenziert und sprachlich grandios, als Gebrauchsanweisung für den Künstler kann natürlich auch dieses Rezept nicht taugen. Auch SPRINGER wandelte sich; mit Blick auf KAULBACH kreierte er 1858 gar einen »humoristischen Idealismus*, ganz offensichtlich als Folge der Lektüre von SCHASLERS KAULBACH-Abhandlung.13 Wir wollen das hier nicht weiter fortführen, etwa auf die Ausdeutung des CARRiEREschen Begriffes der »perso-nifiziertenden Idealbildung" (s. Anm. 10) ebenso verzichten, wie auf die Nachzeichnung von ROSENKRANZ' Rechtfertigung des Häßlichen als einer Secundogenitur des Schönen (AestheHk, 386 f). In ihrer Konsequenz für die Kunstpraxis laufen all diese Konzepte schlicht auf dasselbe hinaus. Mit KAULBACH — kein Wunder — setzen sich all die genannten Theoretiker auseinander, man denke nur an ROSENKRANZ' ungemein treffende Interpretation von Kaulbachs Narrenhaus in der Ästhetik des Häßlichen.1* Alle diese Denker können die idealistische, wie auch immer Hegeische Basis ihres Kunstbegriffes nicht aufgeben; anders ausgedrückt: sie mögen auf das Kernstück klassizistischer idealistischer Kunsttheorie, das Imitatio-Konzept, nicht verzichten. Was sie im Gegensatz zu Hegel nicht sehen, ist, daß sie zum einen die Kunst mit ihren Vorstellungen überfordern; was allerdings noch schwerer wiegt, ist, daß sie zum anderen die historische Inadäquatheit ihrer Forderungen nicht erkennen. Dabei haben sie das sich stellende Problem nicht selten benannt. VISCHER 1841: .Die Kunst biegt sich auf sich zurück und macht sich selbst zum Gegenstand."15 VISCHER 1842: »Reflektierend und wählend steht jetzt der Künstler über allen Stoffen, die jemals vorhanden waren und sieht den Wald vor Bäumen nicht"16. Spätestens seit Hegel wußten sie alle, daß man in der Gegenwart im Zeitalter der Reflexion angelangt war — SPRINGER: »wir Kinder der Reflexion" (Springer, 111). Und in der Tat ist Stilisierung, die sie alle in der einen oder anderen Form den Künstlern anempfahlen, eine •2 Friedrich Theodor Vischer: Aesthetik oder Wissenschaft des Schönen. Vierter Teil. Die Kunstlehre. Bildnerkunst/Malerei. 2. Aufl. München 1923. 228. 13 Anton Springer: Geschichte der bildenden Künste im neunzehnten Jahrhundert. Leipzig. 1858.108-124: »Der humoristische Idealismus" (zuerst in: Die Gegenwart. 12 [1856], 719-26). Im folgenden zit: Springer. 14 Aesthetik des Häßlichen, 308 f. Ausführlich zu Kaulbachs Narrenhaus: Werner Busch: Wirklichkeitsaneignung und Stilisierung in der deutschen Kunst des 7 9. Jahrhunderts. Habilitationsschrift. Bonn 1979.124-211 (im Druck). 15 Friedrich Theodor Vischer: Overbecks Triumph der Religion. (1841). In: Kritische Gänge. Bd 5. 7. 16 Friedrich Theodor Vischer: Der Zustand der jetzigen Malerei. (1842). In: Kritische Gänge. Bd 5. 37.
Werner Busch adäquate künstlerische Form der Reflexion. Nur sahen sie einseitig in der Stilisierung der Form einen Verweis auf das Ideal, auf transzendente Symbole oder den Weltgeist, nicht aber auf real erfahrene Gegenwarts- und Kunstprobleme. Daß KAULBACH dagegen in der Stilisierung eben diese realen, innerweltlichen Probleme reflektierte, wenn er auch vorgab, mit dem Weltgeist ins Gespräch zu kommen, das sei an einer etwas genaueren Untersuchung seiner Vorstellung von Ironie zu belegen versucht. Zu Recht haben seine Hegelianischen Exegeten betont, daß das Verhältnis von Fries zu Hauptbildern, von Rahmen zu Bild ironisch sei. Bei den Hauptbildern des Zyklus wird die Moderne mit der letzten Darstellung, der Reformation (Abb. 5), eingeläutet. Früh hat man gesehen, daß allein bei diesem Bild das Licht von rechts kommt, das Licht der neuen Zeit, das Licht der Gegenwart aus der Zukunft, und man hat auch gesehen, daß dieses Licht nur noch auf eine weitere Figur des begleitenden Zyklus' historischer Gestalten fällt: auf den direkt links vom Bild der Reformation erscheinenden FRIEDRICH IL, den Großen (Kaiser, 10,11, 29). Das erhellt KAULBACHS Epochenverständis, das etwa dem FRIEDRICH THEO
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DOR VISCHERS verwandt ist. VISCHER hatte Hegels Konzeption der dritten Stufe der Epochenabfolge kritisiert: Hegel sah die Gegenwart weiterhin im christlich-romantischen Zeitalter verharren; VISCHER warf Hegel vor, er habe die Moderne, die der Gegenwart »die Welt erst geschenkt hat", nicht begriffen, er habe die »ungeheure Kluft", die uns von der mittelalterlich-christlichen Welt trenne, nicht wahrgenommen17 und die Selbstauflösung des Christentums seit der Reformation, verstärkt noch durch die Aufklärung, den zentralen Säkularisierungsprozeß nicht realisiert.18 Die ungeheure Kluft, die die Moderne seit der Reformation von der vorherigen Geschichte trennt, deutet KAULBACH durch die paradoxe Lichtführung an, ihre weitere historische Vertiefung nach der Reformation vertritt FRIEDRICH IL, die Verkörperung der Aufklärung. Im Lichte der Aufklärung steht auch die Gegenwart. Das Versprechen der Aufklärung wartet auf seine Einlösung im gegenwärtigen Zeitalter. Im Fries darüber zieht KAULBACH die Konsequenzen aus den Ver-weltlichungsprozessen in Reformation und Aufklärung in kulturgeschichtlicher Hinsicht. Der Fries endet scheinbar ganz optimistisch — nachdem er zuvor allerdings schon auf die Irritation durch die moderne Technik hingewiesen hatte — jenseits des Reformationsbildes über der Personifikation der Kunst in der Gegenwart mit drei GOETHE, HUMBOLDT und JAKOB GRIMM vertretenden Putten. Der Natur- und der Sprachwissenschaftler stellen dem Dichter das Material der Poesie zur Verfügung. Auf dem Reformationsfresko taucht KAULBACH selbst auf: als DüRERS Farbenreiber, der den an den Aposteln malenden Vater der deutschen Kunst darauf hinweist, daß LEONARDO, RAFFAEL und MICHELANGELO ZU einem Besuch eingetroffen sind. Auch dies scheint positiv gemeint: erst in der Gegenwart scheint die Vereinigung deutscher und italienischer Kunstqualitäten möglich zu sein, KAULBACH selbst sieht sich vor die Aufgabe gestellt, diese Synthese zu leisten. Bei der Forderung nach Vereinigung unterschiedlicher Kunstqualitäten zu neuem Ideal handelt es sich allerdings um einen alten Topos klassizistischer Kunsttheorie, und gerade über klassizistische Kunsttopik macht KAULBACH sich in seinem Fries mehrfach lustig. So parodiert er die Xeuxis-Anekdote vom Künstler, der täuschend ähnlich malt,19 und den Topos vom Naturenthüllen20 — was vor ihm schon REMBRANDT21 und, KAULBACH wohl vertraut, WILLIAM HOGARTH im 18. 17 Friedrich Theodor Vischer; Kritische Gänge. Bd 4.174 f; Busch, op. cit. (Anm. 14), 38 f. 18 Dazu Willi Oelmüller: Friedrich Theodor Vischer und das Problem der nachhegelschen Ästhetik. Stuttgart 1959. 71. " Erwin Panofsky: ldea. Leipzig 1924. 5 ff; Renesselaer W. Lee: Ut pictura poesis: The Humanistic Theory of Painting. New York 1967. 10 f. 20 Vgl. Wolfgang Kemp: Natura. Ikonographische Studien zur Geschichte einer Allegorie. Phil. Diss. Tübingen 1970, Bamberg 1973. 164-69. 21 ]. A. Emmens: Rembrandt en de regels van de Kunst. Utrecht 1968. 147 ff, 200 f.
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130 Werner Busch Jahrhundert getan haben.22 Damit fällt auch ein Licht auf das von KAULBACH für GOETHE und sich selbst reklamierte Eklektizismuskonzept. Ein solches Konzept trägt nur, solange man sich bruchlos eins weiß mit der adaptierten Tradition, nicht begonnen hat, über ihr Anders- und Vergangensein zu reflektieren. Aus der Erfahrung der grundsätzlichen Andersartigkeit der Moderne nach dem Sündenfall historischer Erkenntnis resultiert für die Kunst ein unaufhebbares Dilemma: definiert sie sich per se als idealistische, so hat sie in der prosaischen Moderne keinen Ort mehr. Sie kann dann nur so tun, als habe es den Bruch mit der Vergangenheit nicht gegeben; ein Künstler wie KAULBACH hat den Glauben an eine ideale Kunst in der Gegenwart verloren. Für ihn resultiert aus der Erfahrung dieses Verlustes ein gelegentlich auch in seiner Kunst durchbrechender hochgradiger Zynismus; zugespitzt formuliert: er zeigt bewußt Bildbetrug. Ein Blick auf seine Pinakothekfresken lehrt das.23 KAULBACH konnte die Neue Pinakothek als einen Schrein um sein Meisterwerk Die Zerstörung Jerusalems, das er als eines der Hauptbilder in Berlin wiederholte, begreifen. Ab 1850 hatte er die Möglichkeit, diesen Schrein von außen mit Fresken zum Gang der neueren deutschen Kunst, die im Inneren mit seinem Werk im Zentrum ausgebreitet war, zu schmücken. Das Schmuckresultat empfanden seine Zeitgenossen nicht nur als skandalös, sondern es mußte auf sie geradezu schizophren wirken.24 Das erste Fresko Der Kampf mit dem Zopf (Abb. 6) macht sich über seine gesamten Kunstgenossen und die von seinem Auftraggeber LUDWIG initiierte, von seinem verehrten Lehrer CORNELIUS getragene neue deutsche Kunstblüte regelrecht bösartig lustig. Die gesamte neuere Entwicklung wird als albernes Kasperletheater abgetan — und das auf einem riesigen Fresko, der höchsten Kunstaufgabe überhaupt und als Fassung, als Rahmen um sein eigenes Meisterwerk. Dieser Frontalangriff auf alle seine Freunde, Mitstreiter und Gönner und last not least auf sich selbst ist in der Tat nur als ironischer Zynismus zu bezeichnen. Nun mag eingewendet werden, KAULBACH lasse auf den folgenden Pinakotheksfresken sich selbst sehr viel besser abschneiden, schreibe den Entwicklungsgang der neueren deutschen Kunst zu seinen Gunsten um. So richtig diese Beobachtung ist, sie hebt das Problem nicht auf. Wie auf dem Reformationsfresko 22 Werner Busch: Nachahmung als bürgerliches Kunstprinzip. Ikonographische Zitate bei Hogarth und in seiner Nachfolge. Phil. Diss. Tübingen 1973, Hildesheim 1977. 123-129. «Eine Interpretation dieses Zyklus' habe ich versucht in: op. cit. (Anm. 14), 107-118. 2« S. bes. Julius Schnorr von Carolsfeld: Über Kaulbachs Darstellungen der neueren Kunstgeschichte. In: Augsburger Allgemeine Zeitung, Beilage zu Nr. 298. Sonntag, 24. Okt. 1852, 4765-67.
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6. Wilhelm von Kaulbach: Der Kampf mit dem Zopf, Tafelbildfassung des ersten Freskos an der Außenseite der Neuen Pinakothek in München. München: Bayerische Staatsgemäldesammlungen, 1847/53 angedeutet, schätzte KAULBACH seine Rolle in Kunst, Kunstgeschichte und Kunstöffentlichkeit wahrlich nicht gering ein; er hatte, allen Debatten zum Trotz, ungeheuren, auch finanziellen Erfolg, war für mindestens zwei Jahrzehnte der angesehenste öffentliche deutsche Maler. Und sicher tat er auch einiges für sein Ansehen, war ausgesprochen geschickt in Verhandlungen und in Gesellschaft, dennoch kam sein Zynismus immer wieder zum Ausbruch, seine Zeitgenossen formulierten sehr genau: »Nicht die gesunde Farbe der Entschließung hat der Gedanke bei KAULBACH, sondern die angekränkelte Blässe eines sophistisch-zersetzenden Räsonnements. KAULBACH ist der Maler der Aufklärung, welche mit der Vergangenheit bricht, die Überlieferung verneint." (Kaiser, 6) Besser hätte man es nicht ausdrücken können. Sein Zynismus mag individuelle Veranlagung gewesen sein. Die Erfahrung der Moderne in der künstlerischen Darstellung jedoch als ironische Diskrepanz zwischen Rahmen und Bild, als Stellvertretern von Wirklichkeit und Ideal, anschaulich werden zu lassen, dieser Versuch der Veranschaulichung des Bruches, der einen Verzicht auf ganzheitliche Welterklärung impliziert, findet sich seit der Frühromantik in verschiedenen Formen. Die Parodie auf die eigene Klassizität und Idealität als mit der realen Existenz des Künstlers unvereinbar findet sich allerdings auch schon bei den deutschen Klassizisten des späten 18. Jahrhunderts. Wenige Beispiele als Beleg mögen genügen. Wenn ASMUS JACOB CARSTENS Anfang der 1790er Jahre in streng klassizistischem Stil sich prügelnde Philosophen (Abb. 7) zeichnet, dann ist das nicht, wie die Sekundärliteratur es gerne möchte, eine Feierabendlaune eines ansonsten ernsten Künstlers, sondern Ausdruck der erfahrenen und nicht
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132 Werner Busch mehr aufhebbaren Diskrepanz von Kunstideal und Künstlerrealität, die Karikatur wird Reflexionsform des Ideals.25 Kein Zufall also, daß auch in KAULBACHS Berliner Fries PLATO und ARISTOTELES im Streit um die Unsterblichkeit (sie!) handgreiflich werden. Warum das Ideal im bürgerlichen Zeitalter, gemessen an der Erfahrungsrealität, nur komisch wirken kann, das ist von HEINE oder VISCHER, aber auch von anderen, auf die griffige Formel gebracht worden: der Held im Frack — als dem Korsett der bürgerlichen Konvention —
絵中7. W. Müller nach Asmus Jakob Carstens: Die Schlägerei der Philosophen. Taf. 26 des Carstens-Werkes, op. cit. (Anm. 25), 1849 25 Zu Carstens und seinem Verhältnis zur Karikatur vgl. Werner Busch: Der sentimen-talische Klassizismus bei Carstens, Koch und Genelli. In: Kunst als Bedeutungsträger. Ge-denkschrift für Günter Bandmann. Hrsg. von Werner Busch, Reiner Haussherr und Eduard Trier. Berlin 1978, 317-343, bes. 318, 321, 326. — Wir bilden den Nachstich von Georg Wilhelm Müller ab, der 1849 in einem Stichwerk nach Carstens' Werken vorlag, Kaulbach also direkt bekannt sein konnte: Carstens' Werke, Zeichnungen in der Grossherzgl. Kunstsammlung in Weimar, Gestochen von W. Müller, Text von Chr. Schuchhardt, Weimar und Leipzig 1849 (2. Aufl. 1869, Hrsg. von H. Riegel).
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Wilhelm von Kaulbach 133 wirkt lächerlich und wie auf einem Kostümfest.26 Wenn JAKOB BURCKHARDT als Humanist 1887 die künstlerische Allegorie gern rechtfertigen möchte, andererseits aber begreift, daß die ebenso prosaische, wie abstrakte bürgerliche Rechts- und Wirtschaftsordnung Allegorisierung nicht mehr zuläßt, ein Dämon des Börsenkraches nur lächerlich wirken kann27 (die Erfindung dieses allegorischen Dämons stammt bezeichnenderweise aus einer auf KAULBACHS Zerstörtes Jerusalem gemünzten Karikatur von 1873)28, dann ist damit genau unser Problem beschrieben, dem sich im übrigen HEINZ SCHLAFFER in seinem Buch mit dem passenden Titel Der Bürger als Held in größeren literarischen Zusammenhängen gewidmet hat,29 ohne allerdings die hier angedeutete ganz tagespraktische Dimension in den Blick zu bekommen. Die Frühromantiker hatten gehofft, durch Ironie auf einer höheren Ebene die Widersprüche aufheben zu können. In unserem Zusammenhang seien nur zwei wichtige und ebenso berühmte Beispiele aus der frühromantischen Malerei zitiert, deren eigentliches Thema sich aus der Spannung von Rahmen und Bild ergibt, einer Spannung, die im romantischen Sinne ironisch zu nennen ist. Die Einzelblätter aus PHILLIP OTTO RUNGES vierteiligem Tageszeiten-Zyklus (Abb. 8) bestehen jeweils aus der Darstellung einer naturmystischen arabes-ken Einkleidung einer Tageszeit im Innenbild und einer christlichen Ausdeutung dieser Konzeption im ebenso arabesken, aber deutlich vom Mittelbild getrennten Rahmen.30 Der höhere Sinn, die Erfahrung des universalen Zusammenhanges, wie der Romantiker sagen würde, soll resultieren aus der Reflexion der letztlich widersprüchlichen Teile. Der reflektierende Betrachter soll durch Vertiefung in die Naturprozesse auch der versteinerten christ-26 Der Hinweis auf das notwendig Unheroische des Fracks ist im 19. Jahrhundert seit der Romantik geradezu topisch. Heinrich Heine: Gemäldeausstellung in Paris 1831. In: Werke. Bd 3. Schriften über Frankreich. Hrsg. von Eberhard Galey. Frankfurt 1968. 26. Vischer verwendet das Bild mehrfach, nur ein Nachweis: Vischer: Der Zustand der jetzigen Malerei (1842). In: Kritische Gänge. Bd 5. 38. Über das Unheroische des bürgerlichen Zeitalters wohl am ausführlichsten Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Ästh.m 1. 230/246-250/266. 27 jakob Burckhardt: Die Allegorie in den Künsten (1887). In: Gesamiausg. Bd 14. Vorträge. Hrsg. von Emil Dürr. Berlin und Leipzig 1933. 424. ™ Neuer Freier Kikeriki. Jg. IV, Nr. 20, 17. Mai 1873. 29 Heinz Schlaffer: Der Bürger als Held. Sozialgeschichtliche Auflösungen literarischer Widersprüche. Frankfurt a. M. 1973. Schlaffer geht auf die Problematik im Hegel-Kreis, für den sie zentral gewesen ist, nur kurz ein: 128, 136, 142. 30 Die Literatur zu Runges Tageszeiten ist Legion, es sei nur auf die Standardmonographie verwiesen: Jorg Traeger: Philipp Otto Runge und sein Werk. Monographie und kritischer Katalog, München 1975. 110 ff.
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Wilhelm von Kaulbach 135 liehen Bildersprache ihr Leben zurückgeben, den Mythos neu stiften. Nicht anders verhält es sich bei CASPAR DAVID FRIEDRICHS Tetschner Altar(Abb. 9).31 Das Innenbild zeigt ein Kreuz im Gebirge, nicht Christus selbst am Kreuz, sondern nur ein Bildwerk, die Natur ist Reflexionsraum des nur zu erinnernden Ereignisses Kreuzigung, der geschnitzte Rahmen liefert die christlichsymbolische Interpretation des Innenbildes durch die Darstellung der tradierten christlichen Zeichen. Das Symbol hat auf Grund seiner Traditionsmächtigkeit in der Realität Bestand, wie die verfaßte Kirche, die Stellvertreterin Gottes auf Erden. Der unmittelbare Glaube hat sich jedoch verflüchtigt. Die JRede des toten Christus vom Weltengebäude herab, daß kein Gott sei" aus JEAN PAULS Siebenkäs ist das allerdings in seiner Ironie und Verzweiflung sehr viel direktere literarische Pendant zu FRIEDRICH und RUNGE.32 Ohne daß das hier ausgeführt werden könnte,33 so ist doch darauf aufmerksam zu machen, daß der Rahmen auch weiterhin bei Nazarenern, Spätromantikern und Klassizisten ironische Reflexionsform des allein nicht mehr lebensfähigen Innenbildes sein kann. KAULBACH steht in dieser Tradition. Er kannte dieses Verfahren sicher nicht allein von den Frühromantikern, sondern von seinen Lehrern, Mitarbeitern und Freunden CORNELIUS, SCHWIND, GENELLI und NEUREUTHER. Am ehesten mag er an SCHWINDS Symphonie (Abb. 10) gedacht haben, die 1849 im Karton fertig war und die mit den Mitteln der Arabeske zwar nicht zu einer Versöhnung, aber doch zu einem, wenn auch labilen Gleichgewicht, zu einer Koexistenz in der Kunst von Allegorischem und Realem, von Natur und Geschichte kommt. Ganz geht das allerdings nicht ohne verräterische Absurditäten ab, neben einem von Zeus in Adlergestalt entführten Ganymed gibt es dann auch eine Allegorie des bürgerlichen Badekuraufenthaltes. MARX kommentiert Entsprechendes im 18. Brumaire mit der Bemerkung, daß das unheroische Bürgertum sich während seiner Revolutionen wohl der klassischen Ideale und Kunstformen bediene, um die beschränkten Inhalte seiner Kämpfe zu verbergen, doch nach Erreichen der Ziele die Verkleidung gleich wieder ablege, um sich der ihm eigenen Prosa zu widmen. Und er drückt auch aus, was genau gleichzeitig KAULBACH von ganz anderer Warte aus genauso empfunden haben muß: 31 Es gilt das gleiche wie für Runges Tageszeilen (s. Anm. 29), auch für Friedrichs Telschner Altar sei nur auf die Standardmonographie verwiesen, wenn auch gerade in den letzten Jahren die Deutung des Tetschner Allares in verschiedenen Arbeiten vorangetrieben wurde: H. Börsch-Supan und K. W. Jähnig: Caspar David Friedrich. Gemälde, Druckgraphik und bildmäßige Zeichnung. München 1973. Kat. Nr. 167. n]ean Paul: Werke. Bd 1. Wiesbaden o. J. 890-94 (2. Bändchen. Erstes Blumenstück.). 33 Hinweise hierzu bei Busch, op. cit. (Anm. 13), 74-77; zum folgenden den Deutungsversuch in diese Richtung, 77-85.
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Werner Busch »Die Tradition aller toten Geschlechter lastet wie ein Alp auf dem Gehirn der Lebenden*.3« Entlastung von dem Alp rinden idealistische Künstler offenbar nur noch durch Ironie, Parodie und Zynismus. Denn Kunst steht offenbar allein noch als Kunstgeschichte zur Verfügung, Historienbilder des 19. Jahrhunderts sind nicht mehr Geschichtsbilder, sondern Geschichtswissenschaftsbilder, religiöse Bilder nicht mehr Kultgegenstände, sondern Kunstreflexionen über die Geschichte des religiösen Bildes. Will der Künstler den Bankrott des Thematischen nicht zu seinem eigentlichen Thema machen, so bleibt ihm nur eins, er muß den Prozeß der Naturerfahrung und des Kunstmachens selbst zu seinem Thema erklären und dafür Darstellungsformen finden. KAULBACH kam nicht so weit. Er blieb Klassizist und Idealist, wenn auch ein zweifelnder. Sein Zweifel brachte keine transzendentale Ironie mehr, keinen idealistischen Humor, sondern innerweltliche, subjektive ironische oder zynische Interpretation hervor, die, weil die Konvention der Kunst es erforderte, so tat, als ginge es um mehr, nicht ohne allerdings hier und dort, wie um sich selbst zu behaupten, bewußt die Konvention zu brechen. Insofern ist KAULBACH sowohl peintre-philosophe als auch modern painter.
3tKarl Marx: Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte. In: Karl Marx-Friedrich Engels: Werke. Bd 8. Berlin 1960. 116, 114. •«Im Sinne von John Ruskins Modern Painters. 1843.
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返信削除124 Werner Busch also der Sinngebung der gesamten künstlerischen Hinterlassenschaft der Geschichte. Das Thema, so SCHASLER, könne also nur lauten: Darstellung der gesamten Kulturentwicklung der Menschheit in ihrer künstlerischen und religiösen Bedeutung (25). In den Hauptbildern müßten die Hauptphasen der kulturgeschichtlichen Entwicklung durch ihre nationalen Vertreter zur Anschauung gebracht werden, in den Zwischenbildern und Pilasterarabesken ihre jeweiligen primären Antriebskräfte. Dadurch ergebe sich ein zweiphasi-ges Geschichtsbild. Die alte Geschichte (Antike und Mittelalter) habe als bewegende Elemente primär Religion und Kunst, sie werde also von Empfindung und Anschauung getragen, die neue Geschichte dagegen habe als bewegende Elemente primär Wissenschaft und Industrie, sie werde von Verstand und Reflexion getragen (29). Zu verschiedenen Zeiten seien also die primären kulturgeschichtlichen Antriebskräfte unterschiedlich, und verschiedene Nationen primäre Träger dieser Kräfte. SCHASLER faßt zusammen: »Für die künstlerische Darstellung dieser so gegliederten Idee kam es also darauf an, in den sechs Hauptbildern die Knotenpunkte der Entwicklung nach diesen beiden Seiten, der nationalen Vertretung und der besonderen, in der zur Darstellung kommenden Zeitepoche vorwaltenden Entwicklungssphäre, zur Anschauung zu bringen. Die Zwischenbilder konnten keine andere Bestimmung haben, als einerseits die einfachen Bewegungselemente selbst (Religion, Kunst, Wissenschaft u.s.f.) in verschiedener Symbolgestaltung, andererseits die persönlichen Hauptvertreter der jedesmaligen Cultur-entwicklung (MOSES, SOLON, KARL DER GROSSE u.s.f.) darzustellen; und was die rahmenartigen Arabesken der die Hauptbilder umgebenden Pilasterstreifen betrifft, so lag es nahe, für jedes Bild diejenigen Darstellungen zu wählen, welche, obwohl nicht den Hauptstoff der jeweiligen Culturentwicklung bildend, doch zur Abrundung und Ergänzung des ideellen Inhalts der Hauptbilder nothwendig waren. Der Fries endlich, welcher über die in sich verschlungene Reihe der dramatischen Gesammtdarstellung hinläuft, mußte alle diese verschiedenen Elemente, sowohl in Rücksicht auf die nationeilen Vertreter wie auf die besonderen Sphären ihrer Vertretung, als ein fortlaufendes Arabeskenspiel des Weltgeistes, also in humoristischer Form zu Anschauung bringen. Denn der Humor macht jene ernsthaften Unterschiede der grösseren oder geringeren Wichtigkeit in der Reihe der culturgeschichtlichen Thatsachen, Personen und Völker nicht; er ist die Ironie der Geschichte, die sich über die im Verhältnis zu den erreichten Zwecken colossalen Anstrengungen der Menschheit lustig macht.* (30) Im Fries (Abb. 4) tummeln sich in arabesken Pflanzenformen Kinder- und Tiergestalten und geben einen fortlaufenden ironischen Kommentar zur darunter sich ereignenden Welt- und Kulturgeschichte der Menschheit ab. Deren punktuelles Pathos relativiert sich angesichts des natürlichen Flusses der Zeit, versinnbildlicht durch den gleichförmigen Rhythmus der Arabeske.